Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben sich bunte Masken aus Pappe vors Gesicht gesetzt, um klar zu machen: Sie alle sind Hanna – und viele, viele mehr. Ihre zentrale Botschaft: „Stoppt die Dauerbefristung in der Wissenschaft!“ Über 65.000 Menschen haben eine Petition mit der Forderung nach einer wirklichen Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes – kurz WissZeitVG – unterzeichnet. „Das ist eine richtig große Nummer“, betont Sonja Staack, bei ver.di für Hochschulen und Forschungseinrichtungen zuständig. Das Bündnis Stoppt die Dauerbefristung in der Wissenschaft, bei dem auch ver.di mitmacht, übergab die Unterschriften am Mittwoch in Berlin an den Vorsitzenden des Bildungsausschusses im Bundestag. „Ziel ist es, dass der Bundestag den Entwurf für eine Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes ändert“, erklärt die Gewerkschafterin.
Bei der Aktion hielten die Teilnehmer*innen zahlreiche Schilder in die Luft, darauf hieß es unter anderem: „Für faire Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft!“ Auch persönliche Aussagen waren darauf zu lesen: „Wegen der Befristung habe ich zu lange mit der Familienplanung gewartet – und konnte dann nicht mehr schwanger werden“, zum Beispiel. Oder: „Es bedeutet ständige Unsicherheit, Armut trotz Arbeit, keine Kreditwürdigkeit. Kein Autokauf auf Kredit möglich, kaum eine neue Mietwohnung möglich.“ Und: „Nach gut 20 Jahren als Postdoc in drei Ländern und etlichen Zeitverträgen habe ich mir längst abgewöhnt, junge Leute zu einer akademischen Laufbahn zu ermutigen.“ Unter dem Hastag #IchBinHanna haben in den letzten Jahren tausende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihre Misere geschildert. Ausgelöst wurde die Bewegung von einem Video des Bundesministeriums für Bildung und Forschung im Sommer 2021: Darin erklärte die Comicfigur Hanna, warum der schnelle Wechsel des Personals ein Vorteil für die Wissenschaft sei – „damit nicht eine Generation alle Stellen verstopft“ – und sorgte für riesige Empörung.
Das Bündnis betont, dass fast neun von zehn wissenschaftlichen Angestellten an Universitäten befristet beschäftigt sind. 42 Prozent der Arbeitsverträge haben eine Laufzeit von unter einem Jahr. Ermöglicht wird diese Befristungspraxis durch das Wissenschaftszeitvertragsgesetz, kurz: WissZeitVG. Die Bundesregierung hat eine Novelle des Gesetzes angekündigt. „Jetzt kommt es darauf an, auch wirklich Verbesserungen zu erzielen“, sagt Sonja Staack. „Davon kann bislang keine Rede sein.“ Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sei eine herbe Enttäuschung. Trotz heftiger Kritik daran habe sie eine Novelle vorlegt, die am eigentlichen Problem nichts ändert. Im Gegenteil. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass Postdocs künftig nicht mehr maximal sechs Jahre befristet werden dürfen, sondern nur noch vier Jahre. Anreize für mehr Dauerstellen sind hingegen nicht vorgesehen. „Dadurch würde sich das Problem nur verschärfen“, warnt die Gewerkschafterin. Doch noch sei das Gesetz nicht verabschiedet. Noch im Juni soll die Novelle in erster Lesung im Bundestag beraten werden.
Selbst von den Ampelparteien SPD und Grünen sei deutliche Kritik geäußert worden, berichtet Sonja Staack. Selbst die FDP ist nicht mehr zufrieden mit dem Gesetzesentwurf. „Alle wollen etwas ändern. Aber strittig ist: was.“ Deshalb gelte es in den nächsten Wochen, noch einmal richtig Druck zu machen. „Jetzt ist unsere Chance, das Runder noch rumzureißen.“ Damit es in Zukunft mehr sichere, verlässliche Arbeitsverträge in der Wissenschaft gibt. Das Bündnis fordert verbindliche Entfristungsvereinbarungen für promovierte Wissenschaftler*innen, Dauerstellen für Daueraufgaben sowie realistische Vertragslaufzeiten für Doktorand*innen von in der Regel sechs Jahren.
Es ist ein Novum: Im Zuge der Tarifbewegung im Land Hessen haben die Gewerkschaften im Frühjahr erstmals eine verbindliche Regelung zur Ausweitung unbefristeter Beschäftigung an Hochschulen erreicht. Die Landesregierung verpflichtet sich, bis 2030 fast 400 unbefristete Vollzeitstellen im wissenschaftlichen Mittelbau einzurichten. Ende des Jahrzehnts wären damit rund 40 Prozent der Landesstellen entfristet. Zudem werden sachgrundlos befristete Arbeitsverhältnisse in Technik und Verwaltung mit der Vereinbarung weitgehend ausgeschlossen.
Jetzt kommt es darauf an, den Hochschulleitungen konkrete und verbindliche Vorgaben für Entfristungen zu machen. Dass die CDU-SPD-Landesregierung zugleich finanzielle Kürzungen plant, passt freilich nicht zusammen. Dagegen und für die volle Umsetzung der Zusagen wollen sich die ver.di-Aktiven an den hessischen Hochschulen weiter einsetzen. »Zum ersten Mal haben wir als Gewerkschaft einen Fuß in der Tür, tarifpolitisch gegen Befristungen vorzugehen«, betont Frauke Banse, die als Lehrkraft für besondere Aufgaben an der Uni Kassel arbeitet und in der ver.di-Tarifkommission aktiv ist. Das könne auch bundesweit ein Vorbild sein.
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