Gesundheit in Betrieben stärken

26.10.2023

Mehr Schutz vor Gewalt, Stress und anderen Gesundheitsrisiken am Arbeitsplatz: Mit ihrer Arbeit in der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege – kurz BWG – will sich ver.di in der neuen Amtsperiode dafür stark machen, die Arbeitsbedingungen in den Betrieben zu verbessen. „Wir sehen es als unseren Auftrag an, die Aufsicht und Kontrolle zu stärken“, sagt die neue Vorsitzende der Vertreterversammlung, Susann Czekay-Stohldreier. Der Arbeitsschutz werde in vielen Einrichtungen längst noch nicht so umgesetzt, wie gesetzlich vorgeschrieben. Deshalb will die Berufsgenossenschaft die Beratung in den Betrieben ausbauen. Zudem soll stärker beaufsichtigt werden, dass die Vorschriften eingehalten werden.

 
BGW Vertreterversammlung 2023

Insgesamt neun Millionen Beschäftigte von Kirchen, Wohlfahrtsverbänden und privaten Trägern im Gesundheits- und Sozialwesen sind Mitglied in der Berufsgenossenschaft. Durch ihre Vertreter*innen in der Selbstverwaltung entscheiden sie mit darüber, wofür ihre Versichertenbeiträge verwendet werden. In dem Gremium stellt ver.di die große Mehrheit. „Das Gesundheits- und Sozialwesen ist geprägt von einem hohen Krankenstand und hoher Fluktuation“, sagt der ver.di-Gewerkschaftssekretär Dietmar Erdmeier, der am Freitag, 20. Oktober 2023, in Dresden zum neuen Vorstandsvorsitzenden der Selbstverwaltung gewählt wurde. „Unsere große Aufgabe ist es, die Betriebe dabei zu unterstützen, besseren Gesundheitsschutz umzusetzen.“ Dabei kommt seiner Meinung nach den Aufsichtspersonen der BGW eine wichtige Rolle zu. Ihre Zahl müsse dringend aufgestockt werden.

Aktuell sei die Berufsgenossenschaft etwa für 670.000 Betriebe zuständig, bei den allermeisten handele es sich um kleine Einrichtungen. Dafür gebe es noch zu wenige  Aufsichtspersonen. „Sie schaffen es sicher in 20 Jahren nicht, jede Kita oder Praxis aufzusuchen“, gibt Dietmar Erdmeier zu bedenken. Das führe dazu, dass zum Beispiel eine Pflegekraft in der Altenpflege völlig unterschiedlichen Arbeitsbedingungen ausgesetzt sei – je nachdem, ob sie im stationären Bereich bei einem großen Träger angestellt ist, der viel besser beraten und kontrolliert werden kann, oder bei einem kleinen ambulanten Dienst. „Wir wollen bei allen Betrieben ein Bewusstsein dafür schaffen, dass bessere Arbeitsbedingungen allen zugutekommen.“

Der Gewerkschafter hebt hervor, dass die Gefährdungsbeurteilung – neben Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen – ein wichtiges Instrument ist, um die Arbeitsbedingungen in den Einrichtungen konkret zu verbessern. Per Gesetz ist vorgeschrieben, dass alle Betriebe regelmäßig überprüfen müssen, ob Gefahren für die Gesundheit am Arbeitsplatz drohen. „Doch nur eine Minderheit setzt die Vorgabe tatsächlich um“, kritisiert Dietmar Erdmeier. Der BWG-Vorstandsvorsitzende empfiehlt, regelmäßig eine Gefährdungsbeurteilung durchzuführen. „Das hilft enorm, um die Gesundheit der Beschäftigten zu schützen.“

 

„Wenn alle Betriebe eine Gefährdungsbeurteilung ernsthaft durchführen und Maßnahmen ableiten, ist schon viel geschafft.“

Susann Czekay-Stohldreier, Leiterin für Personalentwicklung / Betriebliches Gesundheitswesen in einem Hamburger Krankenhaus

Auch Susann Czekay-Stohldreier ist überzeugt: „Wenn alle Betriebe eine Gefährdungsbeurteilung ernsthaft durchführen und Maßnahmen ableiten, ist schon viel geschafft.“ Der Leiterin für Personalentwicklung / Betriebliches Gesundheitswesen in einem Hamburger Krankenhaus liegt vor allem sehr am Herzen, die psychische Belastung am Arbeitsplatz in den Fokus zu rücken. „Alles wird immer schneller“, sagt sie. „Der Stress auf der Arbeit nimmt stetig zu.“ Das gelte besonders auch für das Gesundheits- und Sozialwesen. Leistungsverdichtung und Personalmangel machten den Beschäftigten sehr zu schaffen. Doch oft hapere es auch an der Arbeitsorganisation, sagt die neue Vorsitzende der BGW-Vertreterversammlung: Zum Beispiel seien Prozesse schlecht organisiert, es fehle an Informationen oder die Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen gestalte sich schwierig. „Manchmal lassen sich Belastungen schon mit einfachen Mitteln reduzieren, manchmal braucht es etwas mehr.“ Wichtig sei vor allem, die Beschäftigten einzubeziehen. Sie wüssten am besten, was sie auf der Arbeit stresst – und welche Lösungen sinnvoll sein können.

Als Beispiel führt Dietmar Erdmeier an, dass Kolleg*innen in der Radiologie davon gestresst sind, dass ständig das Telefon klingelt und sie deshalb gar nicht zu ihrer Arbeit kommen: Dauernd rufen Abteilungen an und wollen Patient*innen schicken. Mit klaren Uhrzeiten für Erreichbarkeiten könne leicht Abhilfe geschaffen werden, sagt der Gewerkschafter. Das gilt zum Beispiel auch für Kitas: Wenn Erzieher*innen ständig von Eltern zwischen Tür und Angel in Gespräche verwickelt werden, kann es sinnvoll sein, einmal pro Woche feste Elternsprechzeiten einzuplanen. „Vorgänge gut zu strukturieren, muss gar nicht teuer sein.“

Bei der Gefährdungsbeurteilung gilt es, jeden einzelnen Arbeitsplatz genau unter die Lupe zu nehmen. Die Berufsgenossenschaft stellt Verfahren für die Betriebe bereit. Dabei sei auch der Schutz vor Gewalt ein ganz wichtiges Thema, sagt Susann Czekay-Stohldreier. „Dafür wollen wir in den Betrieben ein stärkeres Bewusstsein entwickeln.“ Sowohl verbale wie auch körperliche Attacken nehmen immer zu. Eine Umfrage der BGW zeige auf, wie viel Gewalt Beschäftigte in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen ausgesetzt seien. „Das ist erschreckend“, betont die Vorsitzende der Vertreterversammlung. Viele Betriebe seien noch zu wenig sensibilisiert, dass es sich dabei um ein wichtiges Arbeitsschutzthema handele. Räumliche und personelle Maßnahmen könnten viel bewirken. So sei zum Beispiel erwiesen, dass lange Wartezeiten die Menschen aggressiv machten. „Die Betriebe müssen erkennen, dass sie dringend etwas tun müssen“, sagt Susann Czekay-Stohldreier.

 

Kontakt

  • Dietmar Erdmeier

    Be­rufs­ge­nos­sen­schaft Ge­sund­heits­dienst und Wohl­fahrts­pfle­ge (BGW), Ar­beits- und Ge­sund­heits­schutz

    030/6956-1815