Arbeitsbedingungen von Erzieher*innen

14.02.2019

Arbeitsbedingungen von Erzieherinnen – Ermittlung von Belastungen auf den Prüfstand stellen

Dr. Peter Koch ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Psychosoziale Medizin - Institut für Versorgungsforschung in der Dermatologie und bei Pflegeberufen (IVDP). Er hat sich in mehreren Forschungsprojekten mit den Arbeitsbedingungen von Erzieherinnen auseinandergesetzt.

Seine Forderung: Um die Arbeitsbedingungen von Erzieher*innen adäquat zu erfassen und Veränderungen zu bewirken, müssten gerade auch in den Klein- und Kleinstbetrieben aus diesem Bereich Gefährungsbeurteilen durchgeführt werden und wenn es um Berufskrankheiten geht, ist dringend Forschungsbedarf anzumelden.

 
Dr. Peter Koch, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Psychosoziale Medizin - Institut für Versorgungsforschung in der Dermatologie und bei Pflegeberufen (IVDP)

Herr Dr. Koch, Sie haben die Arbeitssituation und die Arbeitsbedingungen von Erzieherinnen in Kindertagesstätten untersucht. Was war der besondere Ausgangspunkt Ihrer Arbeit?

Der Ausgangspunkt für unsere Untersuchungen war die Situation, dass wir über den Betriebsarzt eines Trägers für Kinder- und Jugendeinrichtungen die Information bekamen, dass eine kleine Anzahl von Erzieher*innen eigeninitiativ anfing, bei der Arbeit Otoplastiken zu tragen, das ist einindividuell angepasster Gehörschutz mit Sprachverständlichkeit.

Wie sind Sie bei den Projekten vorgegangen?

In enger Kooperation mit Geschäftsführung, Mitarbeitervertretung und Betriebsarzt haben wir zwei Projekte initiiert. Erstens eine Evaluation einer betrieblichen Präventionsmaßnahme, bei der allen MitarbeiterInnen Otoplastiken angeboten wurden. Die Teilnehmer*innen wurden dann zu Beginn der Studie und nach einem Jahr zu Lärmbelastung und Burnout befragt. Zweitens haben wir anhand von zwei Mitarbeiterbefragungen untersucht, wie häufig arbeitsbezogene psychosoziale Belastungen vorkommen und inwiefern sie Einfluss auf das Entstehen von Burnout und muskuloskelettalen Beschwerden haben. Dabei haben wir uns im Grunde der Methode einer psychischen Gefährdungsbeurteilung bedient, die ja in regelmäßigen Abständen bei Beschäftigten laut Arbeitsschutzgesetz durchgeführt werden soll.

Was waren die zentralen Ergebnisse?

In der Otoplastikenstudie haben wir beobachten können, dass die Geräte nicht viel getragen wurden und das Trageverhalten über die Zeit schlechter geworden ist. Dies drückte sich auch in der geringen Zufriedenheit mit den Geräten über die Zeit aus. Dementsprechend waren auch keine Verbesserungen hinsichtlich der subjektiven Lärmbelastung und des Burnout zu beobachten. Eine wichtige Erkenntnis waren die Ergebnisse der raumakustischen Messungen. Hier zeigte sich, dass bei der Mehrheit der Einrichtungen die raumakustischen Gegebenheiten suboptimal waren. Dies zeigte sich z.B. anhand von fehlenden/falsch monierten Schallabsorbern, fehlende Schrittschalldämmung, zu viele glatte Flächen (Fenster) sowie durch zu viele Kinder in den Räumen. Ab einer gewissen Anzahl von geräuscherzeugenden Personen in einem Raum haben schallreduzierende Maßnahmen auch keine Wirkung mehr. In der zweiten Untersuchung konnte beobachtet werden, dass über die Hälfte der TeilnehmerInnen eine psychosoziale Belastung vorwies und dass diese Personen auch ein hohes Risiko für das Entstehen von Burnout und muskuloskelettalen Beschwerden hatten.

Gibt es bei der Berufsgruppe der Erzieherinnen „typische“ Belastungen?

Als hervorzuhebende Ursache für eine Reihe von Belastungen ist natürlich der Fachkräftemangel zu nennen. Dieser erzeugt in der Folge Arbeitsverdichtung, längere Arbeitszeiten und natürlich auch einen gewissen Lärmpegel durch die Kinder. Weiter zu nennen sind Beanspruchungen des Muskel- und Skelettapparates von ErzieherInnen, da die Arbeitsumgebung in erster Linie für Kinder passend gestaltet ist. Des Öfteren fehlen in den Einrichtungen entsprechende Erwachsenenmöbel. Durch die saisonabhängige Gestaltung des Tagesprogrammes ist hier auch die UV Strahlung zu nennen. Auch die ständige emotionale Verfügbarkeit der ErzieherInnen für die Kinder kann sich zu einer emotionalen psychosozialen Belastung entwickeln. Aus Untersuchungen weiß man, dass die fehlende gesellschaftliche Anerkennung, finanzielle Wertschätzung des Berufes sowie sanierungsbedürftige Räumlichkeiten/mangelnde Ausstattung eine hohe psychosoziale Belastung darstellen können. Hinzu kommen strukturbezogene Belastungen wie der steigende Anteil der U3-Kinder in Kitas und Tagespflege, Inklusion von Menschen mit Behinderung sowie interkulturelle und sprachliche Anforderungen.

Können Erzieherinnen allein durch Verhaltensänderungen ihre Belastungen reduzieren?

In erster Linie ist der Arbeitgeber dafür verantwortlich, die beruflichen Belastungen zu reduzieren. Nach dem Arbeitsschutzgesetz sind dabei in erster Linie technische und nachfolgend organisatorisch und zuletzt verhaltens-bzw. personenbezogene präventive Maßnahmen durchzuführen. Das heißt der Arbeitgeber hat die Aufgabe und die Verantwortung, eine belastungsarme Arbeitsumwelt zu schaffen, um dadurch alle Beschäftigten zu schützen. Verhaltens- bzw. personenbezogene präventive Maßnahmen sind in ihrer Effektivität als zusätzliche und eher als nachrangige Maßnahme zu verstehen, da das menschliche Verhalten das schwächste Glied in der Präventionskette ist.

Arbeitgeber sind gehalten, Gefährdungsbeurteilungen durchzuführen. Wie ist dazu die Situation bei den Trägern von Kindertagesstätten?

Generell kann anhand von Befragungen über alle Branchen zusammengefasst werden, dass, je kleiner die Einrichtung ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass keine betriebliche Gefährdungsbeurteilung durchgeführt wird. In einer Befragung über alle Branchen z.B. wurde in 36% der Fälle die Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung bestätigt1, dies wurde vorwiegend in Großbetrieben beobachtet. Da Kindertagesstätten oft Klein- und Kleinstunternehmen sind, kann man davon ausgehen, dass in diesen Einrichtungen seltener Gefährdungsbeurteilungen durchgeführt werden. Als Gründe für fehlende oder lückenhaft durchgeführte Gefährdungsbeurteilungen werden oft aufgeführt: Unwissenheit bzgl. der Durchführung, kein Personal, Gesundheitsschutz spielt eine untergeordnete Rolle sowie die Problematik, wie man mit psychischen Belastungen umgehen sollte.

Wo müsste ein präventiver Ansatz des Arbeitsschutzes und der Gesundheitsförderung ansetzen?

Abgesehen von den zu verbessernden Rahmenbedingungen für ErzieherInnen, die in erster Linie von der Politik regulierbar wären und sicher auch ein sehr großen Einfluss haben, müssen Belastungen bzw. Gefahren auf Betriebsebene priorisiert werden. Dazu dient im Grunde genommen die Systematik der betrieblichen Gefährdungsbeurteilung. Hier werden nach Eintrittswahrscheinlichkeit, Häufigkeit und der Folgenschwere Belastungen priorisiert und entsprechende präventive Maßnahmen geplant, durchgeführt und evaluiert. Für Unternehmen, die keine oder wenig Erfahrung mit der Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen haben, gibt es immer die Möglichkeit, beim Unfallversicherungsträger oder beim Staatlichen Amt für Arbeitsschutz dazu Nachfragen zu stellen. Es gibt mehrere gut ausgearbeitete Vorlagen für Gefährdungsbeurteilungen in Kindertagesstätten, die bei den Unfallversicherungsträgern erhältlich sind.

Sind die, bei Erzieherinnen aufgezeigten Belastungen eigentlich geeignet, eine Berufskrankheit auszulösen?

Zum Teil können arbeitsbezogene Belastungen von ErzieherInnen Berufskrankheiten auslösen. Dies trifft unter besonderen Bedingungen für bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule zu. Typische Kinderkrankheiten (Infektionen), durch allergisierende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen oder Hauterkrankungen sind weitere mögliche Beispiele. Lärmschwerhörigkeit oder Kniegelenkarthrose sind bei ErzieherInnen derzeit keine durch arbeitsbezogene Belastungen ausgelösten Berufserkrankungen.

Gibt es dazu bereits (geschlechtsspezifische) Untersuchungen?

Bei klassischen Lärmarbeitsplätzen, wie sie in der Industrie vorkommen, bedeutet das Vorliegen von einem mittleren Schalldruckpegel von über 85 dB, dass der Arbeitsgeber den Beschäftigten Gehörschutz anbieten muss. Es gibt in internationalen Studien Hinweise, dass die objektive Lärmbelastung von ErzieherInnen punktuell über 85 dB liegen kann, ein mittlerer Schalldruckpegel in dieser Höhe wird allerdings nicht beobachtet. Trotzdem können natürlich laute Ereignisse im Leben eines Menschen irgendwann eine Lärmschwerhörigkeit bedingen. Die Kunst dabei ist im Einzelfall abschätzen zu können, inwiefern die berufliche und nicht die im privaten Leben stattgefundene Lärmbelastung, ursächlich für eine Lärmschwerhörigkeit ist. Derzeit plant die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) eine Studie, wo der Hörstatus von ErzieherInnen mit dem Hörstatus von Kontrollpersonen aus der Allgemeinbevölkerung ohne berufliche Lärmbelastung verglichen werden soll. Aus den Ergebnissen dieser Studie verspricht man sich eine genauere Einschätzung, inwiefern die Lärmbelastung von ErzieherInnen eine berufliche bedingte Lärmschwerhörigkeit auslösen könnte. Dasselbe Studiendesign wäre auch für die Frage nach einer berufsbedingten Kniegelenksarthrose geeignet. Geschlechterspezifische Studien gibt es derzeit nicht, da in den Betrieben die Anzahl männlicher Beschäftigten oft sehr gering ist, so dass aufgrund von geringen Fallzahlen diese Ergebnisse nicht aussagekräftig sind.

1 Beck D, Lenhardt U. Verbreitung der Gefährdungsbeurteilung in Deutschland. In: Prävention und Gesundheitsförderung. Volume 7, Nummer 2, 2009

Kontakt: Dr. Peter Koch, IVDP, Bethanien-Höfe Eppendorf, Martinistr. 41, 20251 Hamburg, E-Mail: p.koch@uke.de

 

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