Silvia Thimm ist für ver.di Mitglied des Vorstandes der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege, kurz BGW. Ein wichtiges Ziel der Berufsgenossenschaft sowie der Unfallkassen ist die Vorsorge. Das heißt, sie arbeitet daran mit, Arbeitsunfälle, Berufskrankheiten und arbeitsbedingte Gesundheitsrisiken zu vermeiden.
Ganz in diesem Sinn hat Silvia Thimm an einer Muster-Betriebsvereinbarung mitgearbeitet, in der der Beschäftigtenschutz bei einer chronischen Infektion und Besiedelung mit multiresistenten Bakterien, zum Beispiel MRSA, geregelt wird. Wie kam es dazu, was steht in dem Muster zur Betriebsvereinbarung drin und warum ist das Thema wichtig? Ein Gespräch mit der ver.di-Kollegin Silvia Thimm.
Du hast ein Muster für eine Betriebsvereinbarung für den Schutz von Beschäftigten mitentwickelt, speziell zu chronischen Infektionen wie Hepatitis, HIV-Infektion, Corona sowie MRSA, also Bakterien, gegen die kein Antibiotikum hilft. Warum war das nötig? Gibt es so etwas bisher nicht?
Nein, die gibt es bisher noch nicht. In einem Tarifvertrag (TV-BG-Kliniken) gibt es seit 2008 eine Regelung zu nosokomialen Infektionen. Ansonsten wird der Beschäftigtenschutz eher im Rahmen des Infektionsschutzes für die zu betreuenden Personen mitgeregelt. Dass dieses gute Ergebnis zustande kam, hat einen langen Vorlauf und ist einer Vielzahl von Mitstreitenden zu verdanken.
Besonders hervorheben möchte ich dabei die ver.di-Kolleg*innen als Versichertenvertretung in der BGW, die Hauptgeschäftsführung der BGW und die Freiburger Forschungsstelle Arbeits- und Sozialmedizin (FFAS). Wir haben uns besonders mit multiresistenten Erregern beschäftigt. Laut Robert-Koch-Institut gibt es jedes Jahr ungefähr 25.000 Tote aufgrund von MRSA. Wir haben dabei lernen müssen, dass diese Erreger ein Eigenleben haben und sich verändern und auf neu entwickelte Antibiotika reagieren, sich dagegen wehren.
Vielleicht kannst du noch einmal kurz erklären, was MRSA eigentlich ist. Eine Besiedelung ist keine Infektion oder Erkrankung, richtig? Was heißt und bedeutet das für Beschäftigte?
Genau, das ist keine Krankheit. Wenn ich besiedelt bin, die Erreger also zum Beispiel in der Nase habe, kann es sein, dass mir das gar nichts ausmacht. Erst wenn ich krank werde, wird die Besiedelung zu einem Problem. Bei einer Verletzung, wie einem Schnitt oder Stich, kann diese in der Folge der MRSA-Besiedelung zu einer massiven Entzündung führen. Hier ist der Arbeitgeber in der Pflicht, den Schutz vor multiresistenten Bakterien zum Beispiel bei der Gefährdungsbeurteilung zu bedenken. Und die Berufsgenossenschaft beziehungsweise der Unfallversicherungsträger muss im Blick haben, dass hier die Unfallgefahr beziehungsweise Gesundheitsgefährdung höher ist, also wenn jemand besiedelt ist und sich dann verletzt.
Unser Eindruck vor der Ausarbeitung der Betriebsvereinbarung war allerdings, dass es schon unter Fachleuten viel Wildwuchs und jede Menge Ratlosigkeit gab. Also haben wir eine Umfrage gemacht, wie der Stand in den Kliniken ist. Ist das Problem bekannt, wie geht ihr damit um und gibt es bei euch Regelungen dazu?
Die meisten haben schon einmal davon gehört: multiresistente Keime oder Erreger, kurz MRSA. Es handelt sich dabei um Bakterien, und zwar solche, die Antibiotika abwehren, sodass sie nicht wirken – mit zum Teil lebensbedrohlichen Folgen. Auch für Beschäftigte können sie zu einem Risiko werden. Daher ist es gut, eine Regelung für einen solchen Fall zu haben, zum Beispiel in Form einer Betriebsvereinbarung.
Denn gibt es einen MRSA-Ausbruch in einem Krankenhaus, ist meist erst einmal unklar, woher der Erreger kommt. Es erkranken immer mehr Patient*innen, was wiederum die Gefahr einer Ansteckung für die Beschäftigten in der Pflege, ebenso wie für das Reinigungspersonal oder die Ärzt*innen erhöht. In solchen Fällen muss das Krankenhaus sofort die staatlichen Gesundheitsbehörden vor Ort informieren. Von dort aus werden dann Schutzmaßnahmen ergriffen, die auch die Rechte von Beschäftigten, zeitweise, einschränken können. Das gilt es durch gute Schutzmaßnahmen zu verhindern.
Ausführliche Informationen zu MRSA bietet unter anderem die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung an: MRSA - infektionsschutz.de
Und was kam dabei heraus?
Dass der Fall einer MRSA-Besiedelung im Rahmen des Infektionsschutzgesetzes für die Patient*innen gut beschrieben ist – und die Kliniken und Pflegeeinrichtungen offenbar davon ausgehen, dass es damit für die Beschäftigten auch geregelt ist. Das ist aber mitnichten der Fall.
MRSA-Schutzmaßnahmen für Pflegepersonal sowie für die übrigen Beschäftigten werden in den allgemeinen Hygienerichtlinien aufgegriffen, wobei die Einhaltung und Kontrolle in den Einrichtungen je nach Arbeitsbelastung unterschiedlich sein kann. Der Arbeitgeber hat laut der Biostoffverordnung eine besondere Fürsorgepflicht. Diese regelt den Schutz vor Infektionen in Gesundheits- und Sozialberufen.
Fast die Hälfte der Befragten hat bei unserer Umfrage aber gesagt, dass die MRSA-Besiedelung bei ihnen in der Klinik bagatellisiert, kleingeredet wird. Bei vielen gibt es auch kein strukturiertes Verfahren, was im Fall der Fälle zu tun ist. Und ein Drittel hat angegeben, dass sie Probleme bekommen haben, wenn sie besiedelt waren. Dabei hat die Unfallversicherung dafür zu sorgen, dass Betroffene den Schaden ersetzt bekommen – weil das ein erhöhtes Risiko für die Beschäftigten im Gesundheitswesen ist.
Also habt ihr die Betriebsvereinbarung entwickelt?
Als Erstes haben wir ein Positionspapier der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege, kurz BGW, entwickelt. Damit wollten wir und haben wir auch erreicht, dass die Zuständigkeit der Unfallversicherungsträger zur Zuständigkeit der Arbeitgeber geschärft wird.
Warum ist uns das wichtig gewesen? Weil der Beschäftigtenschutz Aufgabe des Arbeitgebers ist und im Falle einer Erkrankung der Unfallversicherungsträger zuständig ist - das gilt auch für die Vermeidung einer MRSA-Besiedelung. Hier ist das Motto: Alles aus einer Hand! Von der die Akut-Versorgung, der Rehabilitation und gegebenenfalls bei bleibenden Schäden auch eine (Teil-) Rente. Wenn eine Infektion bei der Arbeit passiert, dann ist die Unfallversicherung zuständig und sie kümmert sich auch. Das gilt für alle versicherten Personen.
Schutzmaßnahmen für Beschäftigte ergeben sich aus
Wie seid ihr dann darauf gekommen, eine Muster-Betriebsvereinbarung zu erarbeiten?
Es gab 2018 ein Forschungsprojekt der Freiburger Forschungsstelle zu Infektionen im Gesundheitswesen, zunächst für HIV-Infektionen und Hepatitis. Den Auftrag dazu hat die BGW auf Betreiben der ver.di-Kolleg*innen um die MRSA-Besiedelung erweitert. Im Zuge dessen wurde eine Betriebsvereinbarung entwickelt. Die beruhte auf den Erfahrungen von Betriebsärzt*innen, die das Ausbruchsgeschehen bei Beschäftigten erlebt und begleitet haben. Diese haben wir mit Rechtsbeistand von ver.di noch um die Punkte Prävention, also Vorsorge, und den Kündigungsschutz ergänzt.
Bei der HIV-Infektion oder Hepatitis besteht im Unterschied zur MRSA-Besiedelung sofort eine Erkrankung. Bei HIV-Infektionen gibt es Medikamente, um die Viruslast zu senken und ganz normal arbeiten zu können. Hepatitis ist mittlerweile auch ganz gut therapierbar. Zum Teil sind die Betroffenen auch hier wieder arbeitsfähig. Die Besiedelung mit MRSA allein ist noch keine Krankheit. Das ist erst so, wenn eine Entzündung/Infektion entsteht.
Welche Punkte gehören denn überhaupt in eine solche Betriebsvereinbarung?
Es ist grundsätzlich wichtig, das Gesundheitsrisiko im Umgang mit infizierten und besiedelten Menschen ernst zu nehmen – und nicht zu meinen, weil man jeden Tag mit Keimen umgeht, wird schon nichts passieren.
Dann ist, wie ich schon sagte, die Vorsorge ein ganz wichtiger Punkt. Das heißt, dass es auf Wunsch von Beschäftigten eine Testung gibt, die der Arbeitgeber bezahlt, wenn jemand mit Patient*innen mit einer Infektion oder MRSA-Besiedelung gearbeitet hat. Auch die sogenannte Sanierung, also falls eine MRSA-Besiedelung festgestellt wird, muss der Arbeitgeber bezahlen. Denn weil es sich dabei nicht um eine Krankheit handelt, kann der Hausarzt auch niemanden krankschreiben. Dann hängt man als Beschäftigter sonst zwischen den Stühlen.
Auch vor einer Stigmatisierung und Ausgrenzung gilt es die Beschäftigten mit Hilfe der Betriebsvereinbarung zu schützen.
Und wenn ich nun infiziert oder besiedelt bin, kann ich dann nicht mehr im Krankenhaus arbeiten?
Es ist wichtig, mit Hilfe der Betriebsvereinbarung zu regeln, was das im Fall der Fälle für das Berufsleben bedeutet. Es gibt Arbeitgeber, die sofort sagen, „du darfst nicht mehr mit Patient*innen arbeiten“. Wir möchten aber, dass die Kolleg*innen weiter ihren Lebensunterhalt verdienen können. So eine MRSA-Besiedelung ist allerdings nicht leicht wegzuwischen und was passiert dann, wenn die Behandlung länger als 6 Wochen dauert und dann kein Krankengeld mehr gezahlt wird?
Es sollte in der Betriebsvereinbarung daher eine Entgeltfortzahlung geregelt werden und dass der Arbeitsplatz erhalten bleibt. Der Arbeitgeber kann Betroffene bei gleichem Gehalt an anderer Stelle einsetzen, etwa während der Zeit der Sanierung.
Eine Fallkonferenz kann außerdem ein gutes Mittel sein, um sich dazu zu beraten. Aber dafür muss ein Rahmen in der Betriebsvereinbarung festgelegt sein. Wer muss dabei sein und welche Absprachen müssen getroffen werden?
Und wenn es hart auf hart kommt, lässt sich das in der Betriebsvereinbarung regeln?
Ja, auf jeden Fall. Es lässt sich zum Beispiel vereinbaren, dass eine Kündigung wegen einer Infektion oder MRSA-Besiedelung unwirksam ist. Da gilt auch Paragraf 1 des AAG, also des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes. Es kann ja nicht sein, dass jemand sich bei der Arbeit infiziert oder besiedelt wird und der Arbeitgeber die Person dann entlässt. Wir gehen davon aus, dass es sich bei einer Besiedelung mit multiresistenten Bakterien, also MRSA, um eine konkrete Gefahr der sogenannten nosokomialen Infektion handelt, also eine, die Beschäftigte bekommen, wenn sie jemanden im Krankenhaus oder einer Pflegeeinrichtung medizinisch behandeln.
Was ist das Ziel einer solchen Betriebsvereinbarung, was lässt sich im besten Fall erreichen?
Auf jeden Fall eine Sensibilisierung für den Umgang mit Beschäftigten, die infiziert oder besiedelt sind. Mit ihrer Hilfe können Arbeitgeber und Beschäftigte außerdem zeigen, wie das weitere Berufsleben im Falle einer Infektion oder MRSA-Besiedelung gestaltet werden kann. Es ist nicht selten, dass der Arbeitsplatz ernsthaft auf dem Spiel steht. Aber man kann meist gut und gesund weiterarbeiten, ohne andere zu gefährden.
Für wen ist die Muster-Betriebsvereinbarung gedacht, kann ich mir die einfach herunterladen?
Ja, genauso ist es gedacht. Wir sprechen natürlich in erster Linie Personal- und Betriebsräte sowie Mitarbeitervertretungen damit an. Auf der jeweiligen Rechtsgrundlage dieser Gremien (PerVG, BetrVG oder MAV-O usw.) lässt sich dieses Muster für jeden Betreib in die entsprechende Fassung bringen.
Aber auch für die Schwerbehindertenvertretungen, ver.di-Vertrauensleute und alle Kolleg*innen ist das Dokument hilfreich. Wir wollen damit zeigen, dass eine Infektion oder MRSA-Besiedelung kein K.o.-Kriterium für das weitere Berufsleben ist. Bitte nicht den Kopf in den Sand stecken!
Eine Frage noch zu dir als Mitglied des Vorstandes der BGW. Wie bist zu dazu gekommen?
Ich bin im Rahmen der Sozialwahl 2005 in die Selbstverwaltung der BGW gewählt worden. Die Sozialwahl lief ja gerade wieder. Die Leute eures Vertrauens, die ver.di-Kolleg*innen, haben eure Anliegen auf dem Schirm. Sprecht sie an, gemeinsam kann man viel bewegen. Ich bin 2011 das erste Mal über die ver.di-Liste in den Vorstand der BGW gewählt worden und nach wie vor dabei.
Sucht ihr noch Mitstreiter*innen?
Die Kandidat*innen für die kürzliche Sozialwahl standen natürlich schon fest. Aber am Regelwerk mitzuarbeiten, das geht immer. Jede*r kann schauen, welcher ver.di-Kolleg*in Mitglied in der Vertreterversammlung der BGW ist und ihn oder sie gern einfach mal ansprechen und sagen, „Mensch, wir haben im Betrieb folgendes Problem, könnt ihr uns bei der Lösung unterstützen?“.
Ich bin aber auch darüber hinaus als Gewerkschaftskolleg*in aktiv, zum Beispiel als Mitglied im Ausschuss biologische Arbeitsstoffe beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Da konnten wir gemeinsam die Frage der Bereitstellung und Aufbereitung von Kitteln durch den Arbeitgeber zum Beispiel im Pflegebereich klären. Es wird dazu eindeutige Formulierungen im Regelwerk geben, die TRBA 250 ist gerade in Überarbeitung. Diese Regelungen sind für den Arbeitgeber verbindlich und somit eine gute Grundlage für die Betriebs- und Personalräte zur Durchsetzung der Rechte. Damit hat sich dann jeder Streit dazu erledigt. Das sind die Dinge, die Arbeits- und Gesundheitsschutz für mich so spannend machen. Und so macht Gewerkschaftsarbeit doch Spaß, oder?
Zur Person:
Silvia Thimm ist ver.di-Mitglied, im Vorstand der BGW und als Gewerkschaftskolleg*in in verschiedenen Gremien aktiv. Zum Beispiel ist sie Mitglied im Ausschuss biologische Arbeitsstoffe beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Thimm ist gelernte Krankenschwester und hat 20 Jahr in der Pflege gearbeitet. Sie war in den 27 Jahren der Personal- und Betriebsratsarbeit 6 Jahre freigestellte Vorsitzende.
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Berufsgenossenschaft Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW), Arbeits- und Gesundheitsschutz
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