Das Recht der Berufskrankheiten soll weiterentwickelt werden. Im Jahr 2019 plant die Bundesregierung eine umfassende Reform. Grund genug für ver.di sich in diese Debatte einzumischen. Wir setzen uns dafür ein, dass die Belastungen und Beanspruchungen der Dienstleistungsarbeit auf der Reformagenda stehen, mit besonderem Augenmerk auf die Arbeit im Gesundheits- und Sozialwesen.
Die Gewerkschaften sehen seit langem Reformbedarf für das Berufskrankheitenrecht. Denn die bisherige Form erfasst die neuen Beanspruchungen und Belastungen in der Arbeitswelt nicht, ist zu restriktiv angelegt und benachteiligt Erkrankte. Neben einer zügigen Erweiterung der Liste anerkannter Berufskrankheiten, fordert ver.di vereinfachte Verfahren zur Ermittlung und Entschädigung von arbeitsbedingten Erkrankungen, die noch nicht gelistet sind. Außerdem muss der Unterlassungszwang aufgegeben werden und die Beweislast durch Expositionsbeschreibungen in der Gefährdungsbeurteilung erleichtert werden. Zudem sollten posttraumatische Störungen anerkannt werden, die als Folge von Arbeitsunfällen auftreten. Auch die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) fordert die Weiterentwicklung des Rechts der Berufskrankheiten und hat dazu ein umfangreiches Weißbuch vorgelegt hat. Zusätzlich fordern Gewerkschaften und DGUV die Verbesserung der Ursachenermittlung und weitere Forschungsinitiativen.
Besonderer Wert sollte dabei auf die geschlechtsspezifischen Wirkungen von Belastungen und Beanspruchungen an den Arbeitsplätzen gelegt werden. Denn Männer und Frauen unterscheiden sich sowohl in ihren biologischen Eigenschaften als auch bei Gesundheit und Krankheit. Nicht immer wird das bei Diagnose und Behandlung berücksichtigt. Die Frauenberufe im Gesundheitswesen und im Bereich der sozialen Dienste weisen erhebliche Belastungen an den Arbeitsplätzen auf. Doch in der Entwicklung des Berufskrankheitengeschehens finden sich die Pflege- und Erziehungsberufe nicht wieder.
Die geschlechtssensible Ermittlung und Bewertung des Berufskrankheitengeschehens sollte daher eines der zentralen Reformprojekte darstellen. Die arbeitswissenschaftliche Forschung hat ein jahrzehntelanges Defizit aufzuholen. Denn die geschlechtsspezifische Ermittlung von Belastungen und Beanspruchungen und die Bewertung ihrer Auswirkungen als arbeitsbedingte Erkrankungen wurden lange vernachlässigt. Dabei geht es nicht nur um die Erhebung geschlechtsspezifischer Daten, sondern auch um die sozialpolitisch brisante Tatsache, dass bei Frauen kaum eine Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit und die daraus resultierende Rente anerkannt wurde.
Mit dieser Seite mischt ver.di sich in die Reform des Rechts der Berufskrankheiten ein. Wir zeigen den aktuellen Stand der Debatte, machen am Beispiel der Arbeitsbedingungen von Erzieherinnen deutlich, wo der „Schuh drückt“ und zeigen auf, wo politischer Handlungsbedarf in Sachen Arbeitsschutz und Berufskrankheiten besteht.
Nicht jede Krankheit, die durch eine berufliche Tätigkeit ausgelöst werden kann, wird auch als Berufskrankheit anerkannt. Wie bei Unfällen gilt auch hier ein Kausalzusammenhang. Als Berufskrankheiten werden nur solche Krankheiten bezeichnet, bei denen ein Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit wissenschaftlich belegt ist. Die anerkannten Berufskrankheiten sind in der Berufskrankheitenverordnung der Bundesregierung aufgeführt. Aber selbst wenn bei einem Beschäftigten eine Krankheit auftritt, die in der Liste der anerkannten Berufskrankheiten geführt wird, wird diese nicht automatisch als solche diagnostiziert. So ist es häufig notwendig, einen Nachweis darüber zu erbringen, dass die schädigenden Faktoren am Arbeitsplatz über einen bestimmten Zeitraum vorgelegen haben. Dem Grunde nach wird eine Berufskrankheit erst dann anerkannt, wenn die schädigende Tätigkeit aufgeben wurde (Unterlassungszwang).
Etwas aus der Geschlechterperspektive zu betrachten, bedeutet einen Sachverhalt auf die Zuschreibungen und Folgen biologischer, sozialer und psychologischer Geschlechterunterschiede zu überprüfen. Zur Geschlechterperspektive gehört auch, den Zusammenhang zwischen der geschlechtertypischen Aufteilung des Arbeitsmarktes und den daraus hervorgehenden Belastungen zu beachten. Das bedeutet u.a., im jeweiligen Segment des Arbeitsmarktes für das unterrepräsentierte Geschlecht zu prüfen, ob sich im Vergleich zum überrepräsentierten Geschlecht die Belastungen und Gefährdungen anders auswirken. Im Sinne dieser Definition richtet eine „geschlechtersensible“ Sicht- und Handlungsweise den Blick ausdrücklich auf Frauen und Männer.
Analyse und Forschung, Politik und Praxis müssen so gestaltet werden, dass sie die reale Situation von Frauen und Männern mit ihren jeweiligen Bedürfnissen differenziert abbilden. Indem also vermieden wird, ein Geschlecht als Norm zu setzen, wird zur Verwirklichung von Gleichstellung und Chancengleichheit beigetragen.
Berufsgenossenschaft Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW), Arbeits- und Gesundheitsschutz
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