»Wir haben den Knoten zerschlagen und erstmalig in Schleswig-Holstein eine Vereinbarung für Entlastung an einem Klinikum erreicht«, freute sich die Leiterin des ver.di-Landesbezirks Nord, Susanne Schöttke, am Freitag (13. März 2020). Nach vielen Konflikten und wochenlangen Verhandlungen hat die Gewerkschaft einen Vertrag abgeschlossen, mit dem sich das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) zu zusätzlichen Einstellungen und weiteren Maßnahmen zur Entlastung des Personals verpflichtet. »Das ist ein tarifpolitischer Meilenstein, der ohne das konsequente Auftreten und Engagement der Beschäftigten nicht möglich gewesen wäre«, bilanzierte Schöttke. Vorausgegangen waren etliche Aktionen, ein Warnstreik sowie eine Urabstimmung, in der sich über 97 Prozent der ver.di-Mitglieder für einen unbefristeten Arbeitskampf aussprachen. Die Ausdauer und Entschlossenheit der Beschäftigten an den UKSH-Standorten Kiel und Lübeck waren entscheidend dafür, die bundesweit 17. Entlastungs-Vereinbarung durchzusetzen.
»Wir haben in den letzten Wochen Tag und Nacht verhandelt, geredet und Kompromisslinien ausgelotet, die alle Beteiligten physisch wie auch psychisch an die Grenzen der Belastbarkeit gebracht haben, aber das war es wirklich Wert«, sagte ver.di-Verhandlungsführer Steffen Kühhirt. »Die Beschäftigten haben sich für ihren Einsatz belohnt.« Schleswig-Holsteins Finanzministerin Monika Heinold (Grüne) nannte die Einigung »einen echten Gewinn«. Michael Kiens vom UKSH-Vorstand sprach von der »bestmöglichen Kompromisslinie, die alle an die Grenzen des Möglichen bringt«.
Bis 2023 sollen demnach in den bettenführenden Bereichen stufenweise insgesamt 430 neue Vollzeitstellen eingerichtet werden. Von den 180 zusätzlichen Stellen, die im laufenden Jahr geschaffen werden, sollen 50 dafür sorgen, dass keine Pflegekraft mehr nachts alleine auf der Station ist. Die Personalbesetzung der Intensivstationen soll durch 100 Neueinstellungen verbessert werden, 40 Vollkräfte sind für einen »Entlastungspool« eingeplant. Für diesen will das UKSH ehemalige Pflegekräfte zurückgewinnen, indem ihre besonderen Bedürfnisse bei der Arbeitszeitgestaltung berücksichtigt werden. Außer den 420 Pflegekräften sollen 120 »Unterstützende« eingestellt werden – medizinische Fachangestellte oder einjährig qualifizierte Hilfskräfte, die auf den Stationen kurzfristig für Entlastung sorgen sollen. Sie werden nicht auf die Schichtbesetzung angerechnet.
Auf Grundlage des zusätzlichen Personals sollen auf allen Stationen stufenweise Belastungsgrenzen definiert werden, »die grundsätzlich in jeder Schicht einzuhalten sind«, heißt es in der Vereinbarung. Ab dem 1. Oktober soll es automatische Konsequenzen geben, falls die Vorgaben nicht eingehalten werden. Bis dahin wird eine entsprechende IT-Infrastruktur aufgebaut. Für jeden Einsatz in einer unterbesetzten Schicht soll es dann einen Belastungspunkt geben – für zehn dieser Punkte bekommen die Betroffenen einen zusätzlichen Tag frei. Die Zahl der Entlastungstage ist nicht gedeckelt, aber es können maximal drei am Stück genommen werden.
Zur Verbesserung der Ausbildungsqualität ist unter anderem festgeschrieben, dass zehn Prozent der praktischen Ausbildungszeit mit hauptamtlicher Praxisanleitung stattfindet, weitere fünf Prozent mit situativen Anleitungen. Zudem sollen Auszubildende künftig zehn Urlaubstage im Jahr frei wählen können.
Erstmals ist es in Schleswig-Holstein gelungen, Mindestbesetzungen und Belastungsausgleich auch im Zentrum für Integrative Psychiatrie (ZIP) am UKSH durchzusetzen. Zudem wird in der Vereinbarung festgelegt, dass die Kapazitäten in nicht-bettenführenden Bereichen nur dann erweitert werden können, wenn das dafür nötige Personal zur Verfügung steht. Die Stellen in diesen Bereichen sollen »so zügig und vollständig wie möglich« besetzt werden. Falls Fachkräfte nicht schnell genug gewonnen werden können, ist der Einsatz geringer qualifizierter Beschäftigter als Übergangslösung möglich. Für die Bereiche Dialyse, Endoskopie, Radiologie, Notaufnahmen und Kreißsaal sowie die Physio- und Ergotherapie wollen Land, Klinikvorstand, ver.di und die Personalräte in den kommenden Monaten weitere Maßnahmen entwickeln.
Die Vereinbarung sei »ein Riesenerfolg für alle Beteiligten«, betonte Steffen Kühhirt, der bei ver.di in Norddeutschland für das Gesundheits- und Sozialwesen zuständig ist. »Das, was erreicht wurde, ist von allergrößter Bedeutung für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und bietet dem UKSH eine echte Chance für einen Kulturwandel.« Der Gewerkschafter begrüßte auch die im Vertrag festgeschriebene Unterstützung für eine Initiative der Landesregierung, das Finanzierungssystem über Fallpauschalen (Diagnosis Related Groups, DRG) dahingehend zu überarbeiten, dass sich die Situation in den nicht-bettenführenden Bereichen spürbar verbessert.
Die ver.di-Tarifkommission hat die Vereinbarung zur Annahme empfohlen. Nun werden die ver.di-Mitglieder über das Verhandlungsergebnis befinden. »Die Corona-Pandemie führt allen vor Augen, wie wichtig eine gute Personalausstattung in den Krankenhäusern ist«, erklärte Kühhirt. »Mit der Vereinbarung haben wir den Grundstein dafür gelegt, dass sich die Situation am UKSH in den kommenden Monaten und Jahren deutlich verbessert. Jetzt setzen wir gemeinsam alles daran, die aktuellen Herausforderungen zu bewältigen.«
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