Die Folgen von zwei Jahrzehnten verfehlter Gesundheitspolitik zu korrigieren – das ist ein dickes Brett. Einen wichtigen Durchbruch haben wir jetzt geschafft: Wir haben gemeinsam mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) und dem Deutschen Pflegerat (DPR) ein Instrument zur Personalbemessung für die Pflege auf Grundlage der Pflegepersonalregelung (PPR) entwickelt – die PPR 2.0. Das Verhandlungsergebnis ist ein wichtiger Schritt voran und Verdienst unserer Bewegung für mehr Personal und Entlastung.
Der ver.di-Personalcheck von 2013 und die ver.di-Aktion »Das Soll ist Voll« von 2017 haben gezeigt: Allein in der Pflege sind rund 80.000 zusätzliche Fachkräfte nötig. Deshalb streitet ver.di schon lange für mehr Personal und Entlastung in den Krankenhäusern. Mit bundesweiten Aktionen wie dem Nachtdienstcheck, mit Großdemonstrationen und mit Streiks für Tarifverträge zur Entlastung haben wir für Bewegung und Druck gesorgt.
Wir erwarten, dass Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) den Vorschlag aufnimmt und der Gesetzgeber ihn zügig verpflichtend und bundesweit einheitlich einführt.
Die von ver.di, der DKG und dem DPR entwickelte PPR 2.0 ist ein Instrument zur Bemessung des notwendigen Pflegebedarfs und der Pflegepersonalausstattung im Krankenhaus.
Wir haben die Pflegepersonalregelung (PPR) von 1992 auf Grundlage pflegewissenschaftlicher Erkenntnisse weiterentwickelt. Die Stufen der Grund- und Behandlungspflege (A- und S-Bereiche) einschließlich der Grund- und Fallwerte wurden überarbeitet und ergänzt, die Minutenwerte aktualisiert. Ein Probelauf der PPR 2.0 in 44 Krankenhäusern hat ergeben, dass die PPR 2.0 in der Praxis handhabbar und umsetzbar ist.
Seit langem streiten die Beschäftigten der Krankenhäuser für eine bedarfsgerechte Personalausstattung. Doch was bedeutet das konkret? ver.di, die Deutsche Krankenhausgesellschaft und der Deutsche Pflegerat haben auf Grundlage pflegewissenschaftlicher Erkenntnisse ein Instrument entwickelt, mit dem der Personalbedarf ermittelt werden kann – die PPR 2.0. Wir haben Pflegekräfte gebeten, auf ihren Stationen zu testen, wie sich die Umsetzung des Vorschlags auswirken würde. Hier ihre Berichte. Sie sind nicht repräsentativ, zeigen aber: Die PPR 2.0 würde helfen.
Wir halten die Pflegepersonaluntergrenzen ein. Aber der Test zeigt, wie weit diese von einer bedarfsgerechten Versorgung weg sind. Inklusive der Leitung, einer Leasingkraft und einjährig ausgebildeter Kolleginnen waren im Frühdienst sechs und im Spätdienst vier Pflegekräfte anwesend, plus eine Kollegin im Zwischendienst. Von den 40 Patient*innen waren einige recht aufwändig, viele älter und zum Teil mit Nebenerkrankungen. Hinzu kamen zehn Neuaufnahmen und zwei Isolationen. Das ist schon eine große Belastung. Wäre die Relation von Pflegekräften und Patient*innen wie in der PPR 2.0, hätten wir 40 Prozent mehr Personal und endlich wieder Zeit für Pflege und Zuwendung. Das kommt jetzt zu kurz.
Es waren 23 Patientinnen und Patienten auf der Station, größtenteils aus den mittleren Versorgungsstufen. An diesem Tag hatten wir sechs Neuaufnahmen. Neben der Leitung waren im Frühdienst vier, im Spätdienst drei examinierte Pflegekräfte eingesetzt. Damit wäre die PPR 2.0 nur zu knapp 66 Prozent erfüllt worden. Wir hätten also in jeder Schicht mindestens eine Kollegin mehr gehabt. Das wäre schon ein großer Unterschied. Mit einer solchen Besetzung könnte man gründlich arbeiten, ohne ständig in Hektik zu sein und zu überlegen, was man weglässt.
Obwohl schon sechs Betten gesperrt sind, waren wir an diesem Tag unterbesetzt – auch gemessen an den Mindestvorgaben unseres Tarifvertrags für Entlastung. Mit der PPR 2.0 wären wir noch deutlich besser ausgestattet. Wenn die Sollzahlen nicht eingehalten werden, bekommen wir laut Tarifvertrag zusätzliche freie Tage. Das ist schön, aber eigentlich ist ja eine bessere Schichtbesetzung das Ziel. Ob per Tarif oder PPR 2.0 – wichtig ist, dass die Vorgaben verbindlich sind.
Die PPR 2.0 wäre an diesem Tag nur zu rund 55 Prozent erfüllt worden. Würde sie vollständig umgesetzt, könnte zum Beispiel die interdisziplinäre Arbeit der Pflegekräfte mit den Therapeut*innen viel besser laufen. Es wäre Zeit für persönliche Zuwendung und Gespräche mit Angehörigen. Das wäre richtig gut.
Wir fanden eigentlich, dass die Station an diesem Tag vergleichsweise gut besetzt war. Doch im Vergleich zur PPR 2.0 lagen wir bei nur knapp 68 Prozent des notwendigen Personals. Daran sieht man, wie sehr man sich an den Mangel schon gewöhnt hat. Wenn wir die laut PPR 2.0 nötigen Pflegekräfte hätten, müssten wir nicht ständig verschiedene Tätigkeiten gleichzeitig machen. Wir könnten einen Leitungsdienst haben, der ans Telefon geht, so dass die anderen nicht immer wieder bei der Pflege unterbrochen werden. Wir könnten geplant und in Ruhe unsere Pausen nehmen und pünktlich rauskommen. So sollte es sein.
Ihr wollt auch rechnen? Dann ladet euch dieses Excel-Tool runter. Schickt uns gern euer Ergebnis an gesundheit-soziales@verdi.de
Der Rechner ermittelt anhand von Patienteneinstufungen die erforderliche Ausstattung mit Pflegepersonal für bettenführende Stationen (bisher außer Intensiv und Pädiatrie). Mit der Exceltabelle stellen wir einen Rechner zur Verfügung, mit dem ihr herausfinden könnt, wieviel Personal auf eurer Station eingesetzt werden müsste, wenn die PPR 2.0 wie vorgeschlagen in Kraft gesetzt wird. Die PPR 2.0 wird aktuell vom Ministerium geprüft. Sie ist (noch) kein geltendes Recht. Viele Fragen sind noch nicht geklärt, z.B. die Frage der Fachkrafterfordernis, die Frage nach Konsequenzen, wenn die PPR 2.0 nicht eingehalten wird, und auch, ob der Vorschlag genau in dieser Form übernommen wird. Diese Fragen müssen in den nächsten Schritten, unter Einbeziehung der Krankenkassen und in Vorbereitung einer Umsetzung der PPR 2.0, angegangen werden. Der Rechner eröffnet aber die Möglichkeit, jetzt schon zu testen, wie die PPR 2.0 sich auf eure Station auswirken würde.
Die PPR 2.0 ist das Instrument zur Ermittlung des Pflegepersonalbedarfs in der Krankenhauspflege. Damit die Entlastung im Pflegealltag auf den Stationen und in den Bereichen tatsächlich ankommt, haben wir Eckpunkte zur Umsetzung vereinbart. Sie setzen den Rahmen für die Personalbesetzung der Pflege in den Stationen und Bereichen und für einen Dienstplan, der eine bedarfsgerechte Versorgung der Patientinnen und Patienten unter Einhaltung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes für Beschäftigte sichert. Jedes Krankenhaus muss ein Ausfallkonzept haben, mit dem die Regelbesetzung eingehalten und Überlastung verhindert wird. ver.di, DKG und DPR drängen darauf, dass die PPR 2.0 unmittelbar verbindlich anzuwenden ist.
Die vollständige Umsetzung wird deutlich mehr Pflegepersonal erfordern, deshalb soll es Übergangsregelungen geben. Festgelegt werden muss noch, bis wann die PPR 2.0 zu 100 Prozent umgesetzt sein muss. ver.di plädiert für einen Stufenplan, der verbindlich umgesetzt werden muss. Zu einer konkreten Ausgestaltung war die DKG aber noch nicht bereit. Klar ist: Um Pflegefachkräfte im Krankenhaus zu halten und neue zu gewinnen, braucht es klare Perspektiven. Beschäftigte lassen sich nicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag vertrösten.
»Als Beschäftigte der Charité und als ver.di-Aktive kämpfe ich schon seit Jahren für eine Pflegepersonalbemessung, die sich am Bedarf der Patienten orientiert. Mit der PPR 2.0, als Übergangslösung, gehen wir für alle Normalstationen einen wichtigen, ja sogar großen Schritt in die richtige Richtung. Weitere Bereiche werden folgen. Ich kann nur hoffen, dass das Gesundheitsministerium die PPR 2.0, als Pflegepersonalbedarfsinstrument, rasch in allen Krankenhäusern verbindlich einführt. Zum Internationalen Jahr der Pflegenden wäre das ein gutes Signal.«
Dana Lützkendorf, Krankenpflegerin am Berliner Uniklinikum Charité und für ver.di an den Verhandlungen beteiligt
Die »alte« PPR sah keine Berechnung für den Nachtdienst vor. ver.di hat bei der Weiterentwicklung der PPR 2.0 darauf gedrängt, dass diese Leerstelle durch Mindestvorgaben für alle bettenführenden Stationen und Arbeitsbereiche gefüllt wird. Die Eckpunkte zur Umsetzung sehen deshalb eine personelle Regelbesetzung von grundsätzlich zwei Pflegepersonen im Nachtdienst vor, davon mindestens eine Pflegefachkraft. Ausnahmen gibt es nur für kleinere Stationen.
Die PPR 2.0 und die Eckpunkte zur Umsetzung wurden Mitte Januar Bundesgesundheitsminister Spahn vorgestellt. Dass wir mit DKG und Pflegerat zu einer Einigung gekommen sind, wurde durchaus mit Überraschung aufgenommen – ist es doch eine ungewöhnliche Allianz von großen Akteuren, die ansonsten eher unterschiedliche Positionen vertreten. Viel haben wir erreicht. Am Ziel sind wir noch nicht: Jetzt heißt es dran bleiben. Notwendig sind nun weitere Gespräche im politischen Raum und mit Akteuren im Gesundheitswesen, wie den Krankenkassen.
»Die PPR 2.0 ist ein wichtiges Signal, um mehr Menschen für den Pflegeberuf zu begeistern und im Beruf zu halten. Denn damit wird der Teufelskreis aus schlechten Arbeitsbedingungen, Überlastung und Fachkräftemangel durchbrochen. Diesen Erfolg haben wir unseren vielen Kämpfen in den Betrieben und Aktionen auf der Straße zu verdanken. Mit viel Ausdauer haben sich die Beschäftigten Respekt verschafft. Bis die Entlastung im Alltag ankommt, machen wir weiter.«
Sylvia Bühler, Mitglied im ver.di-Bundesvorstand
Für die weitere Ausgestaltung bis zur Inkraftsetzung muss jetzt zügig eine Regierungskommission gebildet werden, in der neben ver.di, dem DPR und der DKG auch der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung, die medizinischen Fachgesellschaften und weitere Expert*innen vertreten sind. Ziel ist die verpflichtende und bundesweit einheitliche Einführung der PPR 2.0 noch in dieser Legislaturperiode, also vor der Bundestagswahl 2021.
Was noch fehlt: Ein verbindlicher Stufenplan zur Umsetzung, eine Nachweispflicht und Sanktionen. Die Umsetzungsschritte müssen klar geregelt und verbindlich eingehalten werden. Und dafür braucht es eine Nachweispflicht, die für Transparenz sorgt. Wenn verbindliche Vorgaben der PPR 2.0 nicht eingehalten werden, muss das Konsequenzen haben. Darüber müssen auch die Krankenkassen mitentscheiden und letztlich muss die Politik für wirkungsvolle Sanktionen sorgen.
Die Entwicklung und Erprobung eines pflegewissenschaftlich fundierten Personalbemessungsinstruments braucht Zeit. So viel Zeit haben wir nicht. Für die Entlastung der Beschäftigten und eine sichere Patientenversorgung brauchen wir eine schnelle Lösung. Deshalb haben wir als ersten Schritt die PPR 2.0 entwickelt.
Die »Konzertierte Aktion Pflege« der Bundesregierung hat bereits im Juni 2019 als zweiten Schritt vereinbart, dass durch die Selbstverwaltungspartner – DKG und GKV-Spitzenverband – unter Beteiligung der maßgeblichen Akteure ein wissenschaftlich fundiertes Pflegepersonalbemessungsinstrument entwickelt und nach Erprobung zur Umsetzung vorgeschlagen wird. Wir erwarten von der Politik, dass dieser zweite Schritt schnell umgesetzt wird. Hier darf keine weitere wertvolle Zeit verstreichen.
Die Untergrenzen für die Personalausstattung in einigen Bereichen der Krankenhäuser erübrigen sich mit Inkraftsetzung der PPR 2.0. Für die wenigen Fälle, in denen Untergrenzen bessere Regelungen vorsehen, bleiben diese bestehen.
ver.di kritisiert die Untergrenzen als untaugliches Instrument, das den Pflegenotstand legitimiert und Verschiebebahnhöfe im Krankenhaus auslöst. Gleichwohl haben sie in einigen Krankenhäusern zu Personalaufstockungen geführt. Die PPR 2.0 zielt nach Jahrzehnten wieder auf eine bedarfsgerechte Personalausstattung. Zusammen mit den Eckpunkten zu ihrer Umsetzung geht die PPR 2.0 über die vorhandenen Pflegepersonaluntergrenzen hinaus und ist anders als diese nicht auf wenige, vermeintlich »pflegesensitive« Bereiche beschränkt.
Die PPR 2.0 regelt die Personalausstattung für die pflegerische Versorgung erwachsener Patientinnen und Patienten. Sowohl die Intensivmedizin als auch die Kinderheilkunde werden von ihr nicht erfasst. Dies gehen wir mit der DKG und dem DPR zeitnah an. Hierbei werden die bestehenden Vorgaben, Empfehlungen und Instrumente berücksichtigt.
An 16 Kliniken hat ver.di Vereinbarungen zur Entlastung der Beschäftigten erkämpft, die auch Vorgaben zur Personalausstattung enthalten. Sofern diese besser sind als die PPR 2.0 und die Eckpunkte zu deren Umsetzung bleiben die tariflichen Regelungen bestehen.
Zu Beginn der 1990er Jahre konnten sich Krankenkassen und Krankenhausgesellschaft trotz des Pflegenotstands nicht auf Regeln für die Personalausstattung verständigen. Deshalb legte das Bundesgesundheitsministerium mit der PPR eine Personalbedarfsermittlung fest. Sie löste unverbindliche Anhaltszahlen ab.
Die PPR wurde aus der Praxis entwickelt. Es gab jeweils drei Pflegestufen für die allgemeine Pflege (Grundpflege) und die spezielle Pflege (Behandlungspflege), die sogenannten A- und S-Bereiche, sowie einen Fallwert bei Krankenhausaufnahme und einen Grundwert pro Patient*in und Tag. Für die durchschnittliche Pflegeintensität wurden Minutenwerte festgelegt. Jede Patientin und jeder Patient wurde einmal pro Tag einer Pflegestufe zugeordnet. Ausfallzeiten (Urlaub, Krankheit, Fortbildung) wurden zusätzlich berücksichtigt. Die PPR sah keine Berechnung für den Nachtdienst und die Intensivstationen vor. Aus den Minutenwerten aller Patient*innen eines Krankenhauses eines ganzen Jahres wurde der Personalbedarf dieses Krankenhauses ermittelt. Dieser war in der Budgetvereinbarung zu berücksichtigen.
Die verbindliche PPR führte von 1993 bis 1995 zu 21.000 zusätzlichen Beschäftigten – erwartet war ein Zuwachs von 13.000. 1996 wurde die PPR ausgesetzt und 1997 mit dem zweiten GKV-Neuordnungsgesetz außer Kraft gesetzt.
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Bereichsleiterin Gesundheitswesen/Gesundheitspolitik
030/6956-1810
grit.genster@verdi.de
Im ver.di-Mitgliedernetz findet ihr alle Materialien zur Bewegung. In der Gruppe "Klinikpersonal entlasten" findet ihr die Handlungsleitfäden.