ver.di hat das Ziel, den Tarifvertrag für Gesundheitsschutz und mehr Personal an der Charité verbindlicher zu machen. Dafür haben Pflegekräfte Mitte September 2017 eine Woche lang gestreikt. Jetzt wurde der Tarifvertrag wieder in Kraft gesetzt. Heißt das, ver.di ist gescheitert?
Im Gegenteil. Wir sind einen wichtigen Schritt vorangekommen. Denn die Charité hat schriftlich zugesagt, dass die vor anderthalb Jahren vereinbarten Mindestbesetzungen zur Grundlage der Dienstplangestaltung wird. Das heißt: Es wird nicht mehr mit dem Personal geplant, das vorhanden ist, sondern mit dem Personal, das laut Tarifvertrag da sein sollte. Auf dieser Grundlage wird nun darüber verhandelt, was passiert, wenn Dienstpläne nicht eingehalten werden können. Wir wollen dazu verbindliche Regelungen, die automatisch wirken. Zunächst müssen Ausfälle beim Stammpersonal durch den Einsatz von Pool- oder Leasingkräften kompensiert werden. Geht das nicht, müssen die Leistungen eingeschränkt werden – bis hin zur Sperrung von Betten. Zudem sollten die Regelungen einklagbar sein.
Ein solches verbindliches Verfahren wollte die Charité bisher unter allen Umständen vermeiden. Was ist, wenn sie es in den Verhandlungen nun doch nicht akzeptiert?
Dann haben wir weiterhin alle Möglichkeiten. Für den Tarifvertrag gilt ein Sonderkündigungsrecht, das bereits im November 2017 genutzt werden kann. Dann wären wir innerhalb von wenigen Wochen nicht mehr in der Friedenspflicht und könnten den Druck schnell wieder erhöhen. Übrigens ist die Charité zum 1. Oktober 2017 in den Kommunalen Arbeitgeberverband eingetreten. Dennoch gilt für die Klinik der Haustarifvertrag Gesundheitsschutz und Demografie – einen Tarifvertrag, den die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) eigentlich kategorisch ablehnt.
Es gab eine intensive Diskussion unter den Tarifberater/innen und in der ver.di-Tarifkommission darüber, ob man die Verhandlungen unter diesen Umständen wieder aufnimmt. Was waren die Argumente dafür?
Erstens: Unser Ziel ist es, ein Ergebnis zu erzielen, mit dem die vereinbarten Mindestbesetzungen verbindlich in jeder Schicht umgesetzt werden. Das erreichen wir nur am Verhandlungstisch. Zweitens: Die Beschäftigten der Charité handeln in großer Verantwortung gegenüber den Patientinnen und Patienten und der Gesundheitsversorgung der Stadt. Und drittens: Der Arbeitgeber bewegt sich in die richtige Richtung. Das ist ganz klar unserem Druck geschuldet.
War der Druck auf den Arbeitgeber tatsächlich so hoch?
Für die zweite Streikwoche war die Schließung von elf Stationen und insgesamt 600 Betten konkret angekündigt. Wir hätten also sehr schnell bis zu einem Drittel von Europas größtem Uniklinikum lahmgelegt. Natürlich übt das einen enormen ökonomischen und politischen Druck aus. Dem hat der Vorstand nachgegeben. Zu verdanken ist das der phantastischen Streikbereitschaft der Kolleginnen und Kollegen. Sie haben sich ihr Streikrecht nicht nehmen lassen und sich gegen vielfältige Widerstände durchgesetzt. Zugleich zeigen sie hohes Verantwortungsbewusstsein. Davor kann man nur den Hut ziehen.
Zunächst hat sich die Charité geweigert, die Notdienstvereinbarung von 2015 zu unterschreiben. Die Klinik muss demnach nach frühzeitiger Ankündigung dafür sorgen, dass bestreikte Betten oder Stationen nicht belegt werden. Wie habt ihr es geschafft, dass die Charité die Vereinbarung nach wenigen Streiktagen doch noch unterschrieben hat?
Durch Beharrlichkeit und öffentlichen Druck. Wir haben unsere Argumente immer wieder in der Öffentlichkeit und gegenüber der Landespolitik, also dem Eigentümer der Charité, deutlich gemacht. Wir haben klargestellt, dass diese Vereinbarung beim Streik 2015 hervorragend funktioniert und dafür gesorgt hat, dass die Patientensicherheit und das Streikrecht gleichermaßen gewährleistet waren. Sie wurde in zwei Instanzen vom Arbeits- und Landesarbeitsgericht bestätigt. Mit der zynischen Behauptung, jeder könne streiken und die Streikbeteiligung sei gering, hat die Charité-Spitze noch für zusätzliche Empörung gesorgt. Am Ende war der Druck einfach zu groß, deshalb hat sie unterschrieben. Wichtig war auch: Wir haben nie einen Unterschied gemacht zwischen Streikenden und denjenigen, die Notdienst auf den Stationen machen. Sie alle sind Teil der Auseinandersetzung für mehr Personal und Entlastung.
Die Klinikmanager haben auch erklärt, die Streikenden brächten die Charité und den Pflegeberuf in Misskredit.
Das genaue Gegenteil ist der Fall. Wir haben gezeigt: Wir sind stolz auf unsere Arbeit an der Charité. Und wir sind nicht bereit, bei unseren fachlichen Ansprüchen Abstriche zu machen. Dafür setzen wir uns gemeinsam ein. Das ist das beste, was man für die Attraktivität des Pflegeberufs machen kann. Das sehen auch Patient/innen und Angehörige so, von denen wir viel Unterstützung bekommen haben.
Ob Politik, Arbeitgeber oder Krankenkassen – alle haben versagt. Sie haben zugelassen und befördert, dass die Pflege die Ökonomisierung des Gesundheitswesens ausbaden muss. Dagegen wehren sich die Kolleginnen und Kollegen an der Charité mit viel Ausdauer und Selbstbewusstsein. Sie handeln selbständig, um die Pflege attraktiv und zukunftsfähig zu machen.
Ist die Streikbereitschaft weiter da, falls es in den Verhandlungen nicht zu einer befriedigenden Lösung kommt?
Sie ist die ganze Zeit da. Das werden wir auch in den nächsten Woche mit Aktionen unterhalb der Streikschwelle dokumentieren. Wir diskutieren jeden Schritt mit den Tarifberaterinnen und Tarifberatern, die von den Stationen und Bereichen delegiert werden. Alles wird transparent und offen, manchmal auch kontrovers aber immer konstruktiv diskutiert. Die Kolleginnen und Kollegen entscheiden demokratisch, was wir machen. Jetzt haben sie ver.di mit überwältigender Mehrheit beauftragt, »sich konstruktiv-kritisch mit angemessenem Misstrauen auf einen Verhandlungsprozess einzulassen«. Und genau das werden wir tun. Sollte das nichts bringen, sind wir jederzeit in der Lage, den Druck wieder zu erhöhen.
ver.di führt seit April mit der Charité Verhandlungen über die Verbesserung und Weiterführung des Tarifvertrages für Gesundheitsschutz (TV- GS). Ziel ist, den Tarifvertrag verbindlicher zu machen, also Sanktionsmöglichkeiten bei Nicht-Einhaltung festzulegen. Das heißt: Wird festgestellt, dass nicht die vereinbarte Zahl an Pflegekräften eingesetzt wird, müssen Leistungen reduziert, also Betten geräumt werden. Ist das nicht möglich, muss den Kolleginnen und Kollegen, die Dienst haben, später ein Belastungsausgleich, etwa mehr Freizeit, gewährt werden. Ein einklagbarer Anspruch soll nach dem Willen von ver.di im Tarifvertrag fixiert werden.
Am 2. Oktober hat die Tarifkommission dem Vorschlag der Charité zugestimmt, den Tarifvertrag wieder in Kraft zu setzen, unter folgenden Bedingungen:
Bei unvermindert hoher Bereitschaft, den Streik wiederaufzunehmen, wird ver.di beauftragt, sich konstruktiv kritisch mit angemessenem Misstrauen auf einen Verhandlungsprozess einzulassen. Die Tarifberater/innen erwarten bis Mitte November konkrete Ergebnisse.
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