Grenzen setzen gegen Überlastung, die Gesundheit der Beschäftigten schützen – dabei können Betriebsräte eine wichtige Rolle spielen. So geschehen in der Helios Ostseeklinik Damp, wo die Interessenvertretung in einer langwierigen Auseinandersetzung eine Betriebsvereinbarung durchgesetzt hat, die für die Stationen und Schichten konkret festschreibt, wie viel examiniertes Pflegepersonal zur Verfügung stehen muss. Das Arbeitsgericht Kiel hat nun bestätigt, dass eine solche Regelung zum Gesundheitsschutz möglich ist.
»Das war ein langer Prozess, der sich über drei Jahre und acht Monate hinzog«, blickt der Betriebsratsvorsitzende Udo Strubbe zurück. »Doch am Ende hat es sich gelohnt.« Immer wieder hatte die Interessenvertretung den Dienstplänen in der Helios-Klinik widersprochen. Ihr Argument: Die hohe Arbeitsbelastung gefährde die psychische Gesundheit der Kolleginnen und Kollegen. Das hatte eine Fragebogen-Aktion des Betriebsrats klar ergeben.
Hintergrund ist der massive Personalabbau, den Helios seit der Übernahme der Damp-Kliniken 2012 umsetzte. Zu Beginn wurden auch Betten abgebaut, später konsolidierten sich die Fallzahlen in der Fachklinik für Wirbelsäulen und Gelenke, die jährlich rund 10.000 Patientinnen und Patienten behandelt. Obwohl diese allesamt einbestellt werden, schwankt die Auslastung stark. Vorschläge des Betriebsrats und von Experten, das Haus durch eine bessere Planung gleichmäßiger auszulasten, wurden ignoriert.
In vielen Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialwesens sind Kolleginnen und Kollegen aktiv und erreichen konkrete Verbesserungen. Oft hören wir vom Ergebnis. Um aber voneinander lernen zu können, muss auch die Geschichte, die zum Erfolg führte, erzählt werden. Dies tun wir mit unseren Praxisheften. Das jetzt erschienene Heft, das sich mit der erfolgreichen Arbeit des Betriebsrates an der Helios Ostseeklinik Damp beschäftigt, ist das erste in der Reihe. Das Heft bekommt ihr in eurem ver.di-Bezirk.
Im Mitgliedernetz stellen wir exklusiv für ver.di-Mitglieder die Broschüre als PDF-Datei und eine Reihe Originaldokumente zur Verfügung, die zeigen, wie die Auseinandersetzung in der Praxis verlaufen ist. Einfach hier klicken.
Die Gesundheit der Beschäftigten schützen – dabei können Interessenvertretungen eine wichtige Rolle spielen. In der Helios Ostseeklinik Damp hat der Betriebsrat in einer langwierigen Auseinandersetzung eine Betriebsvereinbarung durchgesetzt. Sie schreibt für die Stationen und Schichten je nach Belegung konkret fest, wie viel examiniertes Pflegepersonal zur Verfügung stehen muss. Wie hat der Betriebsrat das geschafft? Im Praxisheft findet ihr die Geschichte dieser Auseinandersetzung kurz zusammengefasst, sowie die Rechtsgrundlagen für die Mitbestimmung, auch bei kirchlichen und öffentlich-rechtlichen Häusern.
»Die Gesundheitsbelastung war untragbar, wir mussten etwas tun«, so Strubbe. Der Betriebsrat rief die Einigungsstelle an – und schlug einen Vorsitzenden vor, der sich mit der Materie gut auskennt. »Es ist wichtig, bei einer solchen Sache nicht den nächstbesten Arbeitsrichter zu nehmen, sondern jemanden, der weiß, worum es geht«, betont der Betriebsratsvorsitzende. Mehrfach beauftragte die Einigungsstelle Gutachter, die die Belastungssituation auf den Stationen eingehend analysierten. Die Experten bestätigten immer wieder, dass die Gesundheit der Beschäftigten wegen zu hoher Arbeitsbelastung gefährdet ist. Das Management bestritt die Ergebnisse nicht, blieb aber weitgehend untätig. Als Konsequenz daraus beschloss die Einigungsstelle im Dezember 2016 gegen den Willen des Arbeitgebers eine Betriebsvereinbarung.
Diese legt konkret fest, wie viele examinierte Pflegekräfte in der Früh-, Spät- und Nachtschicht auf den einzelnen Stationen der Ostseeklinik anwesend sein müssen. Nachts wird seither fast überall zu zweit gearbeitet, tagsüber mit zwischen zwei und vier Kolleg/innen – je nach Patientenzahl. Berechnet wird das auf Grundlage der Pflegepersonalregelung (PPR). »Wir haben das sehr konservativ gerechnet, dennoch sind die Stationen mit der Regelung deutlich besser besetzt als vorher«, sagt Strubbe. Besonders positiv sei, dass die Beschäftigten jederzeit selbst beurteilen könnten, ob die vorgeschriebene Besetzung eingehalten wird. »Da wird morgens diskutiert: Wie viele Patienten haben wir? Wie viele Pflegekräfte müssten da sein?« Und wenn es nicht genug sind, wird der Arbeitgeber aufgefordert, für Abhilfe zu sorgen – entweder durch zusätzliches Personal oder indem Patient/innen verlegt werden.
»Dass Leute aus dem Frei geholt werden, lehnen wir komplett ab«, betont Betriebsrat Strubbe. »Solche Dienstplanänderungen machen wir nicht mit. Dann gehen wir vors Arbeitsgericht und klagen auf ein Ordnungsgeld.« 2016 wurde Helios bereits zu einer Zahlung von 80.000 Euro verurteilt, doch der Betriebsrat verzichtete zunächst auf die Vollstreckung. »Damit machen wir deutlich: Es geht uns nicht darum, dem Haus zu schaden. Wir nutzen unsere Mitbestimmungsrechte lediglich dazu, die Arbeitsbedingungen und damit den Gesundheitsschutz zu verbessern.«
Dass das rechtens ist, hat nun auch das Kieler Arbeitsgericht bestätigt. In einem Ende Juli 2017 verkündeten und jetzt schriftlich begründeten Urteil lehnte es eine Klage von Helios gegen den Spruch der Einigungsstelle ab. Die Betriebsvereinbarung bedeute zwar einen »Eingriff in die unternehmerische Freiheit«, dieser sei jedoch zulässig, weil damit das Recht der Beschäftigten »auf gesunde, sichere und würdige Arbeitsbedingungen« geschützt werde. »Die Vorgabe einer Mindestbesetzung (ist) durchaus eine Maßnahme, mit der der Gefährdung der Mitarbeiter begegnet werden kann«, heißt es in der Begründung des Gerichts. Auch auf betrieblicher Ebene gilt also das, was ein Berliner Arbeitsrichter 2015 während des Konflikts um einen Tarifvertrag zum Gesundheitsschutz an der Berliner Charité erklärte: »Die unternehmerische Freiheit des Arbeitgebers endet dort, wo der Gesundheitsschutz der Mitarbeiter beginnt.«
Für Niko Stumpfögger von der ver.di-Bundesverwaltung belegt das Beispiel, welch wichtige Rolle Betriebsräte in der Auseinandersetzung um Entlastung spielen können. »Es ist toll, mit welcher Beharrlichkeit die Kolleginnen und Kollegen der Ostseeklinik dran geblieben sind.« Das habe sich ausgezahlt. Der Gewerkschafter empfiehlt allen betrieblichen Interessenvertretungen, Möglichkeiten der Mitbestimmung zu nutzen, um Beschäftigte vor Überlastung zu schützen. Zugleich setze sich ver.di gemeinsam mit den Belegschaften weiter für klare gesetzliche Personalvorgaben ein. »Wir brauchen überall eine verbindliche Personalbemessung auf hohem Niveau. Alle betrieblichen Aktivitäten, die auf die Überlastung aufmerksam machen und Verbesserungen erreichen, sind dabei wichtig.«
"Wir müssen der Überlastung im Krankenhaus Grenzen setzen. Ein Mittel dazu können die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats beim Gesundheitsschutz sein. Wir haben über die Einigungsstelle eine Betriebsvereinbarung durchgesetzt, die konkret festschreibt, wie viel examiniertes Pflegepersonal in den einzelnen Stationen und Schichten mindestens zur Verfügung stehen muss. Das war kein leichter Weg. Wir haben die Beschäftigten zu ihrer Situation befragt, immer wieder Dienstplänen widersprochen, Rufen aus dem Frei verhindert, Gefährdungsbeurteilungen durchgesetzt, diverse Gutachten in Auftrag gegeben, auf Ordnungsgeld geklagt… . Jetzt haben wir eine Betriebsvereinbarung, die die Situation deutlich verbessert. Nachts wird seither fast überall zu zweit gearbeitet, tagsüber je nach Patientenzahl mit zwischen zwei und vier Kolleg/innen. Das ist noch längst nicht der Idealzustand, aber wir haben morgens auf den Stationen jetzt ganz andere Diskussionen: Wie viele Patient/innen haben wir? Wie viele Pflegekräfte müssten da sein? Wenn Personal fehlt, muss der Arbeitgeber für Abhilfe sorgen. Das Kieler Arbeitsgericht hat bestätigt, dass dieser Eingriff in die unternehmerische Freiheit zulässig ist, weil damit das Recht der Beschäftigten auf gesunde Arbeitsbedingungen geschützt wird (7 BV 67c/16)."
2017 hatte ver.di mit einem Praxisheft den großen Erfolg und das Vorgehen dazu des Betriebsrates bei Helios an der Ostseeklinik Damp beschrieben, der eine Betriebsvereinbarung zur Pflegepersonalausstattung in Abhängigkeit von der Patientenzahl durchgesetzt hat.
Inzwischen hat das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein den Beschluss des Arbeitsgerichtes für ungültig erklärt. Der Betriebsrat wehrt sich dagegen, das Verfahren befindet sich jetzt beim Bundesarbeitsgericht (BAG), wo eine Entscheidung frühestens im zweiten Halbjahr 2019 zu erwarten ist. Da der Beschluss des LAG somit nicht rechtskräftig ist, gilt die Betriebsvereinbarung bis zur Entscheidung des BAG weiter. Dies musste der Betriebsrat per einstweiliger Verfügung durchsetzen.
Der Beschluss des LAG findet sich hier.
Im Kern argumentiert das LAG, der Spruch der Einigungsstelle beruhe auf einer formal nicht korrekt (ohne Zustimmung der Arbeitgeberseite) zustande gekommenen Gefährdungsbeurteilung. Außerdem habe die vorhandene gültige Gefährdungsbeurteilung einen Zusammenhang zwischen Arbeitsbelastung und Gesundheitsgefährdung nicht ausreichend festgestellt. Schließlich habe die Einigungsstelle auch ihre Regelungskompetenz überschritten, weil nach §92 BetrVG kein Mitbestimmungsrecht bei der Personalplanung bestehe. Neben den ersten beiden ist auch die letztere Argumentation in Frage zu stellen. Schon in der Tarifauseinandersetzung an der Charité zur Personalbemessung wurde vom dortigen LAG festgestellt, dass die unternehmerische Freiheit ihre Grenzen im Gesundheitsschutz der Beschäftigten findet. Die Arbeitsbelastung im Krankenhaus ist oftmals durch organisatorische und technische Maßnahmen nicht sinnvoll einzudämmen ist bzw. der Arbeitgeber lehnt dies ab, z.B. eine Reduzierung der Patientenzahlen. Wenn die Patient/innen da sind, dann kann die überlastende Arbeit häufig nicht unerledigt bleiben, weil es eben um Arbeit am Menschen geht. Arbeiten im Dauerstress schafft psychische und physische Belastungen. Und was nicht geschafft wird, führt zu weiterer psychischer Belastung. Dann muss es möglich sein, über die Mitbestimmung nach §37.1.7 die erforderliche Anzahl der Beschäftigten zu erzwingen. Sonst kann die Interessenvertretung ihrer Aufgabe, für den Gesundheitsschutz der Beschäftigten einzutreten, nicht mehr sinnvoll nachkommen.
Nun bleibt abzuwarten, wie das BAG in dieser Frage entscheidet.
ver.di Bundesverwaltung