Klinikpersonal entlasten

Proteste für Entlastung im Südwesten

Nach juristischen Winkelzügen der Arbeitgeber sagt ver.di Warnstreiks an Baden-Württembergs Unikliniken kurzfristig ab. Beschäftigte bleiben dabei: Es braucht mehr Personal.
08.11.2017
Warum sie Entlastung brauchen, zeigen Kolleginnen und Kollegen der Urologie am Uniklinikum Tübingen

Damit haben sich die Arbeitgeber keinen Gefallen getan: Die Leitungen der Unikliniken Tübingen und Freiburg haben beim Arbeitsgericht versucht, Warnstreiks für Entlastung per einstweiliger Verfügung zu verhindern. ver.di sagte die für Mittwoch und Donnerstag (8./9. November 2017) geplanten Arbeitsniederlegungen daraufhin ab, stellte aber klar: Jetzt werden sich die Beschäftigten erst recht entschlossen für einen Tarifvertrag einsetzen, der mehr Personal auf die Stationen und in die Bereiche bringt.

»Die Arbeitgeber haben offenkundig keine Ahnung mehr, was auf den Stationen los ist«, kommentierte ver.di-Landesfachbereichsleiterin Irene Gölz das Vorgehen der Klinikmanager. »Anstatt mit uns an Lösungen für die permanente Unterbesetzung zu arbeiten, suchen sie juristische Formfehler.« Die Kliniken hatten gegenüber dem Gericht unter anderem damit argumentiert, für die ebenfalls zum Streik aufgerufenen Auszubildenden gelte eine Friedenspflicht. Es gehe in der Auseinandersetzung aber nicht um Paragrafen, sondern um Menschen, betonte Gölz. »Menschen, die gepflegt werden, und Menschen, die diese Pflege unter immer schlechteren Bedingungen tagtäglich leisten«. Solche juristischen Manöver würden dem Management »außer noch weniger Verständnis bei ihren Beschäftigten nichts bringen«, ist die Gewerkschafterin überzeugt. »Der Kampf um mehr Personal geht jetzt richtig los.«

 
Uniklinik-Beschäftigte aus Baden-Württemberg auf dem Weg zur Demonstration

An Bereitschaft, für einen Tarifvertrag Entlastung aktiv zu werden, mangelt es jedenfalls nicht. Allein wegen der Streikankündigung hatte die Uniklinik Tübingen nach eigenen Angaben mehr als die Hälfte der Operationen abgesagt. »Die Streikbereitschaft war enorm«, berichtete die Personalratsvorsitzende Angela Hauser, die auch Mitglied der ver.di-Verhandlungskommission ist. In der Intensivmedizin hätten viel mehr Betten bestreikt werden können als möglich. Auf manchen Stationen hätten sich 100 Prozent der Pflegekräfte zum Streik gemeldet. »Wir haben jetzt geübt, beim nächsten Mal kommen wir umso gewaltiger«, kündigte Angela Hauser an. Und ein nächstes Mal werde es sicher dann geben, wenn sich die Arbeitgeber weiterhin weigert, über mehr Personal zu verhandeln.

Wie auch andere Krankenhäuser hatte ver.di den Arbeitgeberverband der Unikliniken Freiburg, Tübingen, Heidelberg und Ulm bereits Ende Juli zu Verhandlungen über einen Tarifvertrag für Entlastung und mehr Personal aufgefordert. Doch erst Ende Oktober kam es zu einem ersten Gespräch. Und dort signalisierten die Klinikleiter zwar ihre Gesprächsbereitschaft, wollten aber nicht verbindlich über personelle Mindestbesetzungen verhandeln. Stattdessen solle erst eine Analyse der Belastungen erstellt werden. ver.di stellte daraufhin klar, dass man nicht noch monatelang über Analysen sprechen werde. »Die Diagnose der Situation ist längst abgeschlossen, es ist höchste Zeit für die richtige Therapie«, so die Verhandlungsführerin Irene Gölz. »Ohne mehr Personal gibt es keine Entlastung. Homöopathische Mittel, die irgendwann vielleicht verabreicht werden, reichen nicht aus.«

Auch Angela Hauser aus Tübingen betonte: »Wenn eine Krankenschwester nachts für 50 Patientinnen und Patienten zuständig ist, dann wissen wir, woran es liegt: Es fehlt an Personal.« Angesichts der dramatischen Zustände seien weitere Analysen und Bewertungen zu wenig. »Es muss sich real etwas ändern – und zwar schnell.« Das machten am Mittwoch auch rund 80 Pflegekräfte bei einer Demonstration durch die Tübinger Innenstadt deutlich. Wegen der Streikabsage konnten Beschäftigte nur während ihrer Pause oder in der Freizeit daran teilnehmen. Am Donnerstag wollen ihre Kolleginnen und Kollegen in Freiburg ebenfalls auf die Straße gehen. In Tübingen hatten am Mittwochmorgen fast 40 Tarifberater/innen aus verschiedenen Bereichen der Uniklinik über die Absage des Warnstreiks beraten und waren zu dem Schluss gekommen, kein juristisches Risiko einzugehen. Sie stellten aber zugleich klar: Wenn sich der Arbeitgeber nicht bewegt, geben die Pflegekräfte im Südwesten keine Ruhe.

 

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