100 Tage hatten Klinikleitungen und politisch Verantwortliche Zeit. 100 Tage, in denen sie Tarifverhandlungen über mehr Personal und Entlastung an den sechs nordrhein-westfälischen Universitätskliniken hätten auf den Weg bringen können. Zwar sprachen sich im laufenden Landtagswahlkampf fast alle Parteienvertreter*innen dafür aus. Zuletzt sagte Ministerpräsident und CDU-Spitzenkandidat Hendrik Wüst am 1. Mai in Dortmund: »Das Ende wird sein: ein Tarifvertrag Entlastung – dazu stehe ich auch ganz persönlich.« Dennoch ignorierte der Arbeitgeberverband des Landes Nordrhein-Westfalen (AdL) das im formulierte Ultimatum sowie alle Verhandlungsaufforderungen und Terminangebote der Gewerkschaft ver.di. Deshalb treten die Beschäftigten jetzt in den Arbeitskampf.
Dass die Arbeitgeber die 100-Tage-Frist untätig verstreichen ließen, empfinde sie als »eindeutige Botschaft«, sagte die Auszubildende Helene vom Uniklinikum Düsseldorf am Montag (2. Mai 2022) bei einer Pressekonferenz. »Mit der Urabstimmung geben wir unsere Botschaft zurück: Wir nehmen unsere Arbeits- und Ausbildungsbedingungen jetzt selbst in die Hand.« 98,31 Prozent der gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten an den sechs Unikliniken votierten in der Urabstimmung für Streik, der noch am Montag begann. Zunächst sind nur wenige Kolleg*innen zum »Arbeitsstreik« aufgerufen, ab Donnerstag (4. Mai 2022) werden es deutlich mehr sein, bevor die Klinikbeschäftigten gemeinsam mit Unterstützer*innen am Samstag zu einer großen Demonstration in Düsseldorf zusammenkommen wollen (7. Mai 2022 ab 12 Uhr Friedrich-Ebert-Straße). »Jetzt kann euer Klatschen wirklich etwas bewirken«, sagte Helene mit Blick auf die Solidaritätsbekundungen für Pflegekräfte in der Corona-Pandemie. »Unterstützt uns und klatscht für unseren Kampf!«
Wie dringend ein Tarifvertrag zur Entlastung ist, machte die angehende Gesundheits- und Krankenpflegerin an Beispielen deutlich. Die Auszubildende berichtete davon, wie sie ohne Einarbeitung auf Stationen voll mitarbeiten und in ihrer Freizeit einspringen sollte, wie die Praxisanleitung mangels Personal ausfallen musste und sie sich überfordert und alleingelassen fühlte. »Wir wünschen uns, dass die Uniklinik ein Ort des unbeschwerten Lernens ist, statt ein Ort der Angst – ist das zu viel verlangt?« Konkret fordern die Auszubildenden deshalb unter anderem verlässliche Dienstpläne, die acht Wochen im Voraus festgelegt werden und einen Anteil von 25 Prozent Praxisanleitung beinhalten, sowie fünf Tage Einarbeitung auf neuen Stationen. Werden diese Vorgaben nicht eingehalten, sollen Entlastungsmaßnahmen greifen.
Für alle Bereiche fordert ver.di eine schichtgenaue Personalbesetzung und Konsequenzen bei Unterschreitung der Vorgaben. Vorbilder sind zuletzt in Berlin und anderen Krankenhäusern geschlossene Tarifvereinbarungen. Die Regelungen zur Entlastung sollen nicht nur für die Pflege gelten, sondern auch in anderen Abteilungen greifen. Songül Ozmen aus der Zentralküche der Düsseldorfer Uniklinik machte deutlich, wie hoch die Belastung auch im Servicebereich ist. »Das ist eine sehr schwere Arbeit, bei der man jeden Tag tausende Teller aufs Band stellen muss. Es ist heiß, man hat kaum Zeit, etwas zu trinken. Die Arbeit macht unsere Körper kaputt.« Auch sie und ihre Kolleg*innen wollen sich deshalb am Streik beteiligen.
Wie dieser ablaufen soll, erklärte die Fachkrankenpflegerin Lisa Schlagheck, die in der Notaufnahme des Uniklinikums Münster arbeitet. Um sowohl die Patientensicherheit als auch das Streikrecht der Beschäftigten zu gewährleisten, müssten Betten und ganze Stationen im Streik geschlossen werden. »Das hat in der Länder-Tarifrunde im Herbst gut funktioniert.« An den Unikliniken in Münster, Bonn und Köln seien entsprechende Notdienstvereinbarungen abgeschlossen worden, berichtete der Leiter der Tarifabteilung von ver.di NRW, Heinz Rech. In Essen und Düsseldorf werde noch verhandelt. Das Management der Uniklinik Aachen weigere sich hingegen kategorisch, eine Notdienstvereinbarung zu schließen. »Auch hier werden wir aber sicherstellen, dass der Streik nicht zu chaotischen Situationen führt, indem auf Basis unseres Angebots Notdienste geleistet werden«, kündigte der Gewerkschafter an.
ver.di werde von Woche zu Woche entscheiden, wie der Streik fortgeführt wird, erläuterte die Landesbezirksleiterin Gabriele Schmidt und betonte: »Wir hoffen, dass es rasch einen Verhandlungsauftrag an den Arbeitgeberverband gibt. Wir stehen auch kurzfristig für Verhandlungen zur Verfügung.« Katharina Wesenick, die bei ver.di in NRW für das Gesundheitswesen zuständig ist, nannte den Arbeitskampf einen »Notruf« der Klinikbelegschaften. »Sie müssen in den Streik gehen für etwas, das eigentlich gesellschaftlich geboten ist.« Die Gewerkschafterin verwies auf Studien, wonach die Sterblichkeit steigt, wenn Pflegekräfte zu viele Patient*innen gleichzeitig versorgen müssen. Dennoch habe es die Bundesregierung versäumt, eine bedarfsgerechte Personalbemessung für die Krankenhäuser einzuführen. Vor diesem Hintergrund sehen sich die Beschäftigten der Unikliniken in NRW zu ihrem Arbeitskampf für einen Tarifvertrag Entlastung gezwungen. Dieser dürfte in den letzten zwei Wochen des Landtagswahlkampfs eines der bestimmenden Themen werden.
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