Ultimatum abgelaufen, Streik beginnt

Die 100-Tage-Frist ist verstrichen. Daher tun die Beschäftigten des Uniklinikums Gießen und Marburg jetzt das, was sie zuvor angekündigt haben: Sie streiken für Entlastung.
29.03.2023


Als die Beschäftigten des Universitätsklinikums Gießen und Marburg (UKGM) am 14. Dezember 2022 dem Management insgesamt 4.163 Unterschriften übergaben, war ihre Botschaft unmissverständlich: Die Leitung des zum Asklepios-Konzerns gehörenden Klinikums bekam 100 Tage Zeit, um mit ver.di Tarifverträge zur Entlastung des Personals und zur Beschäftigungssicherung in der Servicegesellschaft auszuhandeln. Diese Frist ist nun abgelaufen. Und die Beschäftigten tun genau das, was sie angekündigt haben: Sie streiken, und das mit geballter Kraft.

 
Vor dem Streikzelt am Uniklinikum Marburg

»Ich möchte nichts anderes, als dass ich in Ruhe meine Arbeit machen kann, ohne mich schlecht zu fühlen«, begründet die Fachkrankenpflegerin Vanessa Wolter, warum sie sich an den seit Montag (27. März 2023) laufenden Arbeitsniederlegungen beteiligt. »Es braucht einfach genug Zeit, die Patientinnen und Patienten gut zu versorgen. Deshalb fordern wir einen bedarfsgerechten Personalschlüssel.« Für die Intensivstation, auf der Vanessa Wolter arbeitet, soll demnach eine Fachkraft für durchschnittlich höchstens 1,2 Patient*innen zuständig sein. Diese Forderung haben die Delegierten der beteiligten Intensivteams auf Grundlage fachlicher Einschätzungen entwickelt. Und so ist es auch in den anderen Bereichen gelaufen: Überall haben die Kolleginnen und Kollegen untereinander diskutiert und entschieden, wie viel Personal zur Verfügung stehen soll. Werden diese schichtgenauen Sollbesetzungen drei Mal nicht eingehalten, sollen die Betroffenen einen zusätzlichen freien Tag als Belastungsausgleich erhalten.

Arbeitgeber kann den Streik jederzeit beenden

Laut ver.di-Sekretär Fabian Dzewas-Rehm laufen die Verhandlungen über diese Forderungen bislang konstruktiv – aber zu langsam. »Die Klinikleitung zeigt sich offen für einen Tarifvertrag, der sich an der Uniklinik Frankfurt orientiert«, berichtet der Gewerkschafter. »Es ist gut, dass wir uns nicht erst an den Verhandlungstisch streiken müssen. Aber es könnte deutlich schneller gehen – an uns liegt es nicht.« Die UKGM-Spitze müsse jetzt »substanzielle, konkrete und verbindliche Angebote« machen, fordert Dzewas-Rehm. »So hat der Arbeitgeber es jederzeit in der Hand, den Arbeitskampf zu beenden.«

 
Beim großen Ratschlag am 23. und 24. März haben die Teamdelegierten konkrete Forderungen für die Bereiche diskutiert und beschlossen.

Solange das nicht geschieht, wird weiter gestreikt – und das mit Macht. Waren zu Wochenbeginn zunächst nur ausgewählte Bereiche wie die OPs und die Radiologie zum Streik aufgerufen, sind es ab Mittwoch (29. März 2023) alle Beschäftigten. Eine Reihe von Stationen und etliche Betten sind bereits zur Schließung angemeldet. Eine Notdienstvereinbarung sorgt dafür, dass sowohl die Patientensicherheit als auch das Streikrecht der Beschäftigten garantiert ist. Die Verhandlungen sollen am Donnerstag fortgesetzt werden.

Mehrheit der betroffenen Beschäftigten hat sich organisiert

Die Fachkrankenpflegerin Vanessa Wolter ist überzeugt, dass die Belegschaft falls nötig auch einen längeren Arbeitskampf durchstehen und gewinnen wird. »Wir haben so eine Stärke aufgebaut, das hätte am Anfang keiner gedacht.« Innerhalb eines halben Jahres sind mehr als 1.300 UKGM-Beschäftigte ver.di beigetreten. Damit ist in den vom Tarifkonflikt betroffenen Bereichen die Mehrheit der Kolleginnen und Kollegen gewerkschaftlich organisiert. »Bei mir im Team sind allein in der letzten Woche sieben neue Leute dazugekommen«, berichtet Vanessa Wolter. Sie erklärt die hohe Bereitschaft auch damit, dass die ver.di-Aktiven nicht als Stellvertreter*innen agieren, sondern stets klarmachen: »Es ist unser Streik. Und was wir erreichen, liegt an uns. Wir selbst sind gefordert.«

 

»Oft werden die Servicebereiche als Unterdeck bezeichnet, dabei sind wir eigentlich das Herzstück – ohne uns läuft nichts«

André Schreiner, Security-Mitarbeiter

Entscheidend sei auch die Vernetzung unter den Berufsgruppen. »Ob Labor, Hol- und Bringedienst, Therapie, Pflege oder andere – wir halten zusammen, denn das Krankenhaus braucht alle, um zu funktionieren«, betont die Gesundheits- und Krankenpflegerin. »Der Zusammenhalt ist phänomenal«, findet auch André Schreiner, der im Wach- und Kontrolldienst am UKGM arbeitet. »Es ist ein großes Wir-Gefühl entstanden, denn wir streiten alle für die gleiche Sache.« Das sei vor allem beim großen Ratschlag am 24. März 2023 in Gießen deutlich geworden, an dem über 900 Beschäftigte aller Berufsgruppen teilnahmen.

In den Servicebereichen gehe es ebenfalls um Entlastung, erklärt André Schreiner, der mit seinen Kolleg*innen in der Security bis zu 6.000 Einsätze im Jahr abarbeitet – Tendenz steigend. Sie fordern, dass zum Beispiel nachts und in bestimmten Gebäuden keine Sicherheitskraft mehr alleine Dienst tun. »Es geht um die Sicherheit von Patienten und Beschäftigten, aber auch wir selbst müssen sicher arbeiten können.« Zugleich fordert ver.di für die rund 300 Kolleg*innen der UKGM Service GmbH einen Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung. Denn der vom Land mit dem Uniklinikum vereinbarte Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen und von Outsourcing gilt nicht für die Tochtergesellschaft. »Oft werden die Servicebereiche als Unterdeck bezeichnet, dabei sind wir eigentlich das Herzstück – ohne uns läuft nichts«, betont André Schreiner. Der Security-Mitarbeiter ist überzeugt, dass sich die Beschäftigten in der Klinik und der Tochtergesellschaft in dem Tarifkonflikt gemeinsam durchsetzen werden. »Wir ziehen das zusammen durch!«


veröffentlicht/aktualisiert am 30. März 2023

 

Ärzt*innen und Medizinstudierende solidarisch

Ärzt:innen des UKGM und Medizinstudierende haben im Dezember einen Aufruf zur Unterstützung der Forderungen ihrer nicht-ärztlichen Kolleg:innen gestartet. Bis heute haben 565 Ärzt:innen, sowie Medizinstudierende am UKGM mit ihrer Unterschrift ihre Unterstützung für einen Tarifvertrag Entlastung erklärt. Gestern und heute haben sich Ärzt:innen und Medizinstudierende an beiden Standorten in Marburg und Gießen versammelt, um ihrer Solidarität Ausdruck zu verleihen und die gesammelten Unterschriften an ihre streikenden Kolleg:innen zu übergeben.

“Ich unterstütze die Forderungen meiner Kolleg:innen, weil ich als Ärztin tagtäglich sehe, welchen immensen Belastungen alle ausgesetzt sind, wie stressig der Arbeitsalltag ist und wie die Versorgung der Patient:innen unter dem Personalmangel leidet.”
Kristin Ehrlich, Ärztin am UKGM

“Der eklatante Personalmangel ist schon heute eine tägliche Bedrohung für die sichere Versorgung der Patientinnen und Patienten in den Notaufnahmen. Wenn jetzt nicht kräftig gegengesteuert wird, wird es sehr bald keine funktionierende Notfallversorgung mehr geben. Deswegen unterstütze ich als Arzt und Notfallmediziner die Forderungen meiner Kolleginnen und Kollegen nach Entlastung und einer vernünftigen Personalbesetzung. Der Streik ist notwendig, eigentlich ist er überfällig."
Dennis Humburg, Arzt am UKGM.

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