"Wir sind von 11-13 Uhr in 7 Teams über 7 Kliniken in 75 verschiedene Stationen/Bereiche gegangen und haben mit den Beschäftigten eine kleine Umfrage zum Thema Pause durchgeführt. Das Ergebnis der Umfrage kurz zusammen gefasst: In 76% der abgefragten Bereiche können die Beschäftigten keine Pause machen, oder können während der Pause die Station nicht verlassen oder werden während ihrer Pause gestört - was per Gesetz ja eigentlich nicht als Pause zu bewerten ist. Außerdem haben wir an die Beschäftigten zum Tag der Pflege Süßigkeiten und Äpfel verteilt - das kam bei allen sehr gut an." Lena Mayr, Physiotherapeutin
»Pause? Ich weiß gar nicht, wie man das schreibt«, sagt ein Arzt auf dem Gang einer chirurgischen Station. Alfred Grimm, Vorsitzender der Mitarbeitervertretung am Darmstädter Elisabethenstift drückt ihm eine kleine Postkarte in die Hand. »Wir wollen wissen, wie oft du in den letzten fünf Diensten eine ungestörte Pause machen konntest.« Der Arzt kreuzt »Null mal« an. Sein Handy klingelt. »Ich muss los, in den OP«, sagt er noch und rauscht davon.
Die Antwort der Krankenpflegerin im Stationszimmer auf die ver.di-Befragung zum Pausen-Aktionstag am 21. Februar 2017 ist ebenso eindeutig. »Pause schon, aber ungestört?«, fragt sie und zeigt auf das Telefon in ihrer Hosentasche. »Das müssen wir immer mitnehmen.« Eine richtige Pause sei das nicht. Die Stationssekretärin bestätigt: »Wenn ein Patient in den OP gebracht werden muss, rufe ich die zuständige Pflegekraft an – ob sie gerade in Pause ist oder nicht.« Sie selbst habe »zum Glück keine Pause«, da sie nur sechs Stunden am Tag arbeite. »Sonst müsste ich ebenfalls das Telefon mitnehmen und das klingelt dann locker 20 Mal. Ich bin froh, dass ich keine Pause machen muss.«
Nur die Schülerin kreuzt die Fünf an: Fünf Mal hat sie in den letzten fünf Schichten ihre halbstündige Pause genommen. Dafür sorgt der Pfleger, der neben ihr steht. »Ich sage ihr immer: Jetzt gehst du in Pause.« Er selbst komme nur selten dazu, sich in Ruhe hinzusetzen. »Wir haben hier im Moment eine Belegung, die ist der Wahnsinn«, berichtet er. In der Region wurden zuletzt einige Krankenhäuser und Abteilungen geschlossen. Seither ist noch mehr los als sonst. »Das ist politisch gewollt«, erklärt Gewerkschafter Alfred Grimm. »Kleinere Häuser sollen schließen, weil es angeblich Überkapazitäten gibt.« Die Folgen müssen Patient/innen und Beschäftigte ausbaden – nicht nur im Elisabethenstift.
»Die Gesetzeslage ist eindeutig«, betont ver.di-Sekretär Armin Löw. »Der Arbeitgeber ist verpflichtet, dafür zu sorgen, dass die Beschäftigten ihre Pause nehmen können – und muss das auch kontrollieren.« Laut Gesetz dürfen Beschäftigte höchstens sechs Stunden am Stück arbeiten, dann gibt es eine halbstündige Pause. Bei mehr als neun Arbeitsstunden sind es 45 Minuten. Doch allzu oft stehle sich der Arbeitgeber aus der Verantwortung. »Da wird dann gesagt: Nehmt die Pause, wenn es gerade passt. Aber wegen des Personalmangels und der Überlastung passt es nie.« Beschäftigte und Interessenvertretungen sollten daher darauf bestehen, Pausenzeiten konkret festzulegen. »Übrigens: Pause heißt, dass man den Arbeitsplatz verlassen kann«, fügt Löw hinzu. Besonders im Nachtdienst, wenn eine examinierte Pflegekraft allein auf Station ist, sei das nicht möglich.
So ist es auch im Pflegeheim des Elisabethenstifts – auch tagsüber. Eine Pflegerin sitzt gemeinsam mit vier Bewohnerinnen am Tisch und beißt in ihr Käsebrötchen. »Wir dürfen das Haus nicht verlassen«, sagt sie. Sie würde gerne zwischendurch auf der nahegelegenen Mathildenhöhe spazieren gehen, einer schönen Jugendstilanlage aus dem 19. Jahrhundert. Stattdessen sitzt sie mitten unter den teilweise dementen Bewohnerinnen. Einen Pausenraum, der diesen Namen verdient, gibt es nicht. »Wenn ich als einziger Examinierter hier bin, kann ich sowieso keine Pause nehmen«, sagt ein Kollege. »Dann rennt man nur hin und her.« Ob er die nicht genommene Pause als Überstunde aufschreibt? Der Pfleger schüttelt mit dem Kopf.
»Viele kennen ihre Rechte nicht, oder sie haben Angst, sie einzufordern«, sagt Judith Müller. Die 49-jährige Gewerkschafterin hat bis vor Kurzem als Alltagsbegleiterin im Pflegeheim gearbeitet. Jetzt ist sie in der Personalabteilung für das Betriebliche Eingliederungsmanagement zuständig. »Die Arbeit mit pflegebedürftigen und größtenteils dementen Menschen ist psychisch und körperlich sehr hart«, betont sie. »Umso wichtiger ist es, richtige Pausen zu machen.« Die permanente Überlastung führt zu vielen Krankheitsausfällen – was die Personalnot noch vergrößert. »Wir müssen den Kollegen klar machen, dass ihnen nichts passiert, wenn sie ihre Rechte einfordern«, meint Evelyn Mahr, die seit 17 Jahren als Pflegehelferin arbeitet. »Und, dass sie etwas ändern können – nicht allein, aber zusammen mit der Mitarbeitervertretung und der Gewerkschaft.«
Das erklären ver.di-Aktive nicht nur in Darmstadt, sondern in allen Regionen des Lands. Vor dem Städtischen Klinikum Kiel versammeln sie sich zu einer Kundgebung, danach geht es mit einem Bauchladen voller Süßigkeiten und Info-Blättern über die Stationen. Im Stuttgarter Robert-Bosch-Krankenhaus und im Klinikum Ludwigsburg gibt es Brezeln und etwas zu trinken. »Wir wollen damit deutlich machen, dass die Kolleginnen und Kollegen oft nicht einmal zum Trinken kommen«, erläutert ver.di-Sekretär Marc Kappler. Solche Pausen-Aktionen finden in Baden-Württemberg an diesem Tag in rund 30 Krankenhäusern statt.
Im Donau-Isar-Klinikum im niederbayerischen Deggendorf haben Gewerkschafter/innen insgesamt elf Stationen besucht. »Wir haben den Kolleginnen nochmal erklärt, wie wichtig Pausen sind und dass sie sie unbedingt nehmen sollen«, sagt ver.di-Sekretär Roman Martynez. »Außerdem haben wir ihnen von der Tarifbewegung Entlastung im Saarland berichtet und Fotos mit Solidaritäts-Schildern gemacht.« Das machen auch die ver.di-Mitglieder und Teamdelegierten am Hanse Klinikum in Wismar, die sich bei einer Versammlung fotografieren lassen. Und im Gesundheits- und Pflegezentrum Rüsselsheim haben die Kolleg/innen das getan, was sonst nicht geht: Gemeinsam in Ruhe gefrühstückt.
Daniel Behruzi
Bereichsleiter Soziale Dienste, Bildung und Wissenschaft
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