Es ist kein Appell, sondern eine Kampfansage: Mit den 8.397 Unterschriften von Beschäftigten der öffentlichen Kliniken Berlins, die zum »Tag der Pflegenden« am 12. Mai 2021 vor dem Roten Rathaus an die Fraktionsvorsitzenden im Abgeordnetenhaus und die Leitungen von Charité und Vivantes übergeben wurden, werden diese nicht gebeten, endlich für Entlastung und eine tarifliche Bezahlung in allen Tochterunternehmen zu sorgen. Die Beschäftigten stellen ihnen vielmehr ein Ultimatum: Entweder die Forderungen werden innerhalb von 100 Tagen erfüllt, oder sie treten unmittelbar vor den Wahlen zum Bundestag und zum Berliner Abgeordnetenhaus in den Streik. Eine deutliche Mehrheit der betroffenen Kolleg*innen hat mit ihrer Unterschrift dokumentiert, dass sie diese Ansage mitträgt.
Viele Klinikbeschäftigte machten auf der Kundgebung und zuvor bei einer Pressekonferenz deutlich, wie dringend eine wirksame Entlastung für sie, aber auch für eine gute Krankenversorgung ist. So berichtete die Auszubildende Clara Sommer von ihrem ersten Praxiseinsatz, bei dem sie alleine 16 hochaufwändige Patient*innen versorgen musste. »Ich habe Menschen versorgt wie in einer Legebatterie, wie Hühner im Stall. Ich finde das richtig schlimm und dieses Gefühl hängt mir bis heute nach.« Der Gesundheits- und Krankenpfleger Benny Dankert, der auf einer Corona-Station bei Vivantes arbeitet, erzählte, wie dort in einer Schicht zwei Pflegekräfte insgesamt 19 Erkrankte versorgen mussten. »Ständig geht die Klingel und man weiß nie, ob hinter der nächsten Klingel der nächste Notfall wartet«, sagte er. Man könne sie gar nicht so schnell abarbeiten, wie es nötig wäre.
Jeannine Sturm berichtete Ähnliches von ihrer PACU-Station der Charité, auf der Patient*innen nach einer Operation beobachtet und versorgt werden. Statt zu viert, wie es ein mittlerweile ausgelaufener Tarifvertrag am Berliner Uniklinikum vorschrieb, seien die Pflegekräfte zum Teil nur zu zweit im Einsatz gewesen. »Wir wollen nicht mehr erleben, dass Patienten wegen unterbesetzter Schichten womöglich Schaden nehmen«, erklärte sie ihr Engagement. Das Ziel der Intensivpflegerin und ihrer Kolleg*innen ist ein Entlastungs-Tarifvertrag, der nicht nur Sollbesetzungen festschreibt, sondern auch konkrete und automatisch einsetzende Sanktionen vorsieht, falls diese unterschritten werden. Vorbild sind die Entlastungs-Tarifverträge, die ver.di an den Unikliniken Homburg, Jena, Mainz und Schleswig-Holstein durchgesetzt hat. Diese beinhalten verbindliche Regelungen, wonach Beschäftigte, die mehrfach in unterbesetzten Schichten arbeiten müssen, zusätzliche freie Tage erhalten. Einerseits bringt das den Betroffenen Entlastung, andererseits erhöht dies den Druck auf die Klinikleitungen, neues Personal einzustellen.
Die Charité-Beschäftigten hatten in einer langwierigen Auseinandersetzung und einem zehntägigen Streik 2015/16 als Erste einen Tarifvertrag für mehr Personal und Entlastung durchgesetzt und damit das Eis gebrochen. Insgesamt bestehen an mittlerweile 17 Großkrankenhäusern derartige ver.di-Vereinbarungen. Doch der seinerzeit in Berlin erreichte Vertrag war nicht verbindlich genug, jetzt soll es auch hier konkrete Personalbesetzungen für alle Bereiche und einen individuellen Belastungsausgleich geben, falls diese nicht eingehalten werden – und zwar nicht nur für das Universitätsklinikum, sondern auch für den kommunalen Klinikkonzern Vivantes. »Die Politik steht in der Pflicht, in den landeseigenen Krankenhäusern für gute Arbeitsbedingungen zu sorgen und so eine gute Versorgung zu sichern«, betonte Meike Jäger, die bei ver.di in Berlin und Brandenburg für das Gesundheitswesen zuständig ist. »Wir machen diese Frage jetzt zum Wahlkampfthema und erwarten von den Kandidaten und Parteien eine klare Positionierung.«
Zumindest von SPD, Linkspartei und Grünen gab es am »Tag der Pflegenden« hierzu Bekenntnisse. Der stellvertretende Linke-Fraktionsvorsitzende Tobias Schulze sagte »ein klares Ja« zu den Gewerkschaftforderungen und erklärte: »Ihr werdet durch Streiks und wir aus der Landesregierung heraus die Unternehmen in die Zange nehmen.« Der SPD-Fraktionsvorsitzende Raed Saleh sagte: »Auch von mir ganz klares Ja zu einem Tarifvertrag Entlastung und TVöD für alle.« Die Sprecherin der Grünen-Fraktion für Sozial- und Pflegepolitik, Fatoş Topaç, schloss sich dem ebenfalls an, womit alle aktuellen Senatsparteien die Forderungen unterstützen.
Dazu gehört neben der Forderung nach Entlastung auch die Angleichung der Bezahlung in allen Tochterunternehmen an den Flächentarifvertrag TVöD, an den Charité und Vivantes selbst gebunden sind. Warum das nötig ist, machte Felix Bahls von der Labor Berlin GmbH deutlich, die den beiden Klinikbetreibern zu gleichen Teilen gehört und keinen Tarifvertrag hat. »Ich verdiene bis zu 800 Euro weniger im Monat als andere, obwohl alle dieselben Tätigkeiten ausüben«, kritisierte er. Auch zum Beispiel beim Zusatzurlaub in Wechselschicht und bei den Nachtzuschlägen seien neue Beschäftigte gegenüber denjenigen benachteiligt, deren Arbeitsverträge noch auf den Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes Bezug nehmen. »Gleiche Arbeit verdient gleiche Bezahlung«, erklärte Bahls. »Deshalb brauchen wir den TVöD für alle.«
Das fordert auch die Reinigungskraft Süheyla Uzuda von der Vivantes-Tochter Vivaclean, bei der viele mit dem Mindestlohn für Gebäudereiniger*innen abgespeist werden. Dabei sei die Krankenhausreinigung ein »Knochenjob«, bei dem man »fix und fertig« nach Hause gehe und der gerecht bezahlt werden müsse. »Hygiene im Krankenhaus ist so wichtig und braucht Zeit«, sagte die Reinigerin. Doch sie und ihre Kolleginnen müssten wegen zu enger Zeitvorgaben von einer Station zur anderen hetzen. »Wir brauchen feste Zeiten, feste Reviere, Urlaubspläne, Pausen – und den TVöD für alle.«
Mit der Gründung etlicher Tochterunternehmen in den 2000er Jahren hätten die Berliner Krankenhausträger lediglich ein Ziel verfolgt: »Tarifflucht zu begehen«, erläuterte Meike Jäger. Dass zum Beispiel die von Charité und Vivantes gemeinsam betriebene Labor Berlin GmbH trotz der enormen Leistungen der Beschäftigten in der Pandemie Tarifverhandlungen verweigere, sei »ein Skandal«. Alle Beschäftigten der Tochterunternehmen müssten in den TVöD und die Gesellschaften möglichst in die Kliniken zurückgeführt werden, wie dies für die Therapeut*innen bereits gelungen sei.
In Bezug auf den geforderten Entlastungs-Tarifvertrag betonte die ver.di-Landesfachbereichsleiterin, die Verantwortlichen müssten Lösungen im Sinne der Beschäftigten finden. Die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) will den Berliner Kliniken und dem örtlichen Arbeitgeberverband untersagen, eine Entlastungsvereinbarung zu unterzeichnen. Solche Diktate haben allerdings auch schon andere Krankenhausleitungen ignoriert, zum Beispiel am Klinikum Region Hannover. Jäger stellte klar, man werde sich durch Beschlüsse der VKA »nicht erpressen lassen«.
Daniel Behruzi
ver.di Bundesverwaltung
Landesfachbereichsleiterin Berlin-Brandenburg
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