Tarifvertrag Entlastung

Fanblock für Gesundheit

Beschäftigte der sechs NRW-Unikliniken demonstrieren im Oberhausener Fußballstadion ihre Kraft. Urabstimmung über Erzwingungsstreik für Tarifvertrag Entlastung beschlossen.
14.04.2022
Krankenhausratschlag am 13. April 2022 in Oberhausen

Gute Stimmung auf der Tribüne des Oberhausener Fußballstadions: Sprechchöre, Trommeln, Fahnenschwenken. Doch an diesem Mittwoch (13. April 2022) ist es nicht der altehrwürdige Rot-Weiß Oberhausen, der von den Rängen angefeuert wird. »Mehr von uns ist besser für alle«, ist stattdessen zu hören. Und: »TVE für uns in NRW!« Das in einer Lautstärke, die manche Ultra-Szene neidisch machen würde. Den TVE – einen Tarifvertrag Entlastung – fordern hunderte Beschäftigte aus den sechs nordrhein-westfälischen Universitätskliniken. Bei ihrem »Krankenhausratschlag« in Oberhausen machen sie klar: Wenn Landesregierung und Arbeitgeber keine ernsthaften Schritte zu einem Tarifvertrag machen, der mehr Personal und Entlastung in die Kliniken bringt, ist ein großer Arbeitskampf noch vor der Landtagswahl am 15. Mai unausweichlich.

 

»Es wird diesen Tarifvertrag geben«

Auftritt der Parteienvertreter. »Wo, wo, wo ist unser Rettungsschirm?«, schallt es ihnen entgegen. Die Beschäftigten fordern das klare Bekenntnis, dass sich die Politiker – es sind an diesem Tag ausschließlich Männer – für den Tarifvertrag Entlastung in den landeseigenen Unikliniken einsetzen. SPD, Grüne und Linke haben schon im Vorfeld ihre Unterstützung erklärt und bekräftigen diese. Auch NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) legt sich heute fest: »Es wird diesen Tarifvertrag geben«, sagt er unter dem Jubel der Klinikbeschäftigten. Zwar habe die Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) ihren Mitgliedern untersagt, Entlastungstarifverträge mit ver.di abzuschließen, doch: »Wo ein Wille ist, ist ein Weg, und wir werden einen Weg finden.«

 
NRW-Gesundheitsminister Laumann unterschreibt die Petition für einen Tarifvertrag Entlastung.

Der SPD-Spitzenkandidat Thomas Kutschaty lässt den Verweis auf die Blockadehaltung der TdL ohnehin nicht gelten. Die Regierung des größten deutschen Bundeslandes dürfe die Verantwortung nicht auf andere Länder abschieben. »Wer will, der kann den Tarifvertrag auch jetzt schon abschließen.« Mehrdad Mostofizadeh von den Grünen fordert ebenfalls, Nordrhein-Westfalen müsse bei der Entlastung der Klinikbeschäftigten vorangehen. Jules El-Khatib von der Linkspartei ruft den Streikenden zu: »Wir stehen zu 100 Prozent hinter euch und kämpfen mit euch für den Tarifvertrag Entlastung.« Als sie auf einem großen Transparent fast 12.000 Unterschriften für Entlastung überreicht bekommen, bekunden alle vier Politiker ihre Unterstützung per Unterschrift, während zeitgleich La-Ola-Wellen durchs Station gehen. Eine Kollegin stellt klar: »Wir werden Sie an Ihre Versprechen erinnern.«

 
Am 1. Mai 2022 läuft das Ultimatum der Klinikbeschäftigten in NRW ab.

Das Ultimatum läuft am 1. Mai ab

18 Tage noch – die Zeit läuft. So steht es auf hunderten Plakaten. Am 1. Mai läuft das 100-Tage-Ultimatum aus. Bis dahin haben die Klinikbelegschaften der Landesregierung, den Klinikbetreibern und ihrem Arbeitgeberverband Zeit gegeben, ernsthafte Schritte zu einem Tarifvertrag Entlastung zu gehen. Doch bislang gibt es keinerlei Signale in diese Richtung, der Arbeitgeberverband des Landes hat keinen der Terminvorschläge für die Aufnahme von Tarifverhandlungen akzeptiert. Sollte das so bleiben, droht eine Eskalation. Die in Oberhausen versammelten Aktivist*innen beschließen einstimmig, die Urabstimmung über einen unbefristeten Streik für den Fall einzuleiten, dass das Ultimatum ergebnislos abläuft. »Das ist ein Notruf«, sagt Katharina Wesenick, die bei ver.di in NRW für das Gesundheitswesen zuständig ist. »In den Kliniken brennt es – und den Brand haben nicht die Beschäftigten gelegt.«

 
ver.di-Aktive der NRW-Unikliniken beschließen Urabstimmung für Entlastung (13. April 2022 in Oberhausen)

Die ver.di-Landesleiterin Gabriele Schmidt betont ebenfalls, dass Tarifforderungen und Urabstimmung ein Notruf aus den Kliniken sind, die wegen der Untätigkeit der politisch Verantwortlichen nötig ist. »Wir fordern weiterhin, dass eine bedarfsgerechte Personalbemessung für alle gesetzlich geregelt wird«, so die Gewerkschafterin. Doch auch der neue Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) macht bislang keine Anstalten, die Zusagen aus dem Koalitionsvertrag umzusetzen. Deshalb greife ver.di nun zu den Mitteln, so Schmidt, die einer Gewerkschaft zur Verfügung stehen: Tarifverhandlungen und – als letzte Möglichkeit – der Streik.

 
Türkan Ercoban, Küchenkraft im Uniklinikum Düsseldorf

»Als ich am Uniklinikum Düsseldorf angefangen haben, dachte ich: Hier bleibe ich bis zur Rente. Doch jetzt frage ich mich: Schaffe ich das überhaupt? Und so geht es ganz vielen Kolleginnen und Kollegen. Die Arbeit ist körperlich sehr hart. Wir brauchen dringend Hilfsmittel zur Arbeitserleichterung und mehr Personal. Endlich setzen sich jetzt alle Bereiche gemeinsam für Verbesserungen ein. Das finde ich richtig toll.«

Türkan Ercoban, Küchenkraft im Uniklinikum Düsseldorf

 
Ute Kaiser, Fachkinderkrankenschwester für Intensivmedizin und Anästhesie an der Universitätsmedizin Essen

»In den letzten Jahren wurden viele Krankenhäuser in der Region geschlossen. Da die Patientinnen und Patienten trotzdem irgendwo behandelt werden müssen, hat der Arbeitsdruck bei uns noch zugenommen. Überstunden, Holen aus dem Frei, zum Teil wird man sogar aus dem Urlaub zurückgeholt – unter solchen Bedingungen bleiben neue Kolleg*innen meist nicht lang. Die Politiker machen mal eben 100 Milliarden Euro locker für die Rüstung. Aber vor den Zuständen in den Kliniken machen sie die Augen zu. Doch jetzt wollen wir die Abwärtsspirale durchbrechen. Wir sind gut organisiert und haben einen Plan. Es ist einmalige Chance.«

Ute Kaiser, Fachkinderkrankenschwester für Intensivmedizin und Anästhesie an der Universitätsmedizin Essen

 
Jasmin Brandt, Kita-Leiterin am Uniklinikum Aachen

»Die Kitas an den Unikliniken sind Teil der Entlastungsbewegung und das ist einfach großartig. Denn auch bei uns herrscht Personalmangel. Manchmal ist eine qualifizierte Kraft allein mit 20 Kindern. Wie soll da pädagogische Arbeit möglich sein? Wir wollen einen Personalschlüssel von einer Erzieherin auf höchstens drei unter-dreijährige Kinder und von eins zu fünf bei älteren Kindern. Dafür organisieren wir uns. In meiner Kita gab es früher nur drei ver.di-Mitglieder. Jetzt sind es 13 und es werden sicher noch mehr. Man wächst über sich selbst hinaus. So bewegen wir etwas.«

Jasmin Brandt, Kita-Leiterin am Uniklinikum Aachen

 
Jakob Lehnert, Operations-Technischer Assistent am Uniklinikum Bonn

»Es fehlt an Personal und die OPs werden trotzdem gefahren. Deshalb brauchen wir Regeln. Es sollten immer drei Leute im OP-Saal sein. Jetzt ist man oft alleine mit einem Auszubildenden. Das ist sehr belastend. Ich war schon mehrfach kurz davor zu kündigen. Einmal hatte ich die Kündigung schon eingereicht und mich dann nochmal überreden lassen. Aber letztlich ist es anderswo auch nicht besser. Bei mir hat sich der Schalter umgelegt: Ich habe erkannt, dass wir selbst aktiv werden müssen, wenn wir etwas ändern wollen. Und so geht es auch vielen anderen. Bei uns im Team ist etwa die Hälfte in ver.di organisiert. Vor der Länder-Tarifrunde im vergangenen Jahr war es kein einziger. Ich setze auf den öffentlichen Druck. Die Situation ist dafür günstig.«

Jakob Lehnert, Operations-Technischer Assistent am Uniklinikum Bonn

 
Lisa Frye, Krankenschwester auf einer dermatologischen Normalstation am Uniklinikum Köln

»Wir wollen die Pflege wieder zu einem Traumberuf machen. Indem wir Bedingungen durchsetzen, bei denen wir nicht kaputt gehen. Jeder Mensch hat Anspruch auf eine gute Gesundheitsversorgung. Deshalb betrifft die Situation in den Krankenhäusern die gesamte Gesellschaft. Wenn wir Verbesserungen erreichen, profitieren alle davon. Wann hatten wir dazu je eine bessere Chance? Schon am Anfang der Pandemie haben wir gesagt: Klatschen reicht nicht! Jetzt nehmen wir die politisch Verantwortlichen in die Pflicht. Ich selbst hatte früher mit Gewerkschaften nichts am Hut. Jetzt habe ich das Gefühl, dass wir doch etwas verändern können. Auf meiner Station sind inzwischen fast 70 Prozent organisiert. Eine richtig gute Sache.«

Lisa Frye, Krankenschwester auf einer dermatologischen Normalstation am Uniklinikum Köln

 
Tillie Mühlpointner, Auszubildende am Uniklinikum Münster

»Wer eine gute Versorgung will, muss für gute Ausbildungsbedingungen sorgen. Doch es fehlt an Praxisanleitung und Zeit für Einarbeitung. Auf manchen Stationen wird man gleich als vollwertige Kraft eingesetzt. Das führt zu Frust und Überforderung. Praxisanleiterinnen und -anleiter müssen dafür freigestellt werden. Und wir wollen, dass unsere Dienstpläne sechs Wochen im Voraus feststehen, sonst kann man kein Privatleben planen. In den letzten Monaten sind sehr viele Auszubildende aktiv geworden. Angefangen hat es in der Länder-Tarifrunde im vergangenen Jahr. Jetzt wird es richtig groß.«

Tillie Mühlpointner, Auszubildende am Uniklinikum Münster

 

veröffentlicht/aktualisiert am14. April 2022

 

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