»Wir können nicht warten«

Im Tarifkonflikt für mehr Geld, Zeit, Entlastung und Ausbildungsqualität zeigen die Beschäftigten der vier baden-württembergischen Unikliniken Stärke.
03.07.2024

»Ohne Streik wird sich nichts verändern«, hallt es am Dienstag (2. Juli 2024) aus hunderten Kehlen durch die pittoreske Heidelberger Innenstadt. Die Beschäftigten der örtlichen Uniklinik schreien ihre Wut über die schlechten Arbeitsbedingungen heraus. In einem langen Demonstrationszug ziehen sie an Touristen vorbei, die sofort ihre Handys zücken und filmen, Passantinnen strecken den Daumen in die Höhe.

»Warum hört ihr uns nicht? Wir gehen kaputt«, steht auf dem Schild einer Kollegin. Eine andere hat »Gesundheit ist Gold wert – wir sind es auch« auf ihr Plakat gemalt. Die Botschaften richtet sich an die Arbeitgeber der vier baden-württembergischen Universitätskliniken: Sollten sie sich bei den Tarifverhandlungen am Dienstag und Mittwoch in Stuttgart weiterhin weigern, das von ver.di geforderte »Zukunftspaket« für mehr Geld, Zeit, Entlastung und Ausbildungsqualität zu vereinbaren, werden die Beschäftigten den Druck erhöhen.

 
Beschäftigte der Heidelberger Uniklinik fordern bessere Arbeitsbedingungen und mehr Geld.

Bessere Arbeitsbedingungen sind zentral

»Das Geld ist wichtig, keine Frage«, sagt Oscar Frank aus der Notfallambulanz des Heidelberger Uniklinikums. »Alles wird teurer, die Mieten in Heidelberg sind extrem hoch. Die Bezahlung muss dringend angepasst werden, um das Personal zu halten.« Doch das ist nicht der einzige Grund, weshalb sich der Pflegefachmann am dreitägigen Warnstreik beteiligt. Für ihn ist zentral, dass sich die Arbeitsbedingungen und die Personalbesetzung endlich verbessern.

Das betont auch seine Kollegin Nina Hermann. »Wir müssen sehr oft in unterbesetzten Schichten arbeiten. Jetzt wird das nur dokumentiert, man kann sich beschweren, aber de facto passiert dann nichts«, berichtet die Pflegefachfrau. Sie und ihre Mitstreiter*innen wollen das ändern: Im Entlastungs-Tarifvertrag soll festgeschrieben werden, dass Pflegekräfte nach drei unterbesetzten Schichten oder anderweitig belastenden Situationen einen zusätzlichen freien Tag bekommen. Nina Hermann findet es gut, dass mit der PPR 2.0 nun auf gesetzlicher Ebene eine Personalbemessung für die Krankenhauspflege eingeführt wird. »Wir können darauf aber nicht warten. Wir brauchen jetzt sofort Entlastung, deshalb kämpfen wir für den Tarifvertrag.«

 
Gute Stimmung beim Streik der Uniklinikbeschäftigten am 2. Juli 2024 in Heidelberg

Entlastung soll auch das sogenannte Lebensphasenkonto bringen, das ver.di für alle Beschäftigten der Unikliniken in Freiburg, Heidelberg, Tübingen und Ulm fordert. Dadurch wollen die Kolleg*innen zusätzliche freie Tage ansparen und für ihre Bedürfnisse einsetzen können. »Das wäre ein wichtiges Statement der Wertschätzung«, findet Nina Hermann. Sehr viele Kolleg*innen hätten wegen der hohen Belastung derzeit nur Teilzeitverträge. Würden sie entlastet und ihre Arbeitszeiten daraufhin aufstocken, könnten die Schichten besser besetzt werden, argumentiert die Pflegerin.

Entscheidende Phase

»Wir sind in der entscheidenden Woche des Tarifkonflikts«, stellt die stellvertretende ver.di-Landesbezirksleiterin Maike Schollenberger bei ihrer Rede auf der Kundgebung in Heidelberg fest. »Diese Woche entscheidet sich, ob wir eine Lösung am Verhandlungstisch finden.« Die rund 500 Demonstrierenden auf dem Karlsplatz machen mit ohrenbetäubendem Lärm deutlich: Sie sind bereit, falls sich die Arbeitgeber nicht bewegen. Gleiches gilt für ihre Kolleg*innen in Freiburg, Tübingen und Ulm, die zeitgleich demonstrieren. Insgesamt sind an diesem Tag an den vier Unikliniken mehr als 2.000 Beschäftigte im Ausstand.

Darunter etliche Auszubildende, denen die Forderungen zur Verbesserung der Ausbildungsqualität besonders am Herzen liegen. So sollen künftig 25 Prozent der praktischen Einsatzzeiten für strukturierte Anleitung zur Verfügung stehen. Praxisanleiter*innen sollen für alle Tätigkeiten verlässlich freigestellt und auch Auszubildende der medizinisch-technischen Assistenz und der Physiotherapie in den Tarifvertrag zur Ausbildungsqualität einbezogen werden.

 
Der Praxisanleiter Thomas Wenzel demonstriert am 2. Juli 2024 in Heidelberg für eine qualitativ hochwertige Versorgung.

»Eine gute Anleitung und Unterstützung ist für die Mitarbeiterbindung entscheidend«, meint der freigestellte Praxisanleiter Thomas Wenzel. »Wenn sich die Auszubildenden angenommen und wertgeschätzt fühlen, bleiben sie nach ihrer Ausbildung eher in der Klinik.« Die Forderung nach mehr Anleitungszeit hält er deshalb für absolut richtig. Allerdings müsse auch das dafür nötige Personal eingesetzt werden. »Als Praxisanleiter verbringen wir viel Zeit mit Vor- und Nachbereitung und mit der Dokumentation von Ausbildungsverläufen«, berichtet Thomas Wenzel. »Diese Arbeit wird oft gar nicht gesehen. Wir brauchen genug Zeit dafür.«

Es lohnt sich, für gemeinsame Ziele einzutreten

Für Emily Roske, die in Heidelberg eine Ausbildung zur Operations-technischen Assistentin (OTA) macht, ist gute Praxisanleitung ebenfalls entscheidend. »Wir lernen in der Theorie viel, aber in der Praxis ist es doch immer noch etwas anderes. Es macht einen großen Unterschied, ob man sich die Sachen in Ruhe zeigen und auch mal nachfragen kann.« Das OP-Team trage eine große Verantwortung, darauf müssten Auszubildende bestmöglich vorbereitet werden. »Die Unikliniken betreiben Spitzenmedizin, dafür braucht es hoch qualifiziertes Personal«, betont Emily Roske.

Von den 26 Auszubildenden, die mit ihr im OTA-Kurs begonnen haben, sind im dritten Jahr noch 17 übrig. Dass die anderen aufgehört haben, habe auch persönliche Gründe gehabt. »Aber es liegt auch am großen Druck und fehlender Betreuung«, glaubt die 21-Jährige, die daran etwas ändern will. Dass man gemeinsam etwas bewegen kann, hat sie schon früh in ihrer Ausbildung erfahren. Angesprochen wurde sie gleich zu Beginn bei einem Wohnheim-Rundgang von ver.di-Aktiven. Seither engagiert sie sich in der Betriebsgruppe für junge ver.di-Mitglieder. Diese organisierte 2022 ein Protestcamp vor dem Wohnheim, um auf schlechte Küchen und kaputte Waschmaschinen hinzuweisen. »Das hatte Erfolg: Wir haben jetzt neue Küchen und funktionierende Waschmaschinen«, berichtet Emily Roske. Ihre Erkenntnis daraus: Es lohnt sich, für gemeinsame Ziele einzutreten – auch in der aktuellen Tarifbewegung an den Unikliniken in Baden-Württemberg.

Daniel Behruzi

 

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