Klinikpersonal entlasten

»Wir pochen auf rasche Verbesserungen«

Tarifvertrag Entlastung am Klinikum Region Hannover beinhaltet 200 zusätzliche Pflegestellen, ein »Mobilteam« für mehr Dienstplansicherheit und Entlastungstage für Ältere, Interview mit Regina Wagener, ver.di-Vertrauensleutesprecherin am Klinikum Region Hannover.
26.02.2020
Regina Wagener Landesbezirk Niedersachsen/Bremen

Schon im November 2017 haben Beschäftigte des Klinikums Region Hannover für mehr Personal und Entlastung gestreikt. Einige Monate später verkündete der Arbeitgeber via Intranet eine Einigung. Doch erst jetzt, zum 1. Januar 2020, haben ver.di und Klinikleitung einen Tarifvertrag geschlossen. Warum hat das so lange gedauert?

Leider hat es sehr lange gedauert, bis das damalige Verhandlungsergebnis in einen Tarifvertrag gegossen werden konnte. Das hat unter anderem damit zu tun, dass der Arbeitgeber verschiedene Rechtsgutachten einholen wollte und diverse Gremiensitzungen abgewartet werden mussten. Eine Frage war, ob das Klinikum Region Hannover (KRH) als Mitglied im Kommunalen Arbeitgeberverband einen solchen Tarifvertrag abschließen kann, obwohl die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) das eigentlich nicht will. Der KRH-Vorstand hat das jetzt mutig getan. Es hätte auch niemand verstanden, wenn er die dringend nötige Entlastung aus solchen formalen Gründen verweigert hätte.

Unter anderem wird ein »Mobilteam« eingerichtet. Was hat es damit auf sich?

Als Ergänzung zum Tarifvertrag haben wir eine Betriebsvereinbarung zum Ausfallzeitenmanagement abgeschlossen. Diese hat zwei Elemente, die für Dienstplansicherheit sorgen sollen. Zum einen die sogenannten Joker-Dienste. Das sind Dienste an denen ich auf meiner Station über den Bedarf geplant bin und bei einem Krankheitsausfall auf einer anderen Station meinen Dienst dort leiste. Das hat den Vorteil, dass ich vorher weiß, wann die Möglichkeit des Stationswechsels gegeben ist, was meiner eigenen Sicherheit dient. Pro Einsatz bekommt man 75 Euro zusätzlich. Zum anderen wird ein Mobil-Team mit 100 Vollzeitstellen aufgebaut, das bei kurzfristigen Ausfällen gerufen werden kann. Pflegekräfte in dem Team erhalten einen Ausgleich von 300 Euro im Monat, weil sie flexibel in unterschiedlichen Stationen und Standorten einsetzbar sind. Wer bereit ist, in allen KRH-Häusern eingesetzt zu werden, bekommt monatlich 500 Euro mehr.

Ist das auch als Mittel zur Verringerung von Leiharbeit gedacht?

Ja, das wollen wir und das will auch der Arbeitgeber. Dennoch werden wir wohl erst einmal nicht ganz auf Leiharbeit verzichten können, bis die 200 zusätzlichen Vollzeitstellen im Pflege- und Funktionsdienst tatsächlich besetzt sind, die mit dem Tarifvertrag geschaffen werden. Mit den Neueinstellungen und dem Ausfallzeitenmanagement wollen wir erreichen, dass die Dienstpläne eingehalten werden. Wenn das gelingt, würde es die Berufe deutlich attraktiver machen. Und das führt hoffentlich dazu, dass wir genug neues Personal gewinnen und Kolleg*innen halten.

Wo sollen die 200 neuen Stellen eingerichtet werden?

Neben dem Mobilteam sollen die neuen Kolleg*innen unter anderem in besonders belasteten Bereichen und zur Verbesserung der Ausbildungsqualität eingesetzt werden. 30 zusätzliche Vollzeitstellen sollen dafür sorgen, dass keine Schicht mehr allein gearbeitet werden muss. Auch das würde die Attraktivität deutlich steigern, weil ganz viele Kolleginnen und Kollegen bei Alleinarbeit in der Nacht Angst haben, den Anforderungen nicht gerecht zu werden. Wenn es das nicht mehr gibt, kann ich mir gut vorstellen, dass Pflegekräfte früher aus der Elternzeit kommen oder ihre Arbeitszeiten erhöhen.

Ihr habt auch »Entlastungstage« vereinbart. Diese sollen allerdings, anders als beispielsweise in der Uniklinik Mainz, nicht im Falle von Überlastungssituationen, sondern generell für ältere Beschäftigte gewährt werden. Warum seid ihr diesen Weg gegangen?

Die Umsetzung ist sehr einfach. Man muss nicht erst irgendwas erfüllen und braucht keine Kontrollen, um diesen Anspruch zu haben. Und: Ein Großteil der Belegschaft profitiert davon. Ab dem 50. Lebensjahr gibt es drei Entlastungstage. Ab 2021 gilt diese ab dem 45. Lebensjahr. Bei uns ist knapp die Hälfte der Pflegekräfte 50 Jahre und älter. Fast zwei Drittel sind in der Altersgruppe ab 45. Das sind genau diejenigen, die unter der Arbeitsverdichtung der letzten Jahrzehnte gelitten haben. Deshalb finde ich es richtig, dass sie davon profitieren.

Ist es denn legal, speziell ältere Beschäftigte zu entlasten?

Ja, das haben beide Seiten vorab rechtlich geprüft. Eine ähnliche Regelung gibt es auch schon im Tarifvertrag, den ver.di bei der niedersächsischen Diakonie geschlossen hat. Ich finde das auch sehr gerecht, denn ältere Beschäftigte brauchen länger, um sich zu erholen. Und auf lange Sicht profitieren alle davon – auch diejenigen, die heute noch jünger sind. Übrigens gilt diese Regelung nicht nur für Pflegekräfte, sondern auch für die Beschäftigten der Servicetochter, also für Küchen- und Reinigungskräfte. Das ist ein großer Erfolg, denn der Arbeitgeber erkennt damit an, dass auch diese Bereiche hoch belastet sind. Für Therapeut*innen, Verwaltungsangestellte, Medizinisch-Technische Assistent*innen und andere Berufsgruppen gibt es die Entlastungstage leider noch nicht. Lediglich die Regelung, dass das Einspringen außerhalb des Dienstplans mit 150 Prozent berechnet wird, gilt für alle Bereiche.

Welche Maßnahmen werden zur Verbesserung der Ausbildungssituation ergriffen?

30 der 200 neuen Stellen sind für die Verbesserung der Ausbildungsqualität vorgesehen, zum Beispiel über zusätzliche Praxisanleiter*innen. Auch der Arbeitgeber hat ein Interesse daran, hier etwas zu tun. Denn von den Ausbildungsbedingungen hängt ab, ob die Leute nachher bei uns bleiben oder woanders hingehen. Ein neu geschaffenes Instrument ist die Ausbildungsfehlanzeige, die wir in einer Betriebsvereinbarung als Anlage zum Tarifvertrag festgeschrieben haben. Die Auszubildenden zeigen damit an, wenn sie an einem Tag nicht gut ausgebildet wurden, und dann können wir als betriebliche Interessenvertretung aktiv werden und auf Verbesserungen hinwirken.

Wo siehst du noch weiteren Handlungsbedarf?

Zum einen müssen wir die Regelungen jetzt schnell umsetzen. Wir nehmen den Arbeitgeber beim Wort und pochen auf rasche Verbesserungen. Zum anderen brauchen wir eine solche Vereinbarung auch für unsere Psychiatrie-Tochter, für die sie bislang nicht gilt. Und wenn sich die Regelungen zum Ausfallzeitenmanagement bewähren, wollen wir diese auf alle Berufsgruppen ausweiten. Gleiches gilt für die Entlastungstage, die sich natürlich auch die Beschäftigten außerhalb der Pflege und des Servicebereichs wünschen.

ver.di hat jetzt in 16 Großkrankenhäusern Vereinbarungen zur Entlastung durchgesetzt. Am Uniklinikum Schleswig-Holstein läuft die Urabstimmung über einen Erzwingungsstreik zum Thema. Zugleich haben ver.di, der Deutsche Pflegerat und die Deutsche Krankenhausgesellschaft ein Instrument zur Personalbemessung entwickelt, die PPR 2.0. Wie muss es aus deiner Sicht weitergehen, damit die Entlastung in den Kliniken auch tatsächlich ankommt?

Ich setze große Hoffnungen auf die PPR 2.0 und hoffe sehr, dass Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) auf dieser Grundlage eine gesetzliche Personalbemessung schafft. So kann sichergestellt werden, dass bei der Personalbesetzung und Finanzierung der tatsächliche Pflegebedarf zählt. Das nützt den Pflegekräften und den Patient*innen, letztlich aber auch den Krankenkassen, wenn das Geld zweckgebunden verwendet wird. Ich würde mir insgesamt wünschen, dass man wieder zum Selbstkostendeckungsprinzip zurückkehrt, dass also alle Kosten, die im Krankenhaus anfallen, tatsächlich abgedeckt werden. Allerdings dürften davon nicht kommerzielle Träger profitieren, die mit unseren Krankenversicherungsbeiträgen Gewinne machen. Deshalb bin ich dafür, dass diese Krankenhäuser in öffentliche Trägerschaft zurückgeführt werden.

 

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