»Es gibt keinen Mangel an Pflegekräften, sondern einen Mangel an Pflegekräften, die unter diesen Bedingungen bereit sind, in der Pflege zu arbeiten.« Das ist laut Professor Dr. Moritz Heß die Essenz der Studie »Ich pflege wieder, wenn…«, die am Mittwoch (3. Februar 2021) von der Arbeitnehmerkammer in Bremen vorgestellt wurde. Demnach schließen nur 12,5 Prozent der insgesamt gut 1.000 befragten (ehemaligen) Pflegepersonen aus, in ihren alten Beruf zurückzukehren. Zudem wären mehr als zwei Drittel der Teilzeitkräfte grundsätzlich bereit, ihre Arbeitszeit aufzustocken. Das allerdings nur, wenn sich die Bedingungen verbessern.
Der Gerontologe Heß und Dr. Jennie Auffenberg von der Arbeitnehmerkammer Bremen haben in einer »Potenzialabschätzung« hochgerechnet, wie viele zusätzliche Pflegestellen auf diese Weise besetzt werden könnten: Allein durch die Arbeitszeitaufstockung von Teilzeitkräften wären es deutschlandweit zwischen 92.000 und 170.000. »Hier schlummert ein großes Potenzial«, betonte Heß. Es zu mobilisieren, würde sowohl den Patient*innen und Bewohner*innen zugutekommen als auch den Beschäftigten.
Als zentrale Bedingungen für ihre Rückkehr oder die Verlängerung ihrer Arbeitszeiten nennen die Pflegekräfte unter anderem mehr Wertschätzung durch Vorgesetzte, mehr Zeit für hochwertige Pflege und menschliche Zuwendung sowie ein höheres Gehalt. Auch verlässliche Arbeitszeiten und Pausen werden von über 80 Prozent der potenziellen Rückkehrer*innen als wichtig oder sehr wichtig eingestuft. Sollten sie wieder in den Beruf einsteigen, erwarten sie zudem eine geregelte und strukturierte Einarbeitung.
Die wichtigste Form der Anerkennung sei eine angemessene Bezahlung, erklärte Auffenberg. »Die Pflegenden erwarteten eine Entlohnung, die ihrer großen Verantwortung und den hohen fachlichen, physischen und psychischen Anforderungen an ihre Arbeit gerecht werden«, so die Referentin für Gesundheits- und Pflegepolitik bei der Arbeitnehmerkammer Bremen. Interessant sei in diesem Zusammenhang, dass 86 Prozent der Befragten den Schutz durch Tarifverträge und fast ebenso viele die Existenz einer betrieblichen Interessenvertretung für wichtig halten. »Obwohl vielen Pflegekräften die Motivation und Kraft dafür fehlt, sich gewerkschaftlich zu organisieren, ist ihnen bewusst, wie wichtig das ist.«
Ganz oben auf der Forderungsliste potenzieller Rückkehrer*innen steht eine bedarfsgerechte Personalbemessung, die 83 Prozent für (sehr) wichtig halten. Verbindliche Personalvorgaben seien eine Voraussetzung dafür, dass Pflegekräfte die geforderte Zeit für fachgerechte Pflege und menschliche Zuwendung auch haben, betonte Auffenberg. Nur mit mehr Personal könne die Abwärtsspirale aus Überlastung, Flucht aus dem Beruf und noch stärkerer Überlastung der verbliebenen Beschäftigten gestoppt werden. »Das heißt: Wir brauchen mehr Pflegekräfte, um mehr Pflegkräfte zu gewinnen.« Dafür müssten die politisch Verantwortlichen durch die Einführung einer gesetzlichen Personalbemessung »glaubhaft vermitteln, dass sich die Bedingungen tatsächlich verbessern«. Die Studienautorin verwies darauf, dass sowohl für stationäre Pflegeeinrichtungen als auch für die Krankenhauspflege Instrumente zur Personalbemessung auf dem Tisch lägen.
Es folgte eine Debatte über die Studienergebnisse, zu der verschiedene Politiker*innen, leider aber nicht die Gewerkschaft ver.di geladen waren. Die Bremer Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard (Linke) berichtete, bei der letzten Gesundheitsministerkonferenz hätten Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und andere die Vorstellung des Personalbemessungsinstruments für die Krankenhauspflege, der PPR 2.0, abgelehnt. Deren Umsetzung müsse weiter eingefordert werden, so Bernhard. »Zugleich müssen wir überlegen, wie wir da auf Landesebene weiterkommen.« Auf jeden Fall müssten die Stellen im Gesundheitsbereich massiv ausgebaut werden.
Die Bremer Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne) forderte eine Aufwertung und bessere Finanzierung der Altenpflege. Die von Spahn vorgeschlagene Deckelung der Eigenbeiträge von Bewohner*innen in der stationären Pflege auf 700 Euro monatlich sei »eine leichte Verbesserung, aber der große Wurf steht noch aus«. Nötig seien die Umstellung auf ein solidarisches Versicherungswesen und die Durchsetzung einer flächendeckenden Tarifbindung in der Altenpflege. »Ich bin davon überzeugt, dass eine anständige Bezahlung die Standards sichert und die Wertigkeit des Berufs zeigt«, sagte die Grünen-Politikerin. Ihre Parteifreundin, die Bundestagsabgeordnete Kirsten Kappert-Gonther, mahnte eine Änderung des Finanzierungssystems der Krankenhäuser über Fallpauschalen (Diagnosis Related Groups, DRG) an. »Es gibt kaum noch jemanden im gesundheitspolitischen Orbit, der oder die findet, dass die DRGs eine sonderlich gute Idee sind.«
Doris Achelwilm, die für Die Linke im Bundestag sitzt, nannte eine Abwendung von den Fallpauschalen »absolut notwendig«. Es brauche einen deutlichen gesellschaftlichen Wandel, mit dem die Menschen und nicht die Profitorientierung in den Mittelpunkt des Gesundheitswesens gestellt werden. Die Gesundheitssenatorin Bernhard meinte, der einzige Weg sei, »das System der DRGs von innen auszuhöhlen«. Mit der Herausnahme der Pflegepersonalkosten aus den Fallpauschalen sei ein erster Schritt gelungen. Als nächstes müsse dies auch für die Geburtshilfe geschehen. Man wolle »Stück für Stück alles rausschneiden, bis von den DRGs nichts mehr übrig ist«, erklärte die Senatorin, gab allerdings zu, dass dies »leider nur sehr langsam« vorankomme.
Unterschiedliche Haltungen zeigten sich in der Debatte darüber, ob der Einsatz von mehr Hilfskräften zur Lösung der Probleme beiträgt. Die Studienautorin Auffenberg berichtete, dass Forderungen nach einer stärkeren Spezialisierung und einer klaren Abgrenzung zwischen Hilfs- und Fachkräften in der Befragung eher wenig Unterstützung bekommen haben. Ganzheitlich pflegen zu können, findet hingegen eine große Mehrheit von 71 Prozent der befragten Fachkräfte wichtig oder sehr wichtig.
Studie »Ich pflege wieder, wenn…« zum Download: Kurzfassung und Langfassung
ver.di Bundesverwaltung