Gefährdungsbeurteilung

    Geht doch!

    Der Betriebsrat des Psychosozialen Trägervereins Solingen e.V. (PTV) hat in den vergangenen Jahren eine Gefährdungsbeurteilung durchgeführt und damit den Gesundheits- und Arbeitsschutz der Beschäftigten deutlich verbessert.
    24.08.2017
    Portrait Mann
    © ver.di
    Gerhard Walsken

    Die Einrichtung

    Insgesamt arbeiten beim PTV etwa 150 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Der PTV ist ein kleiner frei-gemeinnütziger Träger der Gemeindepsychiatrie. Er besteht seit 1978 und hat mittlerweile acht Standorte. Es gibt einen eigenen klinischen Bereich mit Tagesklinik, Krisenwohngruppe, Institutsambulanz, mobiler Rufbereitschaft und Nachtbereitschaft. Hinzu kommen ein Wohnheim, eine Tagesstätte, diverse Hilfsangebote für Externe sowie Selbsthilfegruppen und Sportangebote. Im Bereich Arbeit und berufliche Rehabilitation werden die Klienten durch Integrationsfachdienste und Ergotherapie begleitet. Der PTV bietet Komplexmaßnahmen an. Das heißt, die verschiedenen Angebote des Vereins sind kombinierbar. Grundsätzlich wird mit einem Bezugstherapeutensystem gearbeitet, bei dem ein Klient möglichst immer den gleichen Ansprechpartner / die gleiche Ansprechpartnerin vorfindet. Besonders bei der PTV sind die internen Fortbildungen. Sie finden zwischen Profis, Angehörigen und Betroffenen statt. Ehemalige Betroffene spielen eine wichtige Rolle als Genesungshelfer. Der Umgang mit Neuroleptika und Antidepressiva wird vom Betriebsrat als sparsam bezeichnet.

    Die Probleme

    Problematisch aus Sicht des Arbeitsschutzes sind für die Beschäftigten vor allem die Alleinarbeitsplätze in der Nachtbereitschaft und bei der mobilen Rufbereitschaft. Hier kam es verschiedentlich zu Übergriffen, etwa gegen eine Ärztin, die danach sechs Monate keine Bereitschaft mehr machen konnte.

    Das Ergebnis

    Als Ergebnis gibt es beim PTV seit etwa acht Jahren eine Leitlinie zu Gewaltprävention und zum Umgang mit Gewalt. Diese hat der Betriebsrat mit dem Arbeitgeber ausgehandelt und als Betriebsvereinbarung verabschiedet. Kernstück der Leitlinie ist eine Dokumentation, in der sowohl verbale als auch gefühlte Bedrohung und physische Gewalt erfaßt wird. Die Dokumentation wird fortgeschrieben, ausgewertet und auf dieser Grundlage die getroffenen Maßnahmen immer wieder überprüft. „An die müssen wir allerdings immer wieder erinnern“, sagt Walsken. Die Krisen- und Gewaltdokumentation stellte fest, dass der Fokus der Gewalt in den Wohnheimen liegt, nicht im Akutbereich oder im Bereich des betreuten Wohnens.

    Das Mittel der Wahl!

    Die Leitlinie ist aber nicht vom Himmel gefallen. Sie wurde in längeren Auseinandersetzungen von Betriebsrat und Beschäftigten durchgesetzt. Der erste Schritt war eine Gefährdungsbeurteilung. „Diese mussten wir allerdings 2016 mit Hilfe von Berufsgenossenschaft und Bezirksregierung durchsetzen“, sagt Gerhard Walsken. „Diese erteilte dann terminierte Auflagen und eine davon war die Analyse der physischen Gefährdungen“. Dazu wurde mit einem Sicherheitsfachmann des Werksarztzentrums zusammen gearbeitet. Der Betriebsrat war bei den Begehungen beteiligt und nimmt an Sitzungen des Arbeitsschutzausschusses teil, der die Umsetzung der Empfehlungen des Sicherheitsbeauftragten kontrolliert.

    2006 wurde die Analyse der psychischen Belastung durch den Betriebsrat auf den Weg gebracht. Genutzt wurde dazu ein Fragebogen der BWG (Berufsgenossenschaft für Gesundheits- und Wohlfahrtspflege), der an die Belegschaft verteilt wurde. Der Rücklauf war hoch, aber der Vorstand des Vereins behandelte die Erhebung „als eine Art Privatvergnügen des Betriebsrats“, so Walsken. Die Ergebnisse konnte der Betriebsrat zwar in die Belegschaft vermitteln, es gab aber unmittelbar keine Konsequenzen, obgleich zumindest eine Abteilung deutlich erhöhte psychische Belastung zeigte. Mittlerweile konnte erreicht werden, dass zur Analyse psychischer Gefährdungen die Arbeitssituationsanalyse der BGW zur Anwendung kommt. Diese sieht abteilungsweise Gruppendiskussionen ohne Vorgesetzte vor.

    Die Konsequenzen

    Insgesamt, so schätzt Walsken ein, war die Gefährdungsbeurteilung für die Einrichtung ein großer Erfolg. Im Nachgang konnten eine Reihe von Maßnahmen umgesetzt werden. Dazu gehören z.B. Maßnahmen der Gebäudesicherheit. So sind die Umzäunung des Gartens sowie eine Tür zum Garten wieder abschließbar. Die Beleuchtung wurde zum Teil verbessert, in den Fluren bleibt das Licht die ganze Nacht an. Stolperfallen wurden beseitigt. Die Fluchtwege wurden in allen Bereichen markiert, es wurden Evakuierungspläne erstellt, die durchgespielt werden. Es gibt Schulungen zum Brandschutz. Jedes Haus bzw. jede Abteilung hat jetzt einen geschulten Sicherheitsbeauftragten.

    Auch das für die Beschäftigten so wichtige Thema der Gewaltprävention ist angegangen worden. So ist ein Trauma-Team nun bei gewalttätigen Übergriffen für die Nachsorge der Betroffenen verantwortlich. Ein Notfallhandy mit Raumüberwachung wurde für die (Einzel-) Nachtbereitschaften angeschafft. Damit kann der oder die Beschäftigte über einen Knopf eine andere Nachtbereitschaft anrufen, die dann mithören kann. Die Polizei soll Schlüssel zu jedem Raum sowie einen Lageplan für die Zentrale bekommen, um im Notfall schnell eingreifen zu können. Die Einrichtung bietet De-Eskalationstrainings und Selbstverteidigungskurse an. Eine gründlichere Einarbeitung soll die Kollegen und Kolleginnen auf Station und in der Ambulanz besser auf Gefahrensituationen vorbereiten. In der Mobilen Rufbereitschaft arbeitet ein neuer Kollege sechs Monate mit einem Erfahrenen zusammen. Die Mobile Rufbereitschaft fährt zur Krisenhilfe vor Ort. Zudem gibt es für die Mobile Rufbereitschaft jetzt ein Meldesystem mit An- und Abmeldung vom Dienst in der Zentrale.

    Positive Folgen

    „Insgesamt hat sich die Haltung zum Thema Sicherheit geändert“, sagt Walsken. „Das sieht man schon daran, dass es jetzt eine Qualitätsbeauftragte gibt, die sich permanent mit der Thematik des Arbeitsschutzes befasst, sowie Seminare mit Referenten und Referentinnen der BGW, an denen auch der Vorstand teilnimmt. Bei Gewaltübergriffen wird jetzt regelhaft die Polizei verständigt, und es wird Anzeige erstattet. Die jeweils Diensthabenden haben Hausrecht, also auch ein Verweisrecht. „Und auch mit Drogenkonsum wird ernsthafter umgegangen“, sagt Walsken. Um überprüfen zu können, ob bedrohliche Situationen aufgrund all dieser Maßnahmen zurückgegangen sind, fordert der BR im Sinne der Gefährdungsbeurteilung aktuell eine Auswertung der Fallzahlen ein.

    Fazit

    „Dies alles ist nach und nach zustande gekommen. Wir konnten diesen Prozess nur dadurch „beschleunigen“, dass wir mehrfach den Arbeitsschutz bei der Bezirksregierung und die BGW eingeschaltet haben“, sagt Betriebsratsvorsitzender Walsken. Der Arbeitgeber ist nach dem Arbeitsschutzgesetz verpflichtet, für die Einhaltung dieser Regelungen zu sorgen. Aber ohne engagierte Betriebsräte werden oftmals die Mindestbedingungen nicht umgesetzt, wie das Beispiel des PTV zeigt. Gerhard Walsken betont zudem, dass „ein allseits intern solidarischer Betriebsrat ohne Flügelkämpfe bei uns handelt. Die erzielten Fortschritte sind insofern allen Mitgliedern zuzuschreiben“.

     

    Wir danken Gerhard Walsken, seit vielen Jahren Betriebsrat bei der PTV, und seinen Kolleginnen und Kollegen für ihre Auskunftsbereitschaft. Bei Nachfragen: gwa@ifd-solingen.de

     

     

    Kontakt

    • Dietmar Erdmeier

      Eu­ro­päi­sche Ge­sund­heits­po­li­ti­k, Be­rufs­ge­nos­sen­schaft Ge­sund­heits­dienst und Wohl­fahrts­pfle­ge (BGW), Li­ve-In-Be­treu­ung

      030/6956-1815