Gefährdungsbeurteilung

    Es lohnt den Aufwand

    01.02.2017
    Portrait
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    Prof. Ni­en­haus

    Albert Nienhaus, Professor für Arbeitsmedizin und Forschungsbeauftragter der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) über Gefährdungsbeurteilungen

    Hinter einer Gefährdungsbeurteilung steckt die Idee, dass im Betrieb ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess angestoßen wird, an dessen Ende sichere, gesunde Arbeitsplätze stehen. In diesem Sinne schreibt das Arbeitsschutzgesetz seit 1996 vor, dass jeder Arbeitgeber regelmäßig Gefährdungsbeurteilungen durchführen muss, ebenso die Bereiche, die zu prüfen sind. Und: Die laufende Rechtsprechung zum Arbeitsschutzgesetz schreibt vor, dass die Arbeitnehmervertretung an diesem Prozess zu beteiligen ist. Es gilt die Mitbestimmung.

    Bei der Gefährdungsbeurteilung geht es um die Beschaffung der Arbeitsstätte und des Arbeitsplatzes selbst, um die Arbeitsmittel wie Maschinen und Instrumente, um Abläufe und Verfahren, um Arbeitszeiten, Qualifikationen und seitdem auch um psychische Belastungen bei der Arbeit. Ein Arbeitgeber kann durchaus belangt bzw. auch bestraft werden, wenn er seiner Pflicht zur Gefährdungsbeurteilung nicht nachgekommen ist oder sich beharrlich weigert, Gefährdungsbeurteilungen durchzuführen. Dies kontrolliert die Gewerbeaufsicht.

    Wenn ein Betriebsunfall darauf beruht, dass ein Arbeitgeber seinen Pflichten im Rahmen des Arbeitsschutzes nicht nachgekommen ist, kann er von der Unfallversicherung in Regress genommen werden. In einem schon ein paar Jahre zurückliegenden Fall hat ein Zahnarzt eine Praktikantin mitarbeiten lassen, ohne sie über einen ausreichenden Infektionsschutz aufgeklärt zu haben. Die junge Frau infizierte sich mit Hepatitis B und der Zahnmediziner wurde dafür zur Verantwortung gezogen. Ein Papiertiger, wie es so gern heißt, ist die Gefährdungsbeurteilung also keineswegs. Denn das Gesetz schreibt auch vor, dass der Arbeitgeber Belastungen, so sie festgestellt werden, beseitigen muss. Nur gucken und nichts tun, ist nicht im Sinne des Gesetzes. Soweit die gesetzlichen Grundlagen.

    Nicht immer kann die Gefährdungsbeurteilung Gefahren beseitigen, manchmal lassen sich Risiken nur minimieren – das Holen aus dem Frei lässt sich mit einer besseren Personalplanung reduzieren, aber bei einem generellen Personalmangel nicht gänzlich vermeiden. Aber die Erfolge in anderen Bereichen geben dem Instrument Recht. Gerade in der Pflege wurde deutlich: Blutübertragbare Viruserkrankungen lassen sich massiv eindämmen durch den Einsatz sicherer Instrumente, Gefährdungen durch schweres Heben und Tragen, Hautbelastungen durch Desinfektionsmittel und Handschuhe, Nadelstichverletzungen und infolge dessen blutübertragbare Infektionen sowie TBC oder Ansteckungen durch multiresistente Keime können verringert werden. Und einen Riesenerfolg haben wir bei der Bekämpfung berufsbedingter Allergien durch den Einsatz puderfreier, latexarmer Handschuhe erreicht.

    Das eigentliche Problem der Gefährdungsbeurteilung liegt nicht in der Erfassung der Risiken. Arbeitgeber und Arbeitnehmer kennen die Gefahren und ihre Ursachen auf Station und in der Arbeitsorganisation. Die Crux kommt danach: Welche Maßnahmen entwickeln wir? Wie setzen wir sie um? Wie überprüfen wir ihre Wirkung? Ohne einen Steuerkreis, der sich vorher genau überlegt, welchen Prozess er anstoßen will, bringt die beste Befragung, die beste Erfassung der Risiken nichts. Ermittelte Ergebnisse und Ursachen müssen akzeptiert, interpretiert, passgenaue Maßnahmen entwickelt werden. Und das bedeutet oftmals grundlegende Veränderungen in den bisherigen Vorgehensweisen.

    Doch ich möchte Mut machen, den ohne Zweifel anspruchsvollen Prozess einer Gefährdungsbeurteilung anzustoßen: Es lohnt sich! Als wir vor einiger Zeit in einer Klinik den Umgang mit Gewalt thematisierten, schwappte uns regelrecht eine Welle der Erleichterung entgegen. Endlich spricht mal jemand darüber! Zuvor galten Übergriffe, körperliche und verbale, als individuelles Problem. Allein durch unsere Mitarbeiterbefragung fand eine Enttabuisierung des Themas statt. Die sorgte dafür, das Problem aggressiver Patienten als das zu erfassen, was es ist: eine professionelle Gefährdung.

     

    Kontakt

    • Dietmar Erdmeier

      Eu­ro­päi­sche Ge­sund­heits­po­li­ti­k, Be­rufs­ge­nos­sen­schaft Ge­sund­heits­dienst und Wohl­fahrts­pfle­ge (BGW), Li­ve-In-Be­treu­ung

      030/6956-1815