Führen neue Managementkonzepte im Krankenhaus zu grundsätzlichen Veränderungen oder handelt es sich dabei nur um „alten Wein in neuen Schläuchen“? Geht es also um eine lange eingeübte Praxis, die sich vor dem Hintergrund der Konzentration und Privatisierung in der Krankenhauslandschaft und der Umstellung der Krankenhausvergütung auf die sogenannten DRG’s lediglich in neuer Form darstellt?
Um diese Frage zu klären, haben wir vom Fachbereich Gesundheit bei ver.di den Philosophen Dr. Klaus Peters eingeladen, mit uns zu diskutieren. Seine zentrale These ist, dass die Beschäftigten in den Unternehmen eine prinzipielle, radikale Veränderung der Steuerungsformen erleben. Seiner Meinung nach sollen diese bei unselbständig Beschäftigten eine Leistungsdynamik von Selbständigen und Freiberuflern hervorrufen. Dieses neue Managementkonzept nennt Klaus Peters „indirekte Steuerung“. Indirekte Steuerung bringt seiner Ansicht nach einen neuen Typ von gesundheitlicher Gefährdung für die Beschäftigten mit sich, für die er den Ausdruck „interessierte Selbstgefährdung“ geprägt hat.
Dr. Klaus Peters hat 2002 das COGITO-Institut für Autonomieforschung in Berlin mit gegründet. Bekannt geworden ist er mit dem Buch „Mehr Druck durch mehr Freiheit“ (2001; zusammen mit Wilfried Glißmann) und der Entwicklung der Theorie der indirekten Steuerung. Er berät Betriebsräte und ist Projektleiter in mehreren vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Forschungsprojekten.
Wir wollten von ihm wissen, ob er indirekte Steuerung und interessierte Selbstgefährdung auch im Krankenhaus erkennt, und haben ihm dazu Fragen gestellt. Aber geht seine Theorie der indirekten Steuerung auch mit den betrieblichen Erfahrungen in den Krankenhäusern zusammen? Dazu wollen wir eine Diskussion mit Beschäftigten und den verschiedenen gewerkschaftlichen Interessenvertreter/innen in den Krankenhäusern anstoßen. Und damit das gelingt, brauchen wir Eure Positionen aus den Betrieben. Wir bitten Euch deshalb, zu den Thesen von Klaus Peters mit kurzen Statements – betrieblichen Erfahrungen, aber auch Möglichkeiten, was dagegen zu tun ist, – Stellung zu nehmen!
Dr. Margret Steffen und Matthias Lindner
Krank zur Arbeit, Verzicht auf Pausen, Arbeit am Wochenende und im Urlaub, regelmäßig unbezahlte Mehrarbeit, Arbeit in einem irren Tempo – so wird die Arbeit in Krankenhäusern beschrieben. Was steckt Deiner Meinung nach hinter dieser Entwicklung?
Dahinter steckt, dass Krankenhäuser neue Formen der Leistungssteuerung von der Industrie übernehmen und sie auf einen Bereich übertragen, in dem sie besonders dramatische Folgen haben. Oberflächlich betrachtet handelt es sich um ein Ergebnis der Ökonomisierung, besser der Kommerzialisierung von Krankenhäusern, der Privatisierung und dem Druck, unter den die nicht-privatisierten Häuser dadurch geraten. Bei den großen privaten Trägern geht es selbstverständlich darum, mit der Gesundheitsversorgung Geld zu verdienen und zwar nicht zu knapp. Geld wird nur verdient, wenn die Kosten geringer sind als die Einnahmen. Der zentrale Kostenfaktor in Krankenhäusern sind die Personalkosten. Also wird an dieser Stelle gespart bis über die Schmerzgrenze hinaus.
Das ist aber nicht alles. Entscheidend ist, dass der Leistungsdruck dadurch nicht bloß höher wird. Er verändert sich auch und entsteht auf neue Weise. Die Krankenhäuser übernehmen von der Industrie nämlich nicht bloß das Rentabilitätsprinzip, sondern auch das Mittel, mit dem die Erträge gesteigert bzw. die Kosten gesenkt werden können. Ein neues Organisations- und Steuerungsprinzip hält Einzug in die Krankenhäuser und krempelt die interne Funktionsweise der Krankenhäuser um.
Kannst Du dafür Beispiele nennen?
Am deutlichsten sieht man es an den DRGs, also bei den Fallpauschalen, die jede einzelne Leistung von Ärzten und Pflegekräften mit betriebswirtschaftlichen Kennziffern verbinden. Hier werden medizinisch-pflegerische und betriebswirtschaftliche Daten verknüpft. Im Resultat wird nicht nur das Krankenhaus, sondern auch jeder einzelne Beschäftigte „ökonomisiert“. Den Kolleginnen und Kollegen rutscht gewissermaßen ein kleiner Taschenrechner in den Kopf. Bei jedem Schritt können sie sich selber vorrechnen, wie sich ihre Tätigkeit betriebswirtschaftlich darstellt. Sie müssen dies auch tun, da sie ihre Arbeit immer stärker dokumentieren müssen. Was da entsteht, nenne ich einen „doppelten Blick“ auf die eigene Arbeit. Zur fachlichen Seite – gute medizinische Versorgung – kommt die betriebswirtschaftliche Seite: Rechnet sich das? Ist meine Arbeit vom Budget abgedeckt? Kann ich das gegenüber Vorgesetzten, letztlich gegenüber der Klinikleitung vertreten?
Und überall, wo wir diesen „doppelten Blick auf die eigene Arbeit“ bei den Beschäftigten wiederfinden, ist ein neues Steuerungsprinzip am Werk, ein prinzipiell neues Verhältnis von Arbeitgeber und Arbeitnehmer, mit dem eben nicht nur höhere, sondern auch vollkommen neuartige Belastungen verbunden sind. Das haben wir bei COGITO in verschiedenen Branchen untersucht und sprechen dann von indirekter Steuerung der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen.
Wie stellt sich das im Arbeitsalltag dar?
Gute Frage! Man kann die Veränderung zur indirekten Steuerung, obwohl sie prinzipieller und tiefgreifender Natur ist, leicht übersehen. Es bleibt formalrechtlich bei der Weisungsgebundenheit von Arbeitnehmern. Es bleibt dabei, dass ihrer Arbeit Arbeitsverträge zugrunde liegen. Wenn man sich aber die alltäglichen Arbeitsabläufe anschaut, stellt man fest, dass sie immer weniger durch den – nach wie vor geltenden – Arbeitsvertrag geregelt werden. An diese Stelle treten mehr und mehr sogenannte commitments, das sind werkvertragsähnliche Verpflichtungen oder Selbstverpflichtungen. Das heißt, Arbeitnehmer werden nicht mehr verpflichtet, bestimmte spezifizierte Tätigkeiten auszuführen. Sie müssen vielmehr spezifizierte Arbeitsergebnisse erreichen. Und das verändert alles.
Und das ist auch in den Krankenhäusern zu finden?
Aber absolut! Die DRGs sind das beste Beispiel dafür. Das System der Fallpauschalen setzt ökonomische Anreize für eine Verkürzung der Liegezeiten von Patienten und eine Erhöhung der Fallzahlen. Weder das eine, noch das andere hat mit Qualität der ärztlichen oder pflegerischen Tätigkeit zu tun. Im Gegenteil. Also haben Ärzte und Pflegekräfte immer beide Aspekte im Kopf: die fachlichen Anforderungen und die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Beide Aspekte stehen im Clinch miteinander und führen immer wieder auch zu unlösbaren Konflikten – verkürzt gesagt: Tue ich, was fachlich geboten ist, oder nutze ich das System der DRGs im wirtschaftlichen Sinne optimal aus?
Ein weiteres Beispiel ist der Personalmangel: Wenn eine Station unterbesetzt ist, mache ich dann meine Arbeit und bringe meine Leistung im Sinne des Arbeitsvertrags – oder sehe ich, dass die Patienten vernachlässigt würden, wenn ich „nur“ den Arbeitsvertrag einhalten würde? Als Pflegekraft sitze ich also zwischen zwei Stühlen: das „der Betrieb laufen muss“ und gleichzeitig mein berufliches Verständnis über gute Pflege mit dem Anspruch, das Patienten gut versorgt werden. Beidem gerecht zu werden, ist angesichts fehlenden Personals auf den Stationen kaum auzuhalten. Deshelb kritisieren Pflegekräfte zu Recht die Belastungs- und Leistungskriterien, die sich aus den DRG´s ergeben.
Neue Managementmethoden wollen bei abhängig Beschäftigten eine Leistungsdynamik hervorrufen, die möglichst nahe an die Leistungsdynamik von selbständigen Unternehmer/innen herankommt. Denken wir an selbständige Gewerbetreibende oder Freiberufler/innen. Das beste Beispiel geben vielleicht die Existenzgründer/innen ab. Bei selbständigen Unternehmer/innen gibt es den „doppelten Blick auf die eigene Arbeit“ schon immer. Es genügt ja nicht, wenn sie gute Arbeit machen. Sie müssen sich gleichzeitig darum kümmern, dass sie mit ihrer guten Arbeit auch möglichst gut Geld verdienen. Dadurch entsteht aber eine ganz andere – und übrigens sehr viel stärkere – Leistungsdynamik als bei unselbständig Beschäftigten.
Abhängig Beschäftigte sind vor allem weisungsgebunden. Ihnen drohen auf der einen Seite Disziplinarmaßnahmen, und auf der anderen Seite winken ihnen Lob und Belohnung – im günstigsten Fall eine Beförderung. Das ist die bekannte Polarität von „Zuckerbrot und Peitsche“. Bei den Selbständigen haben wir es mit einer anderen Polarität zu tun. Ihre Leistungsdynamik wird bestimmt durch drohenden geschäftlichen Misserfolg und winkenden unternehmerischen Erfolg. Durch indirekte Steuerung wird die von Selbständigen her bekannte Polarität von Erfolg und Misserfolg bei unselbständig Beschäftigten hervorgerufen und ersetzt tendenziell die alte Polarität von ‚Zuckerbrot und Peitsche‘.
Hier die drei wichtigsten Kontrollfragen, mit denen man schnell herausfinden kann, inwieweit man noch in der „alten Welt“ der direkten Steuerung arbeitet oder schon in der „neuen Welt“ der indirekten Steuerung:
Aber diese Haltung von Beschäftigten, zuerst die gute Versorgung von Patienten zu sehen, ist doch nichts Neues im Krankenhaus. Ärzte und Pflegekräfte haben durch ihre Sorge um die Patienten oder aufgrund ihres beruflichen Verständnisses immer schon länger gearbeitet, als sie eigentlich verpflichtet waren. Hat sich hier wirklich etwas prinzipiell geändert?
Ja! Dass es so aussehen kann, als habe sich nichts geändert, ist Teil des Problems. Um ein Bild zu gebrauchen: Es ist immer noch genauso wie früher, ist heute auf den Kopf gestellt. Es ist also deswegen nicht bloß etwas ganz anderes, sondern beinahe das Gegenteil von dem, was es früher war.
Die Veränderung ist am leichtesten an der Hierarchiespitze, der Klinikleitung, zu erkennen. Dort hatten wir früher die „Götter in Weiß“, also Chefs, deren Autorität im Krankenhaus in ihrer fachlichen Autorität begründet war. Sei es tatsächlich, sei es dem Anspruch nach. Die medizinische, fachliche Seite war die Rechtfertigungsgrundlage für die Steuerung und die Herrschaft im Betrieb. Der Sinn von Anweisungen – insbesondere dann, wenn damit unter Umständen Härten verbunden waren, sollte für untergebene Ärzte und Pflegekräfte fachlich nachvollziehbar sein bzw. sie sollten darauf vertrauen können, dass sie fachlich begründet sind. Insofern stand die Befolgung von Anweisungen im Einklang mit dem fachlichen Gewissen der „Gesteuerten“.
Beim Übergang zur indirekten Steuerung tauchen oberhalb der „Götter in Weiß“ neue Götter auf, die Götter der Excel-Tabellen. Das sind Betriebswirtschaftler und Controller, die unter Umständen nur wenig oder auch gar keine Ahnung von der fachlichen Seite der Krankenhausarbeit haben. Vor diesen haben sich nun die bisherigen Götter in Weiß zu rechtfertigen – und zwar nicht unter fachlichen, sondern unter betriebswirtschaftlichen Aspekten. Sie müssen nachweisen, dass sich ihre Arbeit rentiert, zur Effizienz der Behandlung und so zur Kostensenkung beiträgt. Das heißt unterm Strich: Betriebliche Herrschaft stützt sich nicht mehr auf fachliche Qualität und Autorität, sondern auf betriebswirtschaftliche Sachzwänge. Und das hat umkrempelnde Auswirkungen für alle, die im Krankenhaus arbeiten.
Und wie wirkt sich diese Veränderung dann auf Pflegekräfte aus?
Für eine Pflegekraft heißt das: Wenn sie früher unter Berufung auf das Wohl der Patienten zu unbezahlter Mehrarbeit gedrängt wurde, aus Gewissensgründen, Mitgefühl oder berufsfachlichem Verständnis zu unbezahlter Mehrarbeit bereit war, so war das fachlich begründet. Es stand im Einklang mit dem Organisationsprinzip des Krankenhauses und sie konnte mit der Anerkennung für ihr Verhalten rechnen. Wenn sie es heute tut, steht die Stimme ihres fachlichen Gewissens gegen das Prinzip der Steuerung im Krankenhaus. Die Controller rechnen den Beschäftigten unter Umständen vor, dass die frühere Qualität der Pflege nicht in den DRG‘s abrechenbar ist, sie heute nicht mehr bezahlbar sei. Solche Sätze werden ja offen ausgesprochen. Und wenn Ärzte und Pflegekräfte sehen, dass das, was dabei herauskommt, mit ihrem fachlichen Gewissen nicht zu vereinbaren ist, gleichen sie die Differenz oftmals zu ihren eigenen Lasten aus mit den bekannten Folgen für ihre Gesundheit. Entscheidend ist: Sie verhalten sich so, obwohl sie nicht durch Vorgesetzte dazu angewiesen werden. Und so wird ihnen gewissermaßen die Verantwortung dafür "selbst in die Schuhe geschoben", wenn sie krank werden und die Belastungssituation nicht aushalten können. Das ist eine Argumentationslinie, die ihren Höhepunkt erreicht, wenn man Pflegekräften ein Helfersyndrom unterstellt und die Auswirkungen der indirekten Steuerung als Auswirkung einer persönlichen Macke von Beschäftigten betrachtet wird.
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