Bei der gesetzlich vorgeschriebenen Gefährdungsbeurteilung sind auch die psychischen Belastungen zu berücksichtigen. Das hat die Gesetzgebung eindeutig klargestellt: 2013 wurden diese Belastungen explizit in § 5 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) aufgenommen.
Unter dem Begriff „psychische Belastung“ versteht man im Arbeitsschutz (Norm EN ISO 10075) – abweichend vom Alltagssprachgebrauch – „die Gesamtheit aller erfaßbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und psychisch auf ihn einwirken“.
Die Auswirkungen der psychischen Belastung auf die Beschäftigten wird demgegenüber in der Fachsprache als „psychische Beanspruchung“ bezeichnet. Wichtig: Diese individuelle Auswirkung einer psychischen Belastung auf eine Person spielt bei der Gefährdungsbeurteilung keine Rolle. Genauso wenig geht es um die Einschätzung der Leistungsfähigkeit der Beschäftigten. Es kommen ausschließlich die psychischen Belastungen – also die Arbeitsbedingungen - auf den Prüfstand.
Ziel einer Gefährdungsbeurteilung ist es nicht, jegliche psychische Belastung im Arbeitsalltag zu verhindern. Es geht vielmehr darum, jene Faktoren zu finden und zu beeinflussen, die für die Mehrzahl der Beschäftigten ein Gesundheitsrisiko bergen. Das sind vor allem Bereiche wie Arbeitsinhalte und Arbeitsaufgaben, die Gestaltung der Arbeitsorganisation oder der sozialen Beziehungen im Arbeitskontext, die Arbeitsumgebung oder neue Arbeitsformen. Die Gefährdungsbeurteilung bringt aber nicht nur Risiken ans Licht, sondern auch vorhandene Ressourcen, die es auszubauen lohnt. Beispielsweise einen guten Zusammenhalt im Team, einen vertrauensvollen Austausch der Beschäftigten mit Vorgesetzten oder auch eine gute Dienstplangestaltung.
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Die Gefährdungsbeurteilung ist ein fortlaufender Prozess, der sich aus folgenden sieben Schritten zusammensetzt:
Diese sieben Schritte gelten auch für die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung. Jedoch werden diese nicht über objektive Messungen ermittelt und es gibt auch keine Grenzwerte wie etwa bei Gefahrstoffen. Gefährdungen durch psychische Belastung bei der Arbeit können über schriftliche Befragungen, Beobachtungen, Interviews oder moderierte Workshops erfaßt werden.
Die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienste und Wohlfahrtspflege (BGW) empfiehlt, die Steuerung der Gefährdungsbeurteilung einem geeigneten Gremium zu übertragen, etwa dem Arbeitsschutzausschuss. Wichtig ist, dass in dem Gremium die erforderlichen Fach- und Entscheidungskompetenzen vorhanden sind. Mitwirken sollten auf jeden Fall die Geschäftsführung, die betriebliche Interessenvertretung und die betrieblichen Arbeitsschutzverantwortlichen.
Für den Erfolg kommt es unter anderem darauf an, dass:
Unverzichtbar ist die Dokumentation der Gefährdungsbeurteilung. Für den Teilbereich der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung empfiehlt die BGW vor allem die Dokumentation von Zielen, Analyseergebnissen und Maßnahmenplänen während des gesamten Prozesses und die Zusammenführung der Unterlagen zur Dokumentation des Gesamtprozesses.
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Eine Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen kann nicht für ein gesamtes Unternehmen am Stück erstellt werden, denn die Arbeitsbedingungen in den verschiedenen Abteilungen variieren oft sehr stark. Je nach Unternehmen sind also sinnvolle Untersuchungseinheiten festzulegen, beispielsweise in Bezug auf Aufgabenbereiche, Standorte oder Personengruppen. Im Krankenhaus sollte sich an der Gliederung in die verschiedenen Fachdisziplinen und Abteilungen orientiert werden.
Führungskräfte einer Hierarchieebene sollten in eigenen Untersuchungseinheiten zusammengefaßt werden, um die spezifischen mit der Führungstätigkeit verbundenen psychischen Belastungen zu erkennen und zu bearbeiten. Gleichzeitig werden so die Ergebnisse aus den verschiedenen Beschäftigtengruppen aussagekräftiger, wenn Hinweise der oder des jeweiligen Vorgesetzten nicht in die Gruppenmeinung einfließt.
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Psychische Belastungen der Beschäftigten in den einzelnen Abteilungen oder Untersuchungseinheiten sind am besten über folgende Themenfelder zu ermitteln:
Für jedes Themenfeld lassen sich weitere Fragen formulieren, die auf die psychische Belastung zielen. Zum Aspekt Handlungsspielräume beispielsweise folgende:
Weitere Bespielfragen finden sich in der BGW-Handlungshilfe zur Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung in Kliniken auf den Seiten 9ff.
Beantworten lassen sich solche Fragen auf verschiedenen Wegen – insbesondere durch Beobachtungen, schriftliche Befragungen der Beschäftigten, Interviews und moderierte Workshops mit Gruppendiskussionen. Jede Methode hat Vor- und Nachteile:
Die verschiedenen Methoden lassen sich verknüpfen, um die jeweiligen Vorteile zu nutzen und Nachteile zu begrenzen. Die BGW hat für die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung in Krankenhäusern beispielsweise eine Handlungshilfe entwickelt, die für das Ermitteln zunächst einen standardisierten Fragebogen samt Auswertungssoftware anbietet und für die spätere vertiefende Analyse, Beurteilung und Erarbeitung von Maßnahmen, die Schritte 3 und 4 der Gefährdungsbeurteilung, einen moderierten Workshop vorschlägt.
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Das Beurteilen der Gefährdungen zielt darauf ab, den Handlungsbedarf zu ermitteln. Grundsätzlich hat der Arbeitgeber oder die Arbeitgeberin bei diesem Schritt einzuschätzen, ob ein Risiko vernachlässigbar, noch akzeptabel oder inakzeptabel ist. Dies richtet sich danach, mit welcher Wahrscheinlichkeit eine Gefährdung eintreten wird und wie gravierend die Folgen sein können.
Gleichzeitig empfiehlt es sich, Schutzziele in Form eines Soll-Zustands zu formulieren. Anhand eines Vergleichs des ermittelten Ist-Zustands mit dem angestrebten Soll-Zustand lassen sich dann Defizite systematisch und zuverlässig erkennen. Ziele haben zudem den Vorteil, dass sie geplante Verbesserungen auf den Punkt bringen und leichter zu überprüfen sind. Für die spätere Wirksamkeitsprüfung ist es wichtig, dass die Ziele möglichst konkret formuliert werden, das heißt, messbar und objektiv, machbar und zeitlich erreichbar sind.
Für die Definition von Schutzzielen besteht für manche Aspekte die Möglichkeit sich an rechtlich vorgegebenen Mindestanforderungen zu orientieren. Bei diesen „normierten Schutzzielen“ ist der Soll-Zustand bereits in Gesetzen, Verordnungen, Unfallverhütungsvorschriften oder technischen Regeln konkretisiert. So gibt es etwa Grenzwerte für Gefahrstoffe und Lärmbelastungen oder Vorgaben für Sicherheitsabstände, Beleuchtung und Temperatur. Ebenfalls auf der sicheren Seite ist man in vielen Punkten mit Normen, Vorschriften, Informationen oder auch Regeln der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV).
Bei den psychischen Belastungen kommt es aber bei vielen Aspekten auf die Einschätzung der Betroffenen, also der Beschäftigten an. Je nach Verfahren gibt es Vergleichswerte aus der Branche. Diese spiegeln dem Unternehmen, inwieweit die eigenen Beschäftigten die Arbeitsbedingungen anders einschätzen als der Branchendurchschnitt. Die Benchmarks bieten nur Anhaltspunkte, sagen aber nichts über den Handlungsbedarf aus. Es ist auf jeden Fall ratsam, sich im Vorfeld Gedanken zu machen, ab wann im eigenen Unternehmen Handlungsbedarf besteht. So möchte ein Betrieb beispielsweise keinen einzigen Mobbingfall tolerieren, obwohl diese im Branchendurchschnitt häufiger vorkommen.
Die BGW rät, die Ergebnisse der Gefährdungsermittlung aus Schritt 2 für die einzelnen Untersuchungseinheiten zunächst den jeweiligen Führungskräften zur Verfügung zu stellen. Diese wiederum sollten die Ergebnisse in ihren Teams vorstellen. Diese erste Auseinandersetzung mit den Ergebnissen des Arbeitsbereichs erleichtert die zielgerichtete Bearbeitung und Ableitung von Maßnahmen.
Weiter vertieft und bewertet werden können die Ergebnisse in moderierten Workshops der Beschäftigten und der Führungskräfte der jeweiligen Arbeitsbereiche. Diesen Weg skizziert die BGW in ihrer Handlungshilfe zur Gefährdungsbeurteilung der psychischen Belastung im Krankenhaus auf den Seiten 22ff.
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Am besten ist es natürlich, wenn Gefahrenquellen beseitigt werden können. Häufig aber gibt es diese Möglichkeit nicht. Dann gilt es, sicherheitstechnische, organisatorische und personen- und verhaltensbezogene Maßnahmen sinnvoll miteinander zu verzahnen. Manche Gefährdungen lassen sich durch technische Vorrichtungen oder bauliche Maßnahmen entschärfen, andere durch das Optimieren der Arbeitsorganisation und andere wiederum durch organisatorische Verbesserungen. Auf der personen- und verhaltensbezogenen Ebene müssen aber Informationen, Schulungen und Unterweisungen zu jeder technischen und organisatorischen Maßnahme immer dazu gehören.
Bei der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung sollten personen- und verhaltensbezogene Maßnahmen grundsätzlich nicht als erste oder gar einzige Lösung betrachtet werden. Gleichwohl sind ausreichende Qualifizierung und Schulung eine Voraussetzung, damit die Beschäftigten bei der Arbeit mit den dortigen psychischen Belastungen gut zurechtkommen.
Wie bei den vorangegangenen Schritten der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung empfiehlt sich auch bei der Entwicklung von Schutzmaßnahmen die aktive Beteiligung der Beschäftigten. Auch hier können moderierte Workshops der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie der Führungskräfte in den verschiedenen Arbeitsbereichen eingesetzt werden. Die BGW empfiehlt, in den Workshops möglichst für die drei wichtigsten Belastungsfaktoren passende Lösungen zu entwickeln. Wichtig ist, dass für die festgelegten Maßnahmen auch verantwortliche Personen benannt und zeitliche Fristen definiert werden.
Einen möglichen Ablauf der Workshops erläutert die BGW in ihrer Handlungshilfe zur Gefährdungsbeurteilung der psychischen Belastung im Krankenhaus auf den Seiten 22ff.
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Ohne Umsetzung von Maßnahmen bringt die ganze Gefährdungsbeurteilung nichts. Wichtig ist dieser Schritt nicht nur für die Veränderung der Arbeitsbedingungen sondern auch für das Betriebsklima. Wenn der Ermittlung und Beurteilung der Gefährdungen und der Festlegung von Maßnahmen keine Taten folgen, dürfte das ganze Vorhaben für die Belegschaft unglaubwürdig erscheinen. Statt der psychischen Belastung entgegenzuwirken, würde man sie auf diese Weise noch steigern.
In der Regel liegt ein großer Teil der Maßnahmen zur Prävention psychischer Beanspruchung im Einflussbereich der jeweiligen Führungskraft des Arbeitsbereiches. Sie trägt dann die Verantwortung für die nächsten Schritte und die Verbesserung der Arbeitssituation. Damit die Themen im Arbeitsalltag nicht in Vergessenheit geraten, empfiehlt die BGW ein regelmäßiges Review zum Stand der Umsetzung – beispielsweise monatlich im Rahmen einer Dienstbesprechung.
Es gibt aber auch Belastungen, bei denen die Zusammenarbeit mehrerer Bereiche erforderlich ist, um die Belastungsfaktoren zu beseitigen bzw. besser zu gestalten. Dazu bietet sich eine übergeordnete Steuerung der betreffenden Maßnahmen an. Gefragt ist dann das Gremium, welches die Gefährdungsbeurteilung im Betrieb steuert. In dieser Gruppe sollten auf jeden Fall die Geschäftsführung, die betriebliche Interessenvertretung und die betrieblichen Arbeitsschutzverantwortlichen mitwirken.
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Konkret zu überprüfen ist im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung zweierlei: Die Umsetzung der festgelegten Maßnahmen und deren Wirkung in der Arbeitsorganisation und hinsichtlich der Beschäftigten. So ist es sinnvoll die Umsetzung direkt nach dem vereinbarten Termin zu kontrollieren: Ist die Maßnahmen termingerecht durch die beauftragten Personen ausgeführt worden. Danach empfiehlt es sich, die Umsetzung in festgelegten Abständen fortlaufend wieder in den Blick zu nehmen. Hinsichtlich der Wirkung steht dann auf der Tagesordnung, ob die Gefährdungen auch wirklich beseitigt oder reduziert sind oder ob durch die Maßnahmen eventuell neue, zusätzliche Gefährdungen entstanden sind.
Zu bedenken ist, dass viele Maßnahmen zur Reduzierung einer Gefährdungssituation längere Zeit benötigen, bis sie Wirkung zeigen. So sind an der Klärung von Schnittstellen und Verantwortlichkeiten in der Regel mehrere Personen und Fachbereiche zu beteiligen, bis eine gemeinsame Lösung verabschiedet werden kann. Veränderungen in der Dienstplangestaltung oder das Einrichten eines Springerpools sind Beispiele für Lösungsansätze, die umfangreiche Vorbereitungen und Absprachen benötigen und ihre Wirkung erst mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung entfalten können. Gerade bei Maßnahmen zur Entlastung im psychischen Bereich kann erfahrungsgemäß meist erst nach ein bis zwei Jahren gesagt werden, ob sie wirksam waren. Hier zeigt sich noch einmal wie wichtig es ist, Ziele zu definieren und den zeitlichen Rahmen festzuhalten. Selbstverständlich ist auch hier: Die Ergebnisse der Überprüfung sind schriftlich festzuhalten. Sie sind Bestandteil der Dokumentation.
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Arbeitsschutz ist ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess, der nie ganz abgeschlossen ist. Gleichzeitig kann sich die Gefährdungs- und Belastungssituation im Unternehmen ändern. Deshalb muss die Gefährdungsbeurteilung regelmäßig fortgeschrieben werden. Je nach Situation empfiehlt es sich, die psychische Belastungssituation grundsätzlich alle zwei bis fünf Jahre zu untersuchen. Mögliche Hinweise auf unentdeckte Gefährdungen und Belastungen sind auch eine auffällig hohe Fluktuation oder Häufungen von Beschwerden sowie Gesundheitsbeeinträchtigungen.
Unabhängig von diesem regelmäßigen Turnus muss die Gefährdungsbeurteilung bei Anlässen aktualisiert werden wie Einführung neuer Arbeitsabläufe, die Anschaffung neuer Geräte oder die Verwendung neuer Arbeitsstoffe oder Gefahrstoffe. Aktualisierung ist auch geraten bei der Umgestaltung von Arbeitsbereichen, Änderung der Arbeitsorganisation und des Arbeitsablaufs und bei neuen bzw. geänderten Verordnungen.
Weitere Informationen:
Berufsgenossenschaft Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW), Arbeits- und Gesundheitsschutz
030/6956-1815
dietmar.erdmeier@verdi.de