Gefährdungsbeurteilung

"Gesünder arbeiten"

16.06.2017

Arbeits- und Gesundheitsschutz im Tarifvertrag regeln – Sylvia Skrabs von der tarifpolitischen Grundsatzabteilung bei ver.di erklärt, warum sich das lohnt und wie Interessenvertretungen dabei vorgehen sollten.

 
Sylvia Skrabs

Seit einigen Jahren verhandelt ver.di in Tarifverträgen auch Fragen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz. Wie kam es dazu?

Wir werden älter und unsere Lebenserwartung steigt glücklicherweise an. Zur Bewältigung des demografischen Wandels wurde unter anderem politisch entschieden, das Renteneinstiegsalter zu erhöhen. Gleichzeitig wurden die Möglichkeiten für ältere Beschäftigte abgeschafft, früher und ohne große Einkommensverluste aus dem Erwerbsleben ausscheiden zu können. Hinzu kommt, dass gerade in Krankenhäusern und den sozialen Diensten Strukturanpassungen und Rationalisierung allein über die Reduzierung von Personal umgesetzt wurden. Dies alles trägt dazu bei, dass die Belegschaften älter werden und gleichzeitig die Arbeitsverdichtung, Zeit- und Leistungsdruck in den Einrichtungen und Unternehmen deutlich zugenommen haben.

ver.di setzt sich für die gute Gestaltung der Arbeitsbedingungen ihrer Mitglieder ein. Es geht darum, der Intensivierung der Arbeit, Stress und Leistungsdruck etwas entgegensetzen und Belastungen zu reduzieren sowie die Mitbestimmungs- und Gestaltungsmöglichkeiten der Beschäftigten und ihrer Interessenvertretungen zu stärken. Betrieblich besteht die Herausforderung darin, der jüngeren Generation durch präventive Angebote des Arbeits- und Gesundheitsschutzes die Chance zu geben, ihre Leistungsfähigkeit bis ins Rentenalter bestmöglich zu erhalten. Für die ältere Generation werden Angebote gebraucht, die für Entlastung sorgen und einen gleitenden Übergang in die Rente ermöglichen. Um dieses Ziel zu erreichen, stehen uns als Gewerkschaften Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen zur Verfügung.

Warum sollte der Arbeits- und Gesundheitsschutz in einem Tarifvertrag geregelt werden?

Das Arbeitsschutzgesetz ist mit der Verpflichtung, Gefahren zu beurteilen sowie entsprechende Maßnahmen zu ergreifen und zu dokumentieren, ein sehr gutes Instrument, um auf die Arbeitsbedingungen Einfluss nehmen zu können. Allerdings kann ein Gesetz nur einen Gesamtrahmen vorgeben. Tarifverträge und auch Betriebsvereinbarungen eignen sich daher sehr gut, die konkreten Branchenbedingungen auch im Arbeits- und Gesundheitsschutz abzudecken und die Spielräume, die das Gesetz gibt, aktiv zu nutzen.

Welche Themen können so geregelt werden?

Diese können sehr vielfältig sein, je nachdem wo die ver.di-Mitglieder einen konkreten Handlungsbedarf sehen. Im Krankenhausbereich ist das z.B. das fehlende Personal, das ständige „Holen aus dem Frei“ und die Belastungen, die sich ergeben, wenn Pflegekräfte notwendige Pflegestandards auf den Stationen vernachlässigen müssen. Im Tarifvertrag kann es also um die Gestaltung von Arbeitszeiten, die stärkere Einflussnahme auf Leistungsbedingungen, eine bessere Balance zwischen Arbeit und Privatem, aber auch um Fragen der Weiterbildung gehen. Ebenso können Regelungen zu einem entlastenden Übergang in die Rente oder über die prozesshafte Umsetzung eines Gesundheitsmanagements unter Beteiligung der Beschäftigten getroffen werden.

Was sollte ein Tarifvertrag mit Blick auf den Arbeits- und Gesundheitsschutz regeln?

Ein Tarifvertrag oder eine Betriebsvereinbarung, die ein ganzheitliches Gesundheitsmanagement zum Inhalt haben, sollten einen Perspektivwechsel vornehmen: nicht Arbeitsunfähigkeit vermeiden, sondern Arbeitsfähigkeit ermöglichen. Dazu braucht es kontinuierliche Informationen zum Gesundheitsstatus im Betrieb, die der Interessenvertretung zur Verfügung stehen. Es sollten Prozessschritte/Verfahrensregeln vereinbart werden, wie z.B. eine Gefährdungsbeurteilung durchzuführen ist. Eine Steuerungsgruppe ist einzurichten und ihre Kompetenzen und Aufgaben sind klar zu regeln.

Zentral für die Interessenvertretungen ist es, ein solches Vorhaben nicht ohne eine nennenswerte Beteiligung von Kolleg*innen in Angriff zu nehmen. Es ist wichtig, die Beschäftigten aktiv in dem Prozess einzubeziehen. Sie sind die Experten in eigener Sache. Dafür müssen auch Ressourcen, das heißt Zeit, Mittel und Weiterbildungsmöglichkeiten zu Gesundheitsschutzthemen zur Verfügung stehen. Aber auch die Verantwortung der Führungskräfte muss berücksichtigt werden, wenn es erfolgreich werden soll. Und: Die Dokumentationspflicht, die „Kunst des Protokolls“ ist nicht zu unterschätzen. Das dient nämlich als Nachweis über die vereinbarten Maßnahmen und ihre Umsetzung oder welche Verbesserungen erreicht werden konnten bzw. wo sich nichts getan hat.  

Inwiefern hilft ein solcher Tarifvertrag oder eine solche Betriebsvereinbarung der Interessenvertretung?

Tarifverträge geben betrieblichen Interessenvertretungen Leitplanken und Sicherheit bei der realen Umsetzung von Initiativen guter Arbeit im Betrieb. Die Umsetzung eines ganzheitlichen Arbeits- und Gesundheitsschutzes ist sehr komplex. Das ist eine Querschnittsaufgabe, die die gesamten Arbeitsbedingungen, die Arbeitsorganisation und sozialen Beziehungen im Betrieb berührt.

Tarifvertraglich gesetzte Rahmenbedingungen können die Interessenvertretungen unterstützen, sich auf die jeweilige Umsetzung des Prozesses zu konzentrieren. Sie haben damit Instrumente des konkreten Handelns in der Hand, können ihre Mitbestimmungsrechte nutzen und, für alle Beschäftigten im Betrieb sichtbar, Veränderungen in den Arbeitsbedingungen konkretisieren.

Und wie hilft das der Belegschaft?

Den Beschäftigten sichern die tariflichen Regelungen klare Rechte, die sie in Anspruch nehmen können, bieten Sicherheit und Einfluss bei der Gestaltung guter Arbeitsbedingungen. Tarifliche Regeln können dazu beitragen, dass sich ihre Arbeitsbedingungen verbessern, sie gesünder arbeiten können, in einer sich rasant wandelnden Arbeitswelt.

Gibt es gute Beispiele von Tarifverträgen zum Gesundheitsschutz?

Aber ja! ver.di hat in ganz unterschiedlichen Bereichen mit diesem Instrument Erfahrungen sammeln können. Herauszustellen sind der Belastungsschutztarifvertrag der Deutschen Telekom AG, der Personalbemessungstarifvertrag der Charitè, der Tarifvertrag Alternsgerechtes Arbeiten der Post AG, der Tarifvertrag Gesundheitsmanagement bei IBM, verschiedene Tarifverträge im Nahverkehr und die Betriebsvereinbarung, die am Universitätsklinikum Marburg-Gießen vor der Einigungsstelle durchgesetzt werden konnte.

 

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Kontakt

  • Dietmar Erdmeier

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