Gefährdungsbeurteilung

Ein wichtiger Hebel für Entlastung und mehr Personal im Krankenhaus

Sylvia Bühler, Leiterin des Fachbereis Gesundheit, Soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen im Interview
01.02.2017
Sylvia Bühler, Bundesfachbereichsleiterin Mitglied im ver.di-Bundesvorstand

In der Charta der Grundrechte der Europäischen Union heißt es „Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer hat das Recht auf gesunde, sichere und würdige Arbeitsbedingungen.“ Spricht man mit Kolleginnen und Kollegen im Gesundheits- und Sozialwesen, liegt beim Arbeits- und Gesundheitsschutz jedoch vieles im Argen. Der stressige Arbeitsalltag bleibt nicht in den Kleidern hängen, bei vielen beeinträchtigt er erheblich ihre Gesundheit. Ein häufiger Grund: Zu wenig Personal. In deutschen Krankenhäusern fehlen 162.000 Stellen, davon 70.000 allein in der Pflege, so der Befund des ver.di-Personalchecks. Deutschland trägt in Europa die rote Laterne. In keinem anderen europäischen Land müssen mehr Patientinnen und Patienten im Durchschnitt von einer Pflegekraft versorgt werden. ver.di fordert deshalb vom Gesetzgeber verbindliche Vorgaben für die Personalausstattung der Krankenhäuser.

Warum eigentlich Personalvorgaben per Gesetz?

Schließlich ist der Gesetzgeber verantwortlich für eine sichere Patientenversorgung und Markt und Wettbewerb werden es offensichtlich nicht richten. 77 Prozent der Beschäftigten in der Gesundheits- und Krankenpflege sagen, dass sie sich nicht vorstellen können diese Arbeit bis zur Rente auszuüben. Unsere bundesweite ver.di-Aktion „Überstundenberg“ hat ergeben, dass die Beschäftigten in den Kliniken 35,7 Millionen Überstunden vor sich her schieben, 32,5 Überstunden pro Person. Pflegekräfte müssen im Schnitt zehn Prozent ihrer Arbeitszeit Monat für Monat zu einem nicht planbaren Zeitpunkt erbringen. Überstunden werden systematisch eingeplant, um die Versorgung der Patienten sicherzustellen. Die Belastung führt zu einer überdurchschnittlichen Krankheitsquote. Auch die Tatsache, dass man nie Zeit für die Patienten hat und den eigenen Ansprüchen an eine gute Pflege und Versorgung nicht gerecht wird, kann emotional stark belasten. Die Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern machen die Beschäftigten, die sich um die Gesundheit anderer kümmern, selbst krank. Täglich wird gegen das Arbeitsschutzrecht verstoßen. Deshalb unsere Forderung nach einer gesetzlichen Personalbemessung und wir machen Entlastung der Beschäftigten bundesweit zu einem Thema in den Betrieben. 

1996 bereits wurde das Arbeitsschutzgesetz eingeführt und mit ihm die Gefährdungsbeurteilung  - wie können Interessenvertretungen diese gesetzlichen Regelungen für die Gestaltung von Arbeitsbedingungen nutzen?

Es ist Aufgabe des Arbeitgebers, die Gesundheit aller Beschäftigten durch geeignete Maßnahmen zu sichern und zu verbessern. Mit Einführung des Gesetzes kam auch die Gefährdungsbeurteilung. Mit ihrer Hilfe können ganz unterschiedliche Gefährdungen ermittelt werden, auch die, die mit dem Personaleinsatz zu tun haben. Seit 2013 erfahren die psychischen Belastungen eine stärkere Berücksichtigung. Eine langjährige Forderung der Gewerkschaften. Nun gilt es, die bestehenden Instrumente zu nutzen für eine bessere Arbeitszeitgestaltung, für Entlastungen und für mehr Personal. Beispielsweise kann ein Betriebsrat psychische und psychosomatische Erkrankungen von Beschäftigten angehen, indem mit der Gefährdungsbeurteilung gezeigt wird, dass nicht genügend Personal für eine Schicht zur Verfügung steht.

Die über den Arbeitsschutz und die Beteiligungsrechte eröffneten Gestaltungsmöglichkeiten reichen offensichtlich allein nicht aus, um eine nachhaltige Veränderung der Arbeitsbedingungen zu erreichen.

Die Umsetzung in den Betrieben läuft schleppend. Und wenn es denn eine Gefährdungsbeurteilung gibt, mangelt es an der konsequenten Umsetzung der Maßnahmen. Das ist kein Kavaliersdelikt. Hier geht es um die Gesundheit und bekanntlich gibt es nichts Wichtigeres. Aktive und starke Interessenvertretungen können viel erreichen. Die Kosten dürfen kein Argument sein, um den Arbeitsschutz zu vernachlässigen.

Arbeitsschutz und das Instrument der Gefährdungsbeurteilung brauchen also Treiber, damit sie im Betrieb Wirkung im Sinne guter Arbeit entfalten können?

Und wir setzen das Instrument nun gezielt für unsere Bewegung für Entlastung und mehr Personal ein. In möglichst vielen Kliniken, mit starken Interessensvertretungen und aktiven Belegschaften. Bundesweit stärken wir die betriebliche Handlungsfähigkeit. Durch Aktionen machen wir die Überlastung sichtbar und erhöhen damit den Druck auf Arbeitgeber und Politik. Auf der betrieblichen Ebene ist das gesetzliche Instrument der Gefährdungsbeurteilung ein wichtiger Hebel für mehr Personal – und den setzen wir an.

 

Kontakt

  • Dietmar Erdmeier

    Be­rufs­ge­nos­sen­schaft Ge­sund­heits­dienst und Wohl­fahrts­pfle­ge (BGW), Ar­beits- und Ge­sund­heits­schutz

    030/6956-1815