Mutterschutz = Empowerment

13.11.2024
Silke Raab ist Referatsleiterin in der Abteilung, Frauen, Gleichstellungs- und Familienpolitik beim Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes.

Warum ist das Thema Mutterschutz wichtig?

Vorweggeschickt, Schwangerschaft ist keine Krankheit. Doch immer wieder werden schwangere Kolleginnen so behandelt. Eine Umfrage des DGB zum Mutterschutz am Arbeitsplatz zeigt, dass Betroffene beispielsweise plötzlich Aufgaben unter ihrem Qualifikationsniveau bekommen. Das darf nicht passieren. Und dafür spielen die betrieblichen Interessenvertretungen eine wichtige Rolle. Sie sollten als Ansprechpartner*innen für die Kolleginnen da sein, sie unterstützen und Diskriminierungen verhindern.

Ziel muss sein, dass die Frauen ihre Berufstätigkeit weiter ausüben können und die beruflichen Auszeiten nicht ohne Not länger werden, als sie sein müssen. Lange Erwerbsunterbrechungen wirken sich bekanntermaßen negativ auf den Erwerbsverlauf, auf das Einkommen und auf die soziale Sicherung der Frauen aus. Guter Mutterschutz ist Empowerment und Schutz vor Diskriminierung.

Was ist eine mutterschutzrechtliche Gefährdungsbeurteilung?

Eines der wichtigsten Instrumente für den betrieblichen Mutterschutz. Sie erfolgt in zwei Schritten. Schritt Nummer eins ist die anlassunabhängige Gefährdungsbeurteilung. Hierfür müssen Arbeitgeber*innen sich bereits vorbeugend Gedanken machen. Was wäre, wenn diese Tätigkeit von einer Schwangeren oder Stillenden ausgeübt wird oder wenn an diesem Arbeitsplatz eine Schwangere oder Stillende arbeiten würde? Müssten Schutzmaßnahmen ergriffen werden und wenn ja, welche?

Schritt Nummer zwei der mutterschutzrechtlichen Gefährdungsbeurteilung erfolgt in dem Moment, in dem eine Kollegin mitteilt, dass sie schwanger ist, oder den Wunsch hat zu stillen. Nun muss der Arbeitgeber prüfen, was in Schritt eins für diesen Arbeitsplatz vorgesehen wurde. Sind das die richtigen Maßnahmen? Muss etwas geändert werden? Wie muss die Arbeit organisiert werden, damit die Frau ihren Job weiterhin ohne Gefährdung ausüben kann?

 

Gibt es Grenzwerte zur Orientierung?

Ja. Im Mutterschutzgesetz sind einige unzulässige Tätigkeiten und Arbeitsbedingungen etwa aufgrund von Gefahr- oder Biostoffen festgelegt. Aber auch bestimmte physikalische Gefährdungen oder körperliche Belastungsfaktoren sind aufgeführt wie ionisierende Strahlung, Lärm, Hitze oder Heben, Tragen und so weiter.

Als Gewerkschaften ist es unsere Aufgabe, immer im Blick zu behalten, wo überall Frauen unter welchen Arbeitsbedingungen tätig sind – das umfasst auch die Tätigkeiten, bei denen psychische Belastungsfaktoren eine Rolle spielen. Frauen arbeiten in Laboren, Krankenhäusern, Hochschulen, Kitas und Pflegediensten genauso wie im Gaststätten- und Hotelgewerbe und in der Produktion. Das Mutterschutzgesetz gilt für alle abhängig beschäftigten Frauen, aber auch für Auszubildende und seit 2018 auch für Studentinnen und Schülerinnen.

Wie kann man dieser Breite gerecht werden?

Dafür gibt es seit 2018 den Ausschuss für Mutterschutz. Zu seinen Aufgaben gehört es, unverantwortbare Gefährdungen zu ermitteln und zu begründen. Er berät das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) und erarbeitet – analog zu den staatlichen Arbeitsschutzausschüssen – Regeln zum Schutz der schwangeren und stillenden Frau und ihres Kindes. Arbeitgebende können davon ausgehen, dass sie bei Einhaltung dieser Regeln die im Gesetz gestellten Anforderungen erfüllen. D. h. Regeln entfalten eine Vermutungswirkung.  

In der mutterschutzrechtlichen Regel zur Gefährdungsbeurteilung beispielsweise ist zum ersten Mal genau beschrieben, wie Arbeitgeber*innen vorzugehen haben. Das ist auch wichtig für betriebliche Interessenvertretungen. Denn damit können sie den betrieblichen Arbeitsschutz kompetent begleiten und Nachbesserungen einfordern, wenn nötig.

Ab wann darf der Arbeitgeber ein Beschäftigungsverbot aussprechen?

Es gibt zwei verschiedene Arten sogenannter Beschäftigungsverbote in der Schwangerschaft: das betriebliche und das ärztliche.

Das betriebliche Beschäftigungsverbot muss der Arbeitgeber aussprechen. Und zwar, wenn unverantwortbare Gefährdungen für Mutter und Kind durch die Arbeit nicht ausgeschlossen werden können.

Entscheidend ist: Das Mutterschutzgesetz schreibt eine klare Rangfolge vor. Es verpflichtet den Arbeitgeber dazu, zunächst alle Möglichkeiten zu prüfen, damit die Frau weiterarbeiten kann. Das können auch arbeitszeitliche Veränderungen sein, zum Beispiel bei Schwangerschaftsübelkeit am Morgen. Das kann auch beinhalten, dass nur bestimmte Tätigkeiten nicht mehr ausgeführt werden dürfen. Es muss vorab auch geprüft werden, ob eine andere Tätigkeit an einem anderen Arbeitsplatz ohne Gefährdungen möglich ist. Erst, wenn das alles nicht geht, beispielsweise bei Laborarbeit mit Gefahrstoffen, muss der Arbeitgeber ein Beschäftigungsverbot aussprechen. Ein Beschäftigungsverbot kann auch nur vorübergehend nötig sein kann, beispielsweise bis zur Umsetzung notwendiger Schutzmaßnahmen.

Das ärztliche Beschäftigungsverbot erhalten Frauen von ihren Gynäkolog*innen, wenn es aufgrund ihrer individuellen körperlichen Verfassung oder ihres Gesundheitszustands Gründe dafür gibt.

Neben dem präventiven Schutz vor Diskriminierung geht es im Mutterschutz auch um Nachteilsausgleich. Was ist darunter zu verstehen?

Ein Praxisbeispiel: Seit 2018 fallen auch Studentinnen und Schülerinnen in den Anwendungsbereich des betrieblichen Mutterschutzes. Da stellt sich häufiger mal das Problem, dass bestimmte Prüfungsfristen nicht eingehalten und Prüfungen nicht gemacht werden können. Nachteilsausgleich bedeutet in diesem Fall, dass die Betroffene nicht ein Jahr bis zum nächsten Prüfungstermin warten muss, sondern sie die Gelegenheit erhält, die Prüfung früher abzulegen.

Ziehen Beschäftigungsverbot oder Mutterschutz finanzielle Einbußen für die Frauen nach sich?

Frauen dürfen auch finanziell nicht benachteiligt werden, weil sie schwanger sind und Kinder bekommen. Die Leistungen sind im Mutterschutzgesetz geregelt. Während der gesetzlichen Schutzfristen erhalten gesetzlich Versicherte Mutterschaftsgeld von der Krankenkasse und den Zuschuss zum Mutterschaftsgeld vom Arbeitgeber. Auch ein betriebliches oder ärztliches Beschäftigungsverbot darf keine finanziellen Nachteile zur Folge haben. Arbeitgeber*innen zahlen dann Mutterschutzlohn in Höhe des Durchschnittseinkommens der letzten drei Monate. Für privat Versicherte gelten andere Regelungen.

Das Mutterschutzgesetz wurde vor einigen Jahren aktualisiert. Was ist seither neu?

Neu ist vor allem die doppelte Zielsetzung aus Gesundheitsschutz und Schutz vor Benachteiligung, durch den Schwangere und Stillende die Möglichkeit erhalten sollen, ihre Berufstätigkeit auch während Schwangerschaft und Stillzeit fortzusetzen.

Neu sind auch die zweistufige Gefährdungsbeurteilung und die Dialogorientierung, denn nun müssen Arbeitgeber*innen der Beschäftigten ein Gespräch anbieten. Ein Austausch eröffnet der Schwangeren oder Stillenden die Möglichkeit, ihre Bedarfe zu schildern, und dem Arbeitgeber oder der Arbeitgeberin nach Wegen zu suchen, die Beschäftigte längerfristig an den Betrieb zu binden.

Im besten Fall sprechen sie dann auch schon über den geplanten Erwerbsverlauf nach der Geburt. Will sie Elternzeit nehmen? Wie lange? Wie will sie wieder einsteigen in den Beruf? Das Dialogorientierte ist neu und sehr wichtig, weil Schwangerschaften und Stillzeiten individuell sind und viel mit persönlichem Befinden und individueller Lebensplanung zu tun haben. Ziel muss sein, dass Schwangerschaft und Stillzeit künftig als ganz selbstverständliche Ereignisse in der Unternehmenswirklichkeit einen geschützten Platz haben.

 

Zur Person
Silke Raab ist Referatsleiterin in der Abteilung, Frauen, Gleichstellungs- und Familienpolitik beim Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Sie ist verantwortlich für die Arbeitsbereiche „Gleichstellungsorientierte Familienpolitik“, „Geschlechterperspektive im Arbeits- und Gesundheitsschutz“ und „Gleichstellung im öffentlichen Dienst“. Zudem ist sie stellvertretende Co-Vorsitzende des Ausschusses für Mutterschutz.

 

Info

Der Ausschuss für Mutterschutz wurde 2018 vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend eingerichtet. Er erarbeitet Regeln und Empfehlungen für eine praxisgerechte Umsetzung des Mutterschutzgesetzes. Zu seinen Aufgaben gehört zudem, unverantwortbare Gefährdungen am Arbeits- oder Ausbildungsplatz zu ermitteln. Der Ausschuss hat 15 Mitglieder, die vom Ministerium berufen werden. Neben Arbeitgebern, Studierendenvertreter*innen, Fachaufsicht, Wissenschaft und Krankenkassen sind auch die Gewerkschaften mit zwei Sitzen vertreten. Die Mitglieder des Ausschusses für Mutterschutz arbeiten ehrenamtlich.

 

Kontakt

  • Dietmar Erdmeier

    Be­rufs­ge­nos­sen­schaft Ge­sund­heits­dienst und Wohl­fahrts­pfle­ge (BGW), Ar­beits- und Ge­sund­heits­schutz

    030/6956-1815