Die Bundesregierung plant eine umfassende Reform des Berufskrankheitenrechts. Nun liegt ein Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vor. Im Interview spricht Dr. Horst Riesenberg-Mordeja über Ziele und Inhalte dieser Reform.
Seit dem Jahr 2002 ist Dr. Horst Riesenberg-Mordeja Referatsleiter für Arbeitsschutz/ Unfallversicherung in der ver.di-Bundesverwaltung. Zudem verfügt er über langjährige Erfahrungen in der sozialen Selbstverwaltung. 2005 wurde der Biochemiker in den Vorstand der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft, der Unfallkasse des Bundes und der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) gewählt. Aktuell ist der Gewerkschafter der Vorsitzende des Grundsatzausschuss Prävention der DGUV. Verbesserungen in der Prävention, so sagt Horst Riesenberg-Mordeja, seien schon immer die Motivation für sein Engagement im Bereich des Arbeitsschutzes gewesen.
Das Thema Berufskrankheitenrecht beschäftigt ver.di schon lange. Auf den letzten beiden Bundeskongressen gab es hierzu entsprechende Beschlüsse. Insgesamt sehen die Gewerkschaften in diesem Bereich seit vielen Jahren Reformbedarf.
Auf gewerkschaftlichen Druck hin haben sich im Dezember 2016 Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter bei der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung in einem so genannten Weißbuch auf essentielle Verbesserungsvorschläge für das Berufskrankheitenrecht geeinigt. Aber erst im März 2018 haben CDU, CSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag festgehalten, dass sie das „Berufskrankheitenrecht weiterentwickeln“ wollen. Der jetzige Referentenentwurf stammt aus dem September 2019. Ein entsprechender Beschluss im Kabinett war ursprünglich noch für das Jahr 2019 geplant. Die nächste Anhörung ist nun aber für Januar 2020 angesetzt.
Das Ziel dieser Reform ist vor allem eine Verbesserung der Rechtsgrundlage, ein transparenteres Verfahren bei der Weiterentwicklung der Berufskrankheitenliste und Vereinfachungen für die Betroffenen. Kurz gesagt geht es darum, dass die Anerkennungsverfahren von Berufskrankheiten für die Betroffenen erleichtert werden und diese besser ihr Recht auf eine angemessene Entschädigung wahrnehmen können.
ver.di hat in der aktuellen Amtsperiode den Vorsitz der DGUV-Selbstverwaltung inne. Und der Referentenentwurf zur Reform des Berufskrankheitenrechts orientiert sich recht nah am schon erwähnten Weißbuch der DGUV. An diesem Weißbuch hat ver.di im Rahmen der Selbstverwaltung aktiv mitgearbeitet. Die Grundlage für die Reform haben wir also mitgestaltet. Nun läuft das Stellungnahmeverfahren. Gemeinsam mit dem DGB hat ver.di eine Stellungnahme zum aktuellen Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales veröffentlicht, in der wir durchaus Änderungsbedarf äußern und auf nötige Verbesserungen der Reform drängen.
Der Reformentwurf zeigt in die richtige Richtung. Und deshalb sollte man an diese Reform jetzt einen Knopf machen und in Zukunft darauf aufbauen.
Wir begrüßen es zum Beispiel, dass im Referentenentwurf der Wegfall des sogenannten Unterlassungszwangs vorgesehen ist. Dieser Punkt war in den Diskussionen der Selbstverwaltung zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern sehr strittig, aber wir konnten ihn durchsetzen und ins sogenannte Weißbuch aufnehmen. Der Unterlassungszwang besagt, dass Beschäftigte bislang nur Leistungen erhalten, wenn sie die Tätigkeit aufgeben, die zur Berufskrankheit geführt hat. Dieser Wegfall wird vielen Betroffenen nutzen. Und genau deshalb setzen wir uns für ein zügigeres Inkrafttreten ein, als es bisher im Referentenentwurf vorgesehen ist. Statt den 1. Januar 2021 halten wir den 01. Juli 2020 sinnvoll.
Zudem muss auch der Beweis einer Berufskrankheit erleichtert werden. Viele Anzeigen verlaufen bislang im Nichts, weil die Beweislast allein beim Versicherten liegt und diesbezüglich hohe Anforderungen zu erfüllen sind. Nun soll ein sogenanntes zentrales Expositionsregister eingeführt werden, um diesen Nachweis für die Beschäftigten zu erleichtern. Dem vorliegenden Gesetzentwurf fehlen allerdings noch Regelungen für Härtefälle. Da muss nachgearbeitet werden.
Außerdem sollte das Berufskrankheitenrecht dahingehend ergänzt werden, dass mit umfassenden Gefährdungsbeurteilungen der Entstehung einer Berufskrankheit gezielt entgegen gewirkt wird. Denn letztlich ist jede Berufskrankheit Ausdruck misslungener Prävention. Hier müssen die Arbeitgeber stärker in die Pflicht genommen werden und die Einhaltung der Arbeitsschutzvorschriften ist intensiver zu überwachen.
Arbeitsmedizinische Forschung ist eine wesentliche Grundlage für umfassende Prävention. Die Bundesländer müssen deshalb die arbeitsmedizinische Forschung an ihren Universitäten stärken und die Lehre ausweiten. Denn es gibt viel zu wenig Arbeitsmediziner. Wir brauchen auch wieder mehr staatliche Gewerbeärzt*innen. Sie sind für die fachliche Überwachung der Berufskrankheitenverfahren per Gesetz zuständig und überprüfen die Gutachten und Entscheidungen der Unfallversicherung arbeitsmedizinisch.
Zu guter Letzt sollte die Reform des Berufskrankheitenrechts auch die flächendeckende Einrichtung von unabhängigen Beratungsstellen für Betroffene vorschreiben. Bislang gibt es solche Angebote nur in Hamburg und Bremen. Sie bieten Versicherten eine arbeitnehmernahe Beratung und leisten Hilfestellung im Berufskrankheiten-Verfahren. Bisher werden die Betroffen mit dem komplexen Anerkennungsverfahren größtenteils alleine gelassen.
In Bezug auf die Berufe im Dienstleistungsbereich, in denen der Frauenanteil häufig hoch ist, bringt diese Reform leider wenig. Besonders im Gesundheits- und Erziehungsdienst, in der öffentlichen und in der Sozialverwaltung steigen psychische Erkrankungen in den letzten Jahren an. Das belegen Statistiken der Betriebskrankenkassen. Da Berufskrankheiten immer auch einen Branchenbezug haben, würde es in diesen Branchen besonderen Sinn machen, über eine Berufskrankheit „Psyche“ nachzudenken. Dazu ist eine entsprechende, gendersensible Forschung notwendig, auf deren Grundlage dann die Liste der derzeit 80 anerkannten Berufskrankheiten ausgeweitet werden muss. Doch in der Entwicklung des Berufskrankheitengeschehens finden sich die Berufe im Gesundheits- und Sozialwesen mit ihren spezifischen Belastungen und Beanspruchungen bisher nur kaum wieder.
Das ist auch ein wichtiger Punkt in unserer gemeinsamen Stellungnahme mit dem DGB. Darin fordern wir insbesondere den ärztlichen Sachverständigen-Beirat dazu auf, sich mit der Betrachtung der Geschlechterdimension bei der Arbeit auseinander zu setzen. Denn dieser ärztliche Sachverständigen-Beirat beschäftigt sich wissenschaftlich mit Berufskrankheiten und berät die Bundesregierung bei der Erweiterung der Liste der Berufskrankheiten. Eines seiner vordringlichen Themen sollten darüber hinaus die psychischen Erkrankungen darstellen. Als Dienstleistungsgewerkschaft wird ver.di sich auch in Zukunft mit Nachdruck für bessere Verfahren zur Ermittlung und Entschädigung von arbeitsbedingten Erkrankungen einsetzen.
Berufsgenossenschaft Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW), Arbeits- und Gesundheitsschutz
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