Die Ärztin Karen Spannenkrebs vom Verein demokratischer Ärzt*innen (vdää) hat sich im Rahmen des Projekts »pillars of health« (pillars-of-health.eu) mit den Folgen der Anwerbung von Pflegekräften und Ärzt*innen im Ausland beschäftigt.
Manche propagieren die Anwerbung von Pflegekräften im Ausland als Weg aus dem Pflegenotstand. Ist das eine realistische Perspektive?
Ganz klar nein. Rein zahlenmäßig spielt das immer noch keine so große Rolle. Es ist auch nicht so, als würden sich ausländische Fachkräfte darum reißen, in Deutschland zu arbeiten. Es gibt darüber keine verlässlichen Zahlen, Tatsache ist aber, dass nicht wenige Pflegekräfte wieder gehen, weil ihre Erwartungen enttäuscht wurden. Die Anwerbung im Ausland löst also keineswegs die Probleme. Die Studie »Ich pflege wieder, wenn…« zeigt, dass es in Deutschland genug qualifizierte Pflegepersonen gibt. Sie wollen aber wegen der schlechten Arbeitsbedingungen nicht mehr im Gesundheitswesen arbeiten. Hier liegt der Schlüssel für die Überwindung des Pflegenotstands.
Internationale Abkommen und Regelungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sollen unter anderem dafür sorgen, dass die Anwerbung von Fachkräften nicht zu einer Unterversorgung in den Herkunftsländern führt. Wie sieht das in der Praxis aus?
Deutschland hält sich formal an den Code of Practice der WHO, zumindest an die Negativliste besonders durch Gesundheitsfachkräftemangel gefährdeter Länder, aus denen nicht angeworben werden soll. Der Code beinhaltet aber auch, dass Länder versuchen sollen, ihren Fachkräftebedarf aus eigener Kraft zu erfüllen. In Deutschland ist in den 13 Jahren seit der Unterschrift unter den Code of Practice allerdings das Gegenteil geschehen: Die Personallücken sind massiv gewachsen – auch aufgrund politischer Entscheidungen, die das Gesundheitswesen dem Markt ausgesetzt haben.
In Ländern wie Indien, Brasilien, aber auch den Westbalkanstaaten gibt es im Verhältnis zur Zahl der Einwohner*innen deutlich weniger Gesundheitsfachkräfte als in Deutschland. Dennoch wird in diesen Ländern angeworben. Wir wissen von einigen Ländern wie Serbien und Rumänien, dass das im dortigen Gesundheitssystem Probleme verursacht. Das ist aber nicht überall so. Zum Beispiel in den Philippinen werden Gesundheitsfachkräfte speziell ausgebildet, um in westlichen Ländern zu arbeiten. Das führt dort also nicht zu Engpässen, bedeutet aber, dass Deutschland die Kosten der Ausbildung auf die betreffenden Länder verlagert.
Für Brasilien beispielsweise wird aber doch erklärt, es gebe einen Überschuss an Fachkräften im Gesundheitswesen. Stimmt das nicht?
Hier lohnt es sich, genauer hinzuschauen. Warum sind Gesundheitsbeschäftigte dort arbeitslos? Es liegt nicht daran, dass sie nicht gebraucht werden, sondern daran, dass sie nicht angestellt und bezahlt werden. Das öffentliche Gesundheitssystem in Brasilien wurde in den vergangenen Jahren kaputtgespart. Davon soll nun Deutschland profitieren?
Ist es nicht so, dass alle Seiten bei Fachkräftemigration gewinnen? Schließlich können die in Deutschland arbeitenden Migrant*innen ihre Verwandten finanziell unterstützen und so auch die heimische Ökonomie stärken.
Gemeinschaften in den Herkunftsländern können von den Überweisungen ausgewanderter Fachkräfte durchaus profitieren. Das allerdings oft zu einem hohen persönlichen Preis. Die pauschale Behauptung, alle würden gewinnen, halte ich für falsch.
Wenn Fachkräfte in deutschen Gesundheitseinrichtungen arbeiten, welche Bedingungen braucht es für eine erfolgreiche Integration?
Zu allererst brauchen diese Kolleg*innen das, was alle Gesundheitsbeschäftigte brauchen: genug Zeit und Personal, gute Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen. Wichtig ist generell – besonders aber bei ausländischen Beschäftigten – eine gute Einarbeitung. Diese kommt oft viel zu kurz. Einarbeitungskonzepte müssen für Arbeitgeber verpflichtend sein. Es sollte gesetzliche Vorgaben geben, dass Sprachkurse während der Arbeitszeit, organisiert und finanziert vom Arbeitgeber stattfinden – am besten auch Fachsprachkurse. Es gibt sicherlich einzelne Einrichtungen, die viel für die Integration tun. In anderen werden Kolleg*innen hingegen gleich in Bereichen mit speziellen Anforderungen eingesetzt, obwohl sie noch gar nicht richtig eingearbeitet oder die notwendige Sprachkenntnisse vorhanden sind. Das führt zu Überforderung und Frust.
Und womöglich auch zu Konflikten mit deutschen Kolleg*innen?
Wenn Teams ohnehin auf dem Zahlfleisch gehen und dann kommen noch ausländische Fachkräfte hinzu, die nicht gut genug Deutsch können und eine andere Ausbildung haben – das kann schon zu Überforderung und Anfeindungen führen. Abgesehen von offenem Rassismus, den es auch im Gesundheitswesen gibt.
ver.di engagiert sich gemeinsam mit dem vdää und anderen Organisationen in der Deutschen Plattform für globale Gesundheit (dpgg) dafür, dass Menschen weltweit Zugang zu einer guten Gesundheitsversorgung haben. In einem aktuellen Positionspapier nimmt die dpgg zur internationalen Abwerbung von Gesundheitsfachkräften Stellung: https://t1p.de/v9mwi
Berufsgenossenschaft Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW), Arbeits- und Gesundheitsschutz
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