ver.di wollte es genau wissen: Um wieviel würden die Beiträge zur Pflegeversicherung steigen, wenn es statt einer Teilkasko eine Vollversicherung gäbe? Professor Markus Lüngen, Gesundheitsökonom der Hochschule Osnabrück, hat nachgewiesen, dass eine Pflegevollversicherung bezahlbar ist und insbesondere die ambulante Pflege stärken würde.
Mit einer Beitragssatzsteigerung um 1,3 Prozentpunkte könnte eine gesetzliche Pflegevollversicherung finanziert werden. In einem Gutachten, das er im Auftrag von ver.di erstellt hat, widerlegt er das Argument, dass eine Pflegevollversicherung nicht finanzierbar sei.
Rechnet man aus dem Mehrbedarf die Summen heraus, die schon heute über Steuermittel finanziert werden, liegt der Anstieg sogar nur bei 0,7 Prozentpunkten, hälftig finanziert von Arbeitnehmer und Arbeitgeber.
ver.di hat die Diskussion eröffnet: Eine solidarisch ausgestaltete Pflegevollversicherung ist sowohl sozialstaatlich geboten als auch umstandslos finanzierbar. Das ist das Ergebnis eines Gutachtens von Professor Markus Lüngen, Gesundheitsökonom an der Hochschule Osnabrück, im Auftrag von ver.di.
Der Gesamtaufwand der Umwandlung der jetzigen Teilkosten- in eine sozialversicherungspflichtige Pflegevollversicherung würde einen zusätzlichen Finanzierungsbedarf von jährlich 13,25 Milliarden Euro erfordern. Der aktuelle Beitragssatz würde um 1,3 Prozentpunkte auf 3,25 Prozent steigen. Bei einer paritätischen Finanzierung würde dieser Anstieg jeweils zur Hälfte von Arbeitnehmern und Arbeitgebern getragen. Die erforderliche Beitragssatzanhebung könnte aufgrund von Verrechnungseffekten und weiterhin gewährten Steuerzuschüssen sogar merklich geringer ausfallen.
Die bisherige Teilkostenversicherung ist den Herausforderungen der Zukunft nicht mehr gewachsen. Hilfskonstrukte mit privater, kapitalgedeckter Zusatzabsicherung nützen nur denjenigen, die es sich leisten können, bedrohen aber im Falle der Pflegebedürftigkeit vom Geringverdiener bis zum Bezieher mittlerer Einkommen die materielle Existenz vieler Menschen. „Eine Pflegevollversicherung dient der Verwirklichung sozialer Sicherheit und Gerechtigkeit. Nicht der Geldbeutel darf über Umfang und Qualität der Pflege entscheiden“, betonte der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske bei der Vorstellung des Gutachtens. Gleichzeitig sorgt eine solidarische Vollversicherung für eine Verbesserung der Versorgungsqualität und des Leistungsangebots bei höherer Personalausstattung.
Alle Daten sprechen für die Vollversicherung. Besonders dramatisch ist die Unterfinanzierung der von vielen gewünschten Pflege zu Hause. Menschen mit geringen Einkünften oder Renten sind derzeit häufig auf den Umzug ins Pflegeheim und ergänzende Sozialhilfe (Hilfe zur Pflege) angewiesen.
Mit dem Gutachten im Auftrag von ver.di liegen erstmals belastbare Zahlen über den zusätzlichen Finanzbedarf einer Vollversicherung vor. Damit gibt ver.di den Anstoß für einen Richtungswechsel in der Pflegepolitik: weg von der Unbezahlbarkeit und der privaten Teilkostenversicherung, hin zu einer solidarischen Finanzierung der Pflege als staatlicher Aufgabe.
Die Pflegevollversicherung hilft, muss jedoch in ein Gesamtkonzept eingebettet werden. Neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff und verbesserter Beratung werden gebraucht. Und auch auf die Zunahme pflegebedürftiger Menschen muss mit neuen Konzepten reagiert werden.
Eine Vollversicherung trägt jedoch zu mehr Solidarität und zu einer bedarfsgerechteren Versorgung bei. Sie ist auch hervorragend mit einer Bürger/-innenversicherung kombinierbar.
PDF | 1 MB
PDF | 153 kB
Pflegepolitik, Pflegeversicherung, Digitalisierung im Gesundheitswesen
030/6956-1811
Barbara.Susec@verdi.de