10.10.2018. Anlässlich der heute stattfindenden öffentlichen Anhörung zum Pflegepersonal-Stärkungsgesetz übt ver.di deutliche Kritik an der aktuellen Gesundheitspolitik. "Es fehlt der Plan, es wirkt wie Flickwerk. Einiges von dem, was auf den Weg gebracht wird, ist hilfreich, anderes führt in die falsche Richtung. Weder die Bausteine im Pflegepersonal-Stärkungsgesetz noch die Untergrenzen-Verordnung für die Krankenhauspflege oder die "Konzertierte Aktion Pflege" ergeben ein tragfähiges Gesamtgebäude", so Sylvia Bühler, Mitglied im ver.di-Bundesvorstand. "Eine Gesamtstrategie ist nicht zu erkennen. Es kommt ja nicht nur darauf an, irgendetwas zu tun, sondern das richtige. Beschäftigte wollen keine schönen Schlagzeilen, sondern spürbare Entlastung."
Eine in dieser Woche veröffentlichte Studie der Hans-Böckler-Stiftung zeige beispielsweise eine überzeugende Lösung für bedarfsgerechte Personalvorgaben in Krankenhäusern auf, so Bühler weiter. Auf der Grundlage des bewährten Instruments der Pflegepersonalrichtlinie (PPR) könnten sowohl die Patientensicherheit gewährleistet als auch Pflegekräfte entlastet werden. Das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz müsse dazu genutzt werden, die Entwicklung und Implementierung solcher Vorgaben auf den Weg zu bringen. "Die Beschäftigten wollen wissen, wo das alles am Ende hinführt, sie brauchen Gewissheit, dass es besser wird", so Bühler.
ver.di begrüßt die Refinanzierung zusätzlicher Stellen in der Krankenhauspflege. Das wirkt dem ökonomischen Fehlanreiz entgegen, Stellen abzubauen. Die bisherigen Erfahrungen wecken aber erheblichen Zweifel: "Alle freiwilligen Anreizmodelle haben nicht gegriffen. Die Pflegestellenförderprogramme haben beispielsweise nicht zum notwendigen Stellenaufbau geführt. Den Krankenhäusern müssen klare Vorgaben gemacht werden, und wenn diese nicht eingehalten werden, braucht es Sanktionen. Ziel der Vorgaben muss eine sichere Patientenversorgung sein", so Bühler.
Die von Bundesgesundheitsminister Spahn per Verordnung erlassenen Pflegepersonaluntergrenzen in Krankenhäusern sind kein geeignetes Mittel, um Patientensicherheit zu gewährleisten. Auf Drängen der Klinikbetreiber wurde die ohnehin schon unzureichende Verordnung kurz vor Bekanntgabe sogar noch einmal verschlechtert - unter anderem ausgerechnet für die Intensivstationen, bei denen es tagtäglich um Leben und Tod geht.
Auf Intensivstationen sollte ursprünglich die Empfehlung der Fachgesellschaften in der Tagschicht eingehalten werden – also eine Pflegekraft für zwei Patient/innen zuständig sein. Nun wurde dem Druck der Arbeitgeber nachgegeben: Eine Pflegekraft soll tagsüber für 2,5, nachts für 3,5 Patientinnen und Patienten zuständig sein. Die Empfehlungen der Fachgesellschaften werden damit ignoriert. In Geriatrie, Unfallchirurgie und Kardiologie soll eine Pflegekraft nachts 20 bzw. 24 Patient/innen versorgen.
Die viel zu niedrigen Untergrenzen gelten nur in vier Bereichen und müssen lediglich im monatlichen Durchschnitt erreicht werden. Das ist staatlich legitimierter Pflegenotstand. Gute Versorgung oder Entlastung der Pflegekräfte werden so nicht erreicht. Statt Scheinlösungen und Verschiebebahnhöfe brauchen wir verbindliche Personalvorgaben in allen Bereichen, die sich am tatsächlichen Pflegebedarf orientieren.
Die Altenpflege kommt im Pflegepersonalstärkungsgesetz insgesamt zu kurz, nur wenige Maßnahmen werden für dieses Arbeitsfeld angestoßen. Zwar begrüßt ver.di, dass der Bundesgesetzgeber die Notwendigkeit von mehr Personal in der Altenpflege erkannt und aufgegriffen hat. Die geplanten 13.000 Stellen für die stationäre Pflege sind jedoch viel zu wenig. "Das ist nicht mal eine Pflegekraft pro Einrichtung", so Bühler. "Dass diese Stellen auch noch mit Hilfs- statt mit Fachkräften besetzt werden können, ist nicht akzeptabel. Medizinische Behandlungspflege kann nur durch Fachkräfte geleistet werden."
Darüber hinaus kritisiert ver.di, dass im Gesetz so gut wie keine Maßnahmen für die ambulante Pflege vorgesehen sind. "Wir brauchen schnelle und nachhaltige Lösungen für die gesamte Altenpflege, also auch für die Beschäftigten in der ambulanten Pflege", so Bühler.
Die Refinanzierung von Tariflöhnen – auch für SGB V analog zu den Regelungen §89 SGB XI – wurde von Spahn zwar medienwirksam angekündigt. Entsprechende Änderungsanträge liegen aber nicht vor. Ob das ins Gesetz aufgenommen wird, ist also unklar.
Auch die im Pflegepersonalstärkungsgesetz vorgesehene Förderung von Investitionen in bessere Vereinbarkeit von Pflege, Familie und Beruf (7.500 Euro pro Jahr) und in Digitalisierung (12.000 Euro einmalig) lösen nicht das Problem der schlechten Arbeitsbedingungen.
Statt solcher kleinen Schrittchen ohne erkennbare Strategie seien vielmehr Maßnahmen notwendig, die die Altenpflege insgesamt auf stabilere Füße stellten: So müsse etwa über die Pflegeversicherung die Finanzierung der notwendigen Verbesserungen durch mehr Personal und tariflicher Bezahlung sichergestellt werden, damit Pflegebedürftige nicht zusätzlich finanziell belastet werden.
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