Im Gesundheitswesen hängt gute Versorgungsqualität zu großen Teilen davon ab, ob genug fachlich qualifiziertes Personal zur Verfügung steht. Dieser Zusammenhang ist vielfach wissenschaftlich nachgewiesen und wurde nun auch von der Expertenkommission »Pflegepersonal im Krankenhaus« anerkannt (Hickey et al. 2011; Aiken et al. 2010; Schlussfolgerungen Expertenkommission vom 7. März 2017). Deshalb fordert ver.di sowohl für die Beschäftigten im Krankenhaus als auch in der Altenpflege eine verbindliche, bundeseinheitliche gesetzliche Personalbemessung. Doch manche Arbeitgeber missbrauchen den vermeintlichen Fachkräftemangel als Argument, um Politik vom Handeln abzuhalten oder Ausnahmeregelungen zu fordern.
Wie ist die Situation wirklich? In den Krankenhäusern ist ein flächendeckender Mangel an Fachkräften bislang nicht festzustellen, mit regionalen Unterschieden. In der Altenpflege hingegen gibt es einen anerkannten Mangel an qualifizierten Beschäftigten. Dieses Problem ist allerdings hausgemacht. Sollen heute und in Zukunft genug Fachkräfte gewonnen und gehalten werden, braucht es attraktive Arbeitsbedingungen und eine gute Bezahlung. Arbeit im Krankenhaus, in der ambulanten und stationären Pflege muss wieder Freude machen. Dafür braucht es mehr Zeit für Patientinnen und Patienten bzw. pflegebedürftige Menschen und ausreichend Personal, um fachliche Standards einhalten zu können. Der Berufsethos darf nicht länger von den Arbeitgebern ausgenutzt werden. Mit verlässlichen, planbaren Arbeitszeiten kann die Vereinbarkeit von Beruf und persönlicher Lebenssituation verbessert werden. Gesunde Arbeitsbedingungen führen dazu, dass Beschäftigte bis zum gesetzlichen Rentenalter arbeiten und ihre Tätigkeit in Vollzeit ausüben können. Mehr Auszubildende können mit attraktiven Ausbildungsbedingungen gewonnen und nach ihrer Ausbildung im Beruf gehalten werden, wenn ihnen eine gute Perspektive geboten wird.
Die Arbeitgeber müssen ihre Hausaufgaben machen, um den Fachkräftebedarf auch in Zukunft zu sichern. Die Politik steht in der Verantwortung, die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen.
Der Fachkräftebedarf im Gesundheitswesen ist deutlich erkennbar. Es muss aber differenziert werden: Für die Krankenhäuser wird vielerorts ein Fachkräftemangel beklagt, die Situation ist jedoch regional, oft von Haus zu Haus sehr unterschiedlich. Ein flächendeckender Fachkräftemangel kann nicht konstatiert werden. Das Deutsche Krankenhausinstitut (DKI) stellte 2016 für den Pflegedienst auf Normalstationen fest, dass bundesweit fast 3.900 Vollkraftstellen unbesetzt blieben. Das entspricht knapp zwei Prozent der Vollkraftstellen in der Pflege auf Normalstationen. Etwas höher lag der Anteil der unbesetzten Stellen beim nichtärztlichen Personal im OP- und Anästhesiedienst mit insgesamt rund drei Prozent bzw. 1.400 vakanten Stellen in diesem Bereich. Bei den Medizinisch- Technischen Assistent/innen blieben von ca. 27.000 Stellen bundesweit 470 unbesetzt, bei den Hebammen lag der Anteil der offenen Stellen mit gut 400 Vollkraftstellen bei rund sechs Prozent (Blum et al. 2016).
In Zusammenhang mit der Einführung des Finanzierungssystems der Fallpauschalen (Diagnosis Related Groups – DRG) kam es zu Beginn des Jahrhunderts in den Krankenhäusern zu einem dramatischen Stellenabbau, insbesondere beim nicht-ärztlichen Personal. Seit 2007 wuchs die Zahl der Beschäftigten zwar wieder, die Zunahme blieb aber weit hinter der Steigerung der Fallzahlen zurück, was eine weitere Arbeitsverdichtung zur Folge hatte.
Niemand kann den Zusammenhang zwischen Personalausstattung und Qualität der Patientenversorgung noch leugnen. Empirische Studien zeigen, dass sich die Personalbemessung unter anderem auf das Risiko von Stürzen, Medikationsfehlern und Todesfällen durch zu spät erkannte Komplikationen auswirkt (Griffiths et al. 2014). Dennoch existieren in Deutschland – abgesehen von der Psychiatrie-Personalverordnung – keine gesetzlichen Vorgaben für die Ausstattung mit Pflegepersonal. Nach jahrelanger Debatte hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) 2013 die Neonatologie-Richtlinie beschlossen, die zur Qualitätssicherung bei der Versorgung Früh- und Reifgeborener rund um die Uhr eine Eins-zu-Eins-Versorgung mit einer Pflegefachkraft vorsieht. Kurz vor Inkrafttreten ab 2017 ist deren verbindliche Umsetzung auf Druck der Krankenhäuser durch weitgehende Übergangsregelungen um weitere drei Jahre verschoben worden. Offensichtlich haben die Krankenhäuser die vergangenen Jahre nicht genutzt, um sich auf den bekannten Fachkräftebedarf in den Perinatalzentren vorzubereiten. Qualitätsmängel bei der Patientenversorgung durch eine mangelhafte Personalausstattung werden in Kauf genommen.
Die Zahl der offenen Stellen in den Krankenhäusern wird weiter zunehmen, wenn sich die Rahmenbedingungen für Beschäftigte nicht wirksam verbessern. Immer häufiger werden in den Kliniken Zeitarbeitskräfte eingesetzt – ein Zeichen dafür, dass Fachkräfte vorhanden sind. Denn in Leiharbeit können Fachkräfte Einsätze zu planbaren, verlässlichen Arbeitszeiten mit besserer Bezahlung als die für Festangestellte finden, was ihnen oftmals attraktiver erscheint, als direkt im Krankenhaus angestellt zu sein.
In der Altenpflege besteht bereits heute ein Fachkräftemangel, der sich in den kommenden Jahren verstetigen dürfte – sofern nicht entschieden gegengesteuert wird. Es fehlt vielfach an guten Arbeitsbedingungen, worunter die Attraktivität des Berufs leidet. 2012 erwarteten Dreiviertel der Beschäftigten in der Altenpflege, ihren Beruf nicht bis zum gesetzlichen Rentenalter ausüben zu können. 2008 galt das noch für die Hälfte (Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit 2012). Die Hauptgründe sind neben der unzureichenden Bezahlung, ebenso wie in den Krankenhäusern, die schwierigen Arbeitsbedingungen. Schichtarbeit ist an sich schon belastend. Zusätzlich macht ein Großteil der Pflegekräfte regelmäßig Überstunden, springt aus der Freizeit ein – oft auch an Wochenenden – und kann die gesetzlich vorgeschriebenen Pausen nicht nehmen. Mit den Aufgaben in der Familie, Zeit mit Freunden oder Aktivitäten in Vereinen oder Organisationen ist das kaum vereinbar. Hinzu kommen ein ständiges Miterleben von Leid und Tod, verbale Demütigungen oder physische Angriffe dementer Bewohnerinnen oder Bewohner sowie die Sorgen um die spätere Rente. Die unzureichende Bezahlung spiegelt sich hier wieder. Doch wer ein langes Arbeitsleben hinter sich hat, darf im Alter nicht arm und auf staatliche Hilfe angewiesen sein. Der hohen Belastung stehen abhängig vom jeweiligen Führungsstil geringe Entscheidungsspielräume gegenüber. Auch werden Beschäftigte in vielen Einrichtungen mit den immer enger werdenden ökonomischen Rahmenbedingungen konfrontiert. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass der Krankenstand unter Pflegekräften deutlich höher ist als im Gesamtdurchschnitt der Beschäftigten. In der Altenpflege sind besonders lange krankheitsbedingte Fehlzeiten wegen Beschwerden am Muskel-Skelett-Apparat sowie psychischer Erkrankungen zu verzeichnen (AOK-Pflegereport Bayern, 2010; BKK-Gesundheitsreport 2016).
Laut der Bundesagentur für Arbeit fehlten Ende 2016 bereits 19.000 examinierte Altenpflegefachkräfte. In keinem Bundesland steht rechnerisch eine ausreichende Zahl arbeitsloser Bewerberinnen und Bewerber zur Verfügung, um damit die der Bundesagentur gemeldeten Stellen zu besetzen. Diese Situation könnte sich in den kommenden Jahren noch verschärfen. Laut einer Erhebung des Instituts Arbeit und Technik (IAT 2015) werden in den verschiedenen Wohn- und Versorgungsformen für pflegebedürftige Menschen (von der vollstationären Pflege über Tagespflege, ambulante Pflege, bis hin zu Pflege-Wohngemeinschaften und Hospizarbeit) bis 2030 mindestens 350.000 zusätzliche Kräfte benötigt, darunter rund 130.000 Pflegefachkräfte. Hinzu kommt, dass die Pflegeleistungen mit dem Pflegestärkungsgesetz II seit dem 1. Januar 2017 ausgeweitet wurden – was mehr qualifiziertes Personal erfordert.
Die in den einzelnen Bundesländern gültigen Personalschlüssel bilden die heutige Versorgungssituation nicht ab. Bewohnerinnen und Bewohner sind im Durchschnitt älter, multimorbider, kognitiv eingeschränkter als noch vor einigen Jahren. Die Personalbemessung muss sich daher am individuellen Pflege- und Unterstützungsbedarf jedes Menschen orientieren, wozu auch Teilhabe am gesellschaftlichen Leben gehört.
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