Gesundheitspolitik

Anforderungen an die Regierung

20.12.2017
Anforderungen von ver.di an die Regierungspolitik

Vor der Wahl haben wir unsere Erwartungen an die Parteien formuliert, nach der Wahl fordern wir Taten. Unsere Anforderungen an die Regierungspolitik zur Gesundheits- und Pflegepolitik.

1.   Gute Arbeit in Krankenhäusern

Bei der Ausstattung mit Pflegepersonal bilden die deutschen Krankenhäuser bei internationalen Vergleichsstudien das Schlusslicht: Im Durchschnitt sind es 13,0 Patienten/innen, die hier von einer Pflegefachkraft versorgt werden, in der Schweiz nur 7,9, in Norwegen lediglich 5,4 Patienten/innen (RN4Cast-Studie). Darunter leiden Beschäftigte und Patienten/innen gleichermaßen. Die Qualität der Versorgung sinkt, die Folgen der hohen Arbeitsbelastung sind überdurchschnittliche Fehlzeiten durch Krankheit, mehr psychische Erkrankungen als in anderen Berufsgruppen und eine höhere Rate an Frühverrentungen. 77 Prozent der Beschäftigten in der Gesundheits- und Krankenpflege können sich nicht mehr vorstellen, dass Rentenalter im Beruf zu erreichen. Die Entwicklung von Personaluntergrenzen für pflegesensitive Bereiche ist ein erster Schritt. Bleibt es bei Mindestvorgaben für wenige Bereiche, drohen viele Risiken in der Patientenversorgung. Daher sind schnell weitere Schritte erforderlich. Für die nachhaltige und wirksame Verbesserung der dramatisch schlechten Situation in der Krankenhauspflege ist eine Personalbemessung erforderlich, die sich am individuellen Pflegebedarf der Patienten orientiert. Deshalb fordert ver.di eine gesetzliche Personalbemessung mit entsprechender zweckgebundener Finanzierung für die Krankenhäuser. Unbesetzte Stellen dürfen nicht finanziert werden. Krankenhäuser, die am Personal sparen, dürfen davon nicht profitieren. Weitere müssen folgen, um die Situation nachhaltig und wirksam zu verbessern. Wir brauchen eine Sofortmaßnahme, die dazu dient, die Arbeitsbelastung kurzfristig zu reduzieren und ausreichend Fachkräfte zu halten und zu gewinnen. Die Qualität der Versorgung muss sich am Bedarf der Patienten orientieren. Wir halten folgende Schritte jetzt für erforderlich:

1.1 Gesetzliche Personalbemessung umsetzen

Eine gute und sichere Versorgung und Pflege gibt es nur mit ausreichend Personal. Deshalb wird eine gesetzliche Personalbemessung vorgeben, die den Pflegebedarf berücksichtigt.

1.2 Soforthilfe für mehr Personal

Als Soforthilfe werden 20.000 Vollzeitstellen zusätzlich geschaffen, die mit Pflegefachkräften besetzt werden. Sie dienen einer guten Ausbildung, in dem Praxisanleiter/innen freigestellt werden und einer Mindestschichtbesetzung in der Nacht und am Wochenende, damit niemand mehr allein in einer Schicht arbeiten muss.

1.3 Krankenhausfinanzierung

Krankenhäuser brauchen eine nachhaltig wirkende, auskömmliche Finanzausstattung. Für die tarifgebundenen Häuser ist daher der vollständige Ausgleich der Personalkostensteigerungen in den entsprechenden Regelungen im Krankenhausentgeltgesetz und der Bundespflegesatzverordnung umzusetzen.

Um zu gewährleisten, dass Beiträge der Versicherten vollständig für eine patientengerechte Versorgung eingesetzt werden, werden den Ländern zusätzliche Mittel für Krankenhausinvestitionen durch den Bund zweckgebunden zur Verfügung gestellt.

2. Gute Arbeit in der Altenpflege

Seit der Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs und des neuen Begutachtungsassesements (NBA) werden Pflegebedürftige gleichermaßen in ihren körperlichen, geistigen und psychischen Einschränkungen der Selbstständigkeit begutachtet und eingestuft. Damit pflegebedürftige Menschen von den neuen Leistungen tatsächlich profitieren, müssen die Rahmenbedingungen angepasst werden. Gute Pflege braucht Zeit und Zuwendung, deshalb müssen diejenigen unterstützt werden, die täglich die Pflege leisten. Die Rahmenbedingungen müssen dem neuen Verständnis entsprechen, damit pflegebedürftige Menschen, unabhängig davon ob sie ambulant oder stationär versorgt werden, profitieren. Gute Pflege ist nur möglich, wenn das notwendige, gut qualifizierte Personal zur Verfügung steht. Das ist heute oft nicht der Fall.

Frühestens 2020 steht ein Instrument zur Verfügung, welches den Personalbedarf einheitlich bemisst und nach qualitativen und quantitativen Maßstäben entwickelt. Bis zur Umsetzung müssen Sofortmaßnahmen greifen, die Beschäftigte wirksam entlasten und mehr Sicherheit für pflegebedürftige Menschen bringen. Mit dem Pflegevorsorgefonds, der der bis 2035 als Sondervermögen bei der Bundesbank verwaltet wird und helfen soll, den Beitragssatz zu stabilisieren, werden Finanzmittel angespart, die schon heute dringend für die Versorgung pflegebedürftiger Menschen benötigt werden. Mit Umwidmung in einen „Pflegepersonalfonds“ lassen sich jährlich 40.000 zusätzliche, tarifvertraglich vergütete Pflegefachkraftstellen finanzieren.

Wissenschaftlich belegt ist, dass ein hoher Anteil von Pflegefachkräften die Pflegequalität verbessert. Auf keinen Fall darf deshalb die Fachkraftquote von mindestens 50 Prozent abgesenkt werden. Unter der Bezeichnung „Fachkraft“ sind ausschließlich Pflegefachkräfte zu verstehen. Wir halten folgende Schritte jetzt für erforderlich:

2.1 Sofortprogramm für mehr Personal

Bis zur Umsetzung einer bundeseinheitlichen Personalbemessung wird als Sofortmaßnahme in stationären Einrichtungen ein Personalschlüssel von 1:2, von einer Pflegekraft auf zwei Bewohnerinnen bzw. Bewohner, vorgeschrieben. Zudem müssen nachts mindestens zwei Pflegekräfte im Wohnbereich anwesend sein. In der ambulanten Pflege werden ebenfalls adäquate Zwischenlösungen entwickelt und umgesetzt.

Der bestehende Pflegevorsorgefonds wird in einen „Pflegepersonalfonds“ umgewidmet. Somit können mit jährlich mehr als 1,2 Milliarden Euro zusätzlich 40.000 tarifvertraglich vergütete Vollzeitstellen mit Pflegefachkräften besetzt werden.

3. Solidarische Finanzierung

Zuletzt wurde mit dem GKV-Finanzierungsstruktur- und Qualitätsweiterentwicklungsgesetz zu Jahresbeginn 2015 die Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) neu gestaltet. Der Arbeitnehmer-Sonderbeitrag sowie die einkommensunabhängigen Zusatzbeiträge wurden zum in der Höhe unbegrenzten Zusatzbeitrag für die Versicherten der GKV umgewandelt, während der Arbeitgeberbeitrag eingefroren wurde. Beitragssatzsteigerungen sind damit allein durch die Versicherten zu tragen.

Nicht nur angesichts der angestoßenen Reformvorhaben und deren erwarteter Ausgabenwirkungen rechnen die Krankenkassen weiterhin mit zunehmenden Finanzierungslasten und entsprechend steigenden Zusatzbeiträgen. Schon bisher haben die privaten Haushalte über Zuzahlungen bei Arzneimitteln, Zahnersatz, Heil- und Hilfsmitteln etc. immer mehr Ausgaben selbst tragen müssen. Diese belasten zusammen mit den Zusatzbeiträgen besonders stark kleine und mittlere Einkommensbezieher sowie Rentnerinnen und Rentner. Im Wettbewerb der Gesetzliche Krankenkassen um die Vermeidung von Zusatzbeitragserhöhungen nimmt der Kostendruck auf Leistungserbringer, z. B. Krankenhäuser, zu. Ziel muss die verlässliche und solidarische Kranken- und Pflegeversicherung für alle Bürgerinnen und Bürger sein. Wir halten folgende Schritte jetzt für erforderlich:

3.1 Zusatzbeitrag abschaffen

Der Zusatzbeitrag wird abgeschafft. Künftige Kostenentwicklungen der GKV werden solidarisch, also einkommensabhängig und paritätisch, von Arbeitgebern und Versicherten getragen.

3.2 Bürgerversicherung auf den Weg bringen

Das bestehende Kranken- und Pflegeversicherungssystem wird zu einer solidarischen Bürgerversicherung weiterentwickelt, um die Finanzierung der zukünftig erheblich steigenden Versorgungsbedarfe einschließlich erforderlicher Innovationen und Strukturveränderungen zu sichern und die verlässliche Versorgung auf hohem Niveau zu garantieren. Die Veränderungen werden so gestaltet, dass diese nicht zu Lasten der Beschäftigten gehen, sondern zukunftsfeste Arbeitsplätze erhalten und geschaffen werden.

Solange die Gesetzliche Krankenversicherung im Wettbewerb gestaltet wird, muss für faire Bedingungen gesorgt werden. Der morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich Morbi-RSA wird weiterentwickelt unter Berücksichtigung:

  • der zuweisungsrelevanten Diagnosen, die einen Kodierungswettbewerb auslösen und der damit verbundenen Ausgleichssystematik des Morbi-RSA,
  • der Zuweisung der Zuschläge für Versicherte mit Erwerbsminderungsstatus,
  • der regionalen Unterschiede in den Versorgungsstrukturen und den deutlichen Unterschieden bei den Leistungsausgaben sowie
  • der Berechnung der Zuweisungen für Versicherte mit unvollständigen Versicherungsepisoden (sogenannte Sterbefälle).

3.3 Pflegeversicherung zur Vollleistungsversicherung weiterentwickeln

Die Pflegeteilkostenversicherung ist zu einer Pflegevollversicherung weiterzuentwickeln. Diese übernimmt alle notwendigen pflegebedingten Kosten im Rahmen der Sozialen Pflegeversicherung. Die Weiterentwicklung macht eine Beitragssatzerhöhung von ca. einem Prozentpunkt bei der Sozialen Pflegeversicherung erforderlich. Über die Einführung der Bürgerversicherung können die erforderlichen Mehrausgaben solidarisch getragen werden.

4. Attraktive und zeitgemäße Ausbildungen in den Gesundheitsfachberufen gewährleisten

Die Auszubildenden von heute sind die Fachkräfte von morgen. Die Ausbildungen in den Gesundheitsfachberufen (Heilberufe) sind daher attraktiv zu gestalten. Dafür müssen die Ausbildungen an veränderte Anforderungen angepasst und die Bedingungen verbessert werden. Die Gesundheitsfachberufe – insbesondere Pflegeberufe, therapeutischen Berufe und medizinisch-technischen Berufe – unterscheiden sich derzeit durch ihre bundesrechtlichen Vorgaben und der jeweiligen Ausgestaltung auf Landesebene. Anders als im dualen Berufsbildungssystem erfolgt die Finanzierung der Ausbildung in Schulen des Gesundheitswesens in erheblichem Maße durch ein von den Auszubildenden zu zahlendes Schulgeld. Trotz hoher Praxisanteile erhalten bspw. Medizinisch-Technische Assistent/innen oder Physiotherapeut/innen keine Ausbildungsvergütung, während das bei den Pflegeberufen und anderen Ausbildungsberufen längst selbstverständlich ist. Qualitätsstandards der beruflichen Bildungen könnten am besten auf Grundlage des Berufsbildungsgesetzes gesichert werden. Zumindest bedarf es für alle Heilberufe eines bundeseinheitlichen Rahmens.

Mit dem Pflegeberufegesetz steht der Rahmen für die neuen Pflegeausbildungen, die zum 01.01.2020 starten. Die Inhalte der neuen Ausbildungen liegen dagegen noch nicht vor. Positiv ist, dass im Zuge des Kompromisses zum Pflegeberufegesetz die Notwendigkeit anerkannt wurde, die Abschlüsse in der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege und Altenpflege zunächst beizubehalten. Auch künftig brauchen wir eine hinreichende Spezialisierung, diese muss daher langfristig gesichert sein.

4.1 Ausbildungen: kostenfrei und vergütet

Für alle Gesundheitsfachberufe (Heilberufe) ist zumindest ein bundeseinheitlicher Rahmen für die Ausbildung zu schaffen, um die Strukturen und Rahmenbedingungen einheitlich zu gestalten. Die Ausbildung ist künftig kostenfrei. Auch ist für alle Gesundheitsfachberufe ein gesetzlicher Anspruch auf eine angemessene Ausbildungsvergütung vorzusehen, wie es u.a. bei den Pflegeberufen bereits selbstverständlich ist.

4.2 Rahmenbedingungen für eine gute Pflegeausbildung

Der Entwurf der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung ist unverzüglich vorzulegen und umfassend zu beraten. Da die Pflegearbeit je nach Einsatzbereich unterschiedliche Anforderungen stellt, sind von Beginn der Berufstätigkeit an spezielle Kenntnisse erforderlich. Eine hinreichende Spezialisierung ist daher langfristig zu sichern. Für eine gute praktische Ausbildung ist eine fundierte Praxisanleitung wichtig, die nachhaltig zu stärken ist. Der im Pflegeberufegesetz verankerte Mindestumfang von 10 Prozent der Praxisstunden ist weiter zu konkretisieren. Die Praxisanleitung muss geplant und strukturiert auf der Grundlage eines Ausbildungsplanes erfolgten.