Stellungnahme

Weitergehende Maßnahmen nötig

17.11.2020

Mit dem Gesundheits- und Pflegeverbesserungsgesetz (GPVG) sollen u. a. zusätzlich 20.000 Stellen für Pflegehilfskräfte in Altenpflegeeinrichtungen geschaffen werden. Doch das reicht nicht, wenn pflegebedürftigen Menschen eine sichere Versorgung gewährleistet und Beschäftigten eine Perspektive der Entlastung geboten werden soll.

Die medizinischen und pflegerischen Versorgungsstrukturen sind unverzichtbar für die Daseinsvorsorge. Das hat die Corona-Pandemie für unsere Gesellschaft besonders deutlich gemacht. Menschen in unserem Land müssen sich darauf verlassen können, bei Krankheit, Pflegebedürftigkeit oder bei der Geburt gut versorgt zu werden. Entscheidend ist dafür eine Personalausstattung, die eine bedarfsgerechte Versorgung von Patient*innen und Pflegebedürftigen ermöglicht.

Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung und Pflege (Gesundheitsversorgungs- und Pflegeverbesserungsgesetz) werden als Maßnahmen unter anderem

  • ein dreijähriges Hebammenstellen-Förderprogramm,
  • die Einbeziehung der Kinder- und Jugendmedizin in die Förderung für ländliche Krankenhäuser sowie
  • eine zukunftsorientierte Personalausstattung für vollstationäre Pflegeeinrichtungen sowie
  • die Schaffung erweiterter Möglichkeiten für Krankenkassen zur Schließung von Selektivverträgen und zur Verfügbarmachung von aus diesen abgeleiteten, regionalen Versorgungsinnovationen
  • die dauerhafte Verfahrensvereinfachung bei Hilfsmittelempfehlungen im Rahmend er Pflegebegutachtung

vorgeschlagen.

Grundsätzlich gehen die vorgeschlagenen Änderungen auf der Versorgungsebene in die richtige Richtung, jedoch sind für nachhaltige Verbesserungen weitergehende Schritte erforderlich.

Der Personalnotstand in den Krankenhäusern gefährdet die Sicherheit der Patient*innen und die Gesundheit der Beschäftigten. Die enorme Arbeitsverdichtung der vergangenen Jahre treibt viele aus ihrem Beruf oder in die Teilzeit. Das Potential wird für eine gute Versorgung gebraucht. Um verlässliche Dienstpläne, Pausen und die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben zu ermöglichen, muss mehr Personal in die Kliniken. Dafür sind verbindliche Vorgaben nötig. Für das Pflegepersonal liegt ein Personalbemessungsinstrument vor, welches eine bedarfsgerechte Personalausstattung regelt und schnell in Kraft gesetzt werden kann. Auch alle anderen Berufsgruppen, wie die Hebammen und Geburtspfleger, brauchen am Bedarf orientierte Personalstandards.

Die Finanzierung der Krankenhäuser über Fallpauschalen hat zu erheblichen Fehlentwicklungen geführt. Der Kostendruck ist gefährlich für Patient*innen und Beschäftigte. Im Gesundheitssystem muss der Versorgungsbedarf im Vordergrund stehen, nicht der Erlös. Gerade bei den Krankenhäusern und Fachabteilungen der Kinder- und Jugendmedizin werden die Grenzen des Fallpauschalensystems offenkundig. Hier zeigt sich der Reformbedarf deutlich: Die Krankenhausfinanzierung muss sich nach dem tatsächlichen Bedarf richten, inklusive der nötigen Vorhaltekosten.

Gute Pflege braucht genug qualifizierte Beschäftigte. Der bestehende Flickenteppich unterschiedlichster Regelungen für die stationären Pflegeeinrichtungen in den Bundesländern, die zudem nicht verbindlich genug sind, muss ersetzt werden durch ein bundesweit einheitliches und am Pflegebedarf orientiertes Personalbemessungsverfahren. Dessen Einhaltung muss verpflichtend sein und regelmäßig überprüft werden. Um die Gesundheit der Beschäftigten zu schützen und eine hohe Versorgungsqualität für pflegebedürftige Menschen zu gewährleisten, muss zeitnah eine bundesweit einheitliche und bedarfsgerechte Personalausstattung erreicht werden.

Im vorliegenden Gesetzentwurf werden die vorab skizzierten Maßnahmen im Rahmen der Sozialgarantie 2021 abgebildet. Diese sollen darauf abzielen, das Gesamtniveau der Sozialversicherungsbeiträge auf eine Grenze unterhalb von 40 Prozent vorläufig zu stabilisieren sowie die GKV angesichts notwendiger pandemiebedingter Maßnahmen abzusichern. Damit wurde der inhaltliche Bezug auf die Versorgungsebene gegenüber dem Referentenentwurf durchbrochen. Die vorgeschlagenen Maßnahmen betreffen grundlegende Fragen der finanziellen Stabilität und berühren die Gewährleistung des Erhalts der GKV-Solidargemeinschaft. ver.di kritisiert, dass im Rahmen des parlamentarisch-demokratischen Meinungsbildungsprozesses die Sozialpartner und Sozialversicherungsträger erst an diesem Punkt eingebunden werden. Die Pandemie hat in besonderer Weise deutlich gemacht, wie sinnvoll und notwendig ein leistungsfähiges, allen Bürgerinnen und Bürgern zugängliches GKV-System ist. Um es aufrecht zu erhalten, muss die GKV nachhaltig abgesichert und stabilisiert werden. Die Absenkung der Mindestreserve bei den Krankenkassen auf 0,2 Monatsausgaben hat deren Fähigkeit, auf systemische Schocks zu reagieren, bereits deutlich eingeschränkt. Mit dem vorgesehenen Zugriff auf Rücklagen wird in das Haushaltsrecht der sozialen Selbstverwaltung der Beitragszahler eingegriffen. Noch ist ein Ende der Pandemie nicht in Sicht. Umso wichtiger, dass GKV-System nachhaltig zu stabilisieren und auf die weiteren Herausforderungen vorzubereiten. Das kann nur im Rahmen einer frühzeitigen Einbindung und Konsensbildung mit der Selbstverwaltung gelingen. 

 

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  • Grit Genster

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