Stellungnahme der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft zu
zur Öffentlichen Anhörung am 18. Dezember 2019
Mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung sind neben der im Koalitionsvertrag vereinbarten Reform des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs (RSA) umfassende Änderungen des Organisationsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) vorgesehen. Insgesamt zielt der Gesetzentwurf auf die Ausweitung des Wettbewerbsprinzips im GKV-System. Die systematischen Änderungen berühren wesentliche Grundlagen der Gesundheitsversorgung sowie die Ausgestaltung des Sozialstaates. Sie betreffen damit die Beschäftigten in Deutschland sowie ihre Angehörigen, die zum weit überwiegenden Teil im System der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) versichert sind. Damit stellen die gesetzlichen Krankenkassen die mit Abstand wichtigsten Institutionen zur sozialen Absicherung der Bevölkerung im Kontext der Gesundheitsversorgung dar. Gleichzeitig sind in der GKV und damit im ver.di-Organisationsbereich von ver.di rund 110.000 Menschen beschäftigt.
Der Gesetzentwurf sieht vor, beim GKV-Spitzenverband einen Lenkungs- und Koordinierungsausschuss (LKA) einzurichten, der hauptamtlich besetzt und mit weitreichenden Beratungs- und Entscheidungsrechten ausgestattet sein soll. So sollen künftig versorgungsbezogene Entscheidungen des Vorstandes des GKV-Spitzenverbandes zu Verträgen sowie Richtlinien und Rahmenvorgaben oder vergleichbare Entscheidungen der Zustimmung des LKA bedürfen. Das zusätzliche Gremium würde damit jedoch in Konkurrenz mit den gesetzlich festgelegten Befugnissen der sozialen Selbstverwaltung gehen und die Sozialpartnerschaft als Grundprinzip der Kranken- und Pflegeversicherung gefährden. Es droht eine Beschädigung der sozialpartnerschaftlich bewährten Einbindung von Versicherten und Arbeitgebern in den Versorgungsalltag von Millionen Bürgerinnen und Bürgern. ver.di lehnt die Einrichtung des LKA daher strikt ab. Die Mitbestimmung von Arbeitgebern und Versicherten in der Sozialen Selbstverwaltung ist zu gewährleisten. Vorgeschaltete Entscheidungs- und Beratungsgremien würden das Prinzip der Selbstverwaltung ad absurdum führen. Die auf der Welt einmalige deutsche Krankenversicherung mit ihren Leistungsversprechen und solidarischer Finanzierung hat ihr Fundament in der Sozialen Selbstverwaltung. Im Koalitionsvertrag haben CDU, CSU und SPD deshalb die Stärkung der Sozialen Selbstverwaltung verabredet. Mit der vorgesehenen Maßnahme wird das politische Ziel jedoch konterkariert.
Der RSA soll weiterentwickelt werden, um einen fairen Wettbewerb zu ermöglichen und ihn vor Manipulation zu schützen. Strukturelle Fehldeckungen auf regionaler Ebene sowie auf der Ebene einzelner Versichertengruppen sollen verhindert und zugleich Risikoselektionsanreize verringert werden. Dazu werden u. a. eine Regionalkomponente und ein Krankheits-Vollmodell eingeführt. Die Reform des RSA erfolgt unter Berücksichtigung des Sondergutachtens zu den Wirkungen des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs (2017) und des Gutachtens zu den regionalen Verteilungswirkungen des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs (Juni 2018), die der Wissenschaftliche Beirat zur Weiterentwicklung des RSA beim Bundesversicherungsamt (BVA) vorgelegt hat. Er stellt eine potentiell zielgenauere Anwendung des Finanzausgleichs zwischen den Krankenkassen in Aussicht. Nachhaltig positive Wirkungen sollen über eine regelmäßige Evaluation sichergestellt sowie zur Stärkung der Manipulationsresistenz eine Manipulationsbremse im RSA-Jahresabschluss eingeführt werden. ver.di spricht sich für eine zeitnahe Umsetzung der RSA-Reform in Verbindung mit einer Evaluation aus. Angesichts des verstärkten Wettbewerbs und der zahlreichen, die Kompetenz der sozialen Selbstverwaltung verletzenden Eingriffe in die Rechte der Krankenkassen zur Rücklagenbildung ist die kurzfristige Umsetzung unerlässlich.
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