In der Kranken- und Altenpflege werden dringend mehr qualifizierte Arbeitskräfte gebraucht. Denn nur mit genug Personal kann eine gute Versorgung sichergestellt werden. Die demografische Entwicklung – die wachsende Zahl pflegebedürftiger Menschen und der zunehmende Altersdurchschnitt der Pflegepersonen selbst – wird den Bedarf absehbar weiter erhöhen. Als ein Baustein zur Lösung des Problems wird die Migration von Arbeitskräften nach Deutschland gesehen. Klar ist allerdings erstens: Gelingende Migration braucht klare Regeln, faire Bedingungen und Verlässlichkeit für alle Beteiligten. Und zweitens: Arbeitsmigration allein wird den Personalmangel nicht beheben. Gute Arbeitsbedingungen und eine angemessene Bezahlung sind dafür entscheidend.
Es ist allgemein bekannt: In den Krankenhäusern fehlt ebenso wie in der ambulanten und stationären Pflege massiv qualifiziertes Personal. Allein in der stationären Langzeitpflege müssten laut einem Gutachten von Professor Heinz Rothgang von der Uni Bremen für eine bedarfsgerechte Versorgung 115.000 Vollzeitkräfte zusätzlich eingestellt werden – und das unabhängig vom künftigen Bedarf aufgrund der demografischen Entwicklung. Für die Krankenhäuser hat ver.di bereits 2013 mit dem Personalcheck festgestellt, dass 162.000 Stellen fehlen. Seither hat sich die Situation nicht verbessert. Allein die Personallücke in der Pflege wird auf rund 80.000 geschätzt.
Die Personalnot hat einen Teufelskreis in Gang gesetzt: Fehlendes Personal und Überlastung führen zu hohen Krankheitsquoten und zur Flucht aus den Berufen oder in Teilzeit, was den Notstand weiter verschärft. Um diesen Kreislauf zu durchbrechen, sind entschiedene Maßnahmen nötig: die Verbesserung der Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen sowie der Versorgungsqualität durch bedarfsgerechte Personalvorgaben. Und eine Bezahlung, die der Qualifikation und den Leistungen der Beschäftigten angemessen ist – unabhängig von der Trägerschaft oder Größe der Einrichtung. Auf dieser Grundlage können neue Arbeitskräfte gewonnen und gehalten und Berufsaussteiger*innen zur Rückkehr bewegt werden. Das Potenzial zeigt unter anderem eine Studie der Arbeitnehmerkammer Bremen, wonach bei besseren Arbeitsbedingungen allein durch die Aufstockung von Teilzeitverträgen mindestens 92.000 zusätzliche Vollzeitkräfte zur Verfügung stehen könnten.
In diesen Zusammenhang gestellt kann die Gewinnung ausländischer Pflegepersonen ein Baustein zur Bewältigung der Krise sein. Ihr Anteil hat sich zwischen 2015 und 2020 in der Krankenpflege von 5 auf 9 Prozent, in der Altenpflege von 8 auf fast 15 Prozent erhöht. Trotz dieser Dynamik steht fest: Allein durch Arbeitsmigration werden die Probleme in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen nicht gelöst. Klar sollte auch sein: Gelingende Arbeitsmigration braucht gute Rahmenbedingungen und faire Regeln.
Es muss sichergestellt werden, dass die Anwerbung von Fachpersonal nicht zu Engpässen in der Gesundheitsversorgung der betreffenden Länder führt. Die Weltgesundheitsorganisation definiert im »WHO Code of Practice« Staaten, in denen ihr zufolge kein bedenklicher Engpass von Gesundheitspersonal vorliegt und die daher als Anwerbeländer infrage kommen. Allerdings berichten Gewerkschaften gerade aus den Balkanländern, dass die Abwerbung durchaus gravierende Auswirkungen auf die dortigen Gesundheitssysteme hat. Vor dem Hintergrund solcher Erfahrungen ist die Weiterentwicklung des »WHO Code of Practice« nötig. Methodische Mängel, zum Beispiel bei der Definition des »kritischen Mangels«, müssen dringend behoben werden.
Zudem muss die Konvention 181 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) unterzeichnet werden, die Deutschland als nahezu einziges westeuropäisches Land bislang nicht ratifiziert hat. Sie untersagt unter anderem, angeworbenen Beschäftigten direkte oder indirekte Vermittlungsgebühren aufzubürden. Auch Nebenabreden zum Arbeitsvertrag müssen verboten sein – zum Beispiel, dass während des Anerkennungsverfahrens angefallene Kosten im Falle einer Vertragsauflösung zurückgezahlt werden müssen. Das im Rahmen der »Konzertierten Aktion Pflege« entwickelte »Gütesiegel« ist hierfür nicht ausreichend, da es auf Freiwilligkeit setzt und nicht verbindlich ist. Ein positives Beispiel ist hingegen das »Triple-Win-Projekt« der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) der Bundesagentur für Arbeit. Dieses Konzept strebt nachhaltige berufliche Mobilität zum Vorteil aller Beteiligten an – sowohl der Migrant*innen als auch der Herkunfts- und Zielländer.
Entscheidend für gelingende Arbeitsmigration ist frühzeitige und umfassende Information über die Bedingungen im Einsatzland und in den Betrieben. Allzu oft bestehen falsche Vorstellungen über Kompetenzen, Aufgaben, Abläufe und betriebliche Hierarchien. So ist ausländischen Pflegekräften manchmal nicht bewusst, dass Pflegefachpersonen in Deutschland auch Aufgaben in der Grundpflege übernehmen, was im Sinne ganzheitlicher Pflege durchaus sinnvoll ist. Wird über diese und andere Fragen nicht bereits im Vorfeld aufgeklärt, kann das zu Missverständnissen und Konflikten führen.
Unerlässlich für einen gleichberechtigten Austausch und die Ausübung der Berufe ist die dafür nötige sprachliche Kompetenz inklusive der Beherrschung der Fachbegriffe. Hier sparen die Arbeitgeber fast durchgängig an der falschen Stelle. Das B1-Niveau (Touristen-Deutsch), das in Hessen als Voraussetzung für die Berufsanerkennung ausreicht, ist keine geeignete Grundlage für eine professionelle Zusammenarbeit oder eine gute Kommunikation mit Patient*innen und pflegebedürftigen Menschen. Auch das B2/C1-Niveau, das in den anderen Bundesländern zur Bedingungen gemacht wird, kann nur als Ausgangsniveau verstanden werden. Weitere zeitnahe und für die Beschäftigten kostenfreie (fach-)sprachliche Fortbildungen während der Arbeitszeit sind zwingend notwendig. Sie dürfen nicht nur optional angeboten werden, sondern müssen bundesweit verpflichtend sein.
Die Arbeitgeber stehen in der Verantwortung, von Betriebs- und Personalräten bzw. Mitarbeitervertretungen mitbestimmte, betriebliche Integrationskonzepte zu erstellen und umzusetzen. Diese nehmen nicht nur die Migrant*innen in den Blick, sondern auch die bestehende Belegschaft. Beispielsweise sollten Möglichkeiten des gemeinsamen Austausches auf Augenhöhe geschaffen werden, die dabei helfen, kulturelle Zuschreibungen, Diskriminierungen und Rassismus zu vermeiden. Wichtig ist auch, die interkulturelle Kompetenz und den professionell kritischen Blick auf die eigenen Versorgungs- und Arbeitsstrukturen schon in der Ausbildung zu schärfen. Dieser im Pflege-
berufegesetz angelegte Anspruch sollte noch stärker mit Leben gefüllt werden.
ver.di – Gewerkschaft für alle
Als Gewerkschafter*innen sind uns alle Menschen willkommen, die uns als Kolleginnen und Kollegen mit ihren jeweiligen Kompetenzen helfen wollen, den Anforderungen unseres Gesundheitswesens zu begegnen. ver.di ist die Selbstorganisation der Beschäftigten, die gemeinsam für gute Arbeitsbedingungen, angemessene Bezahlung und soziale Gerechtigkeit eintreten – unabhängig von Herkunft, Branche oder Profession. Mach mit!
Berufsgenossenschaft Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW), Arbeits- und Gesundheitsschutz
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Berufspolitik/Jugend
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