Fachtagung

Protest hat sich gelohnt

16.11.2018

Synode der Evangelischen Kirche beschließt Verbesserungen bei der Mitbestimmung. Fachtagung von Mitarbeitervertretungen in Kassel bilanziert Fortschritte, übt aber auch Kritik.

 

Die Synode der Evangelischen Kirchen Deutschlands (EKD) habe einen »Paradigmenwechsel« eingeleitet, betonte der Bremer Rechtsanwalt Bernhard Baumann-Czichon am Donnerstag (15. November 2018) bei der Kasseler Fachtagung zum kirchlichen Arbeitsrecht. Kurz zuvor hatte das Kirchenparlament einige Verbesserungen bei der betrieblichen Mitbestimmung beschlossen und geplante Verschlechterungen nicht umgesetzt. Dennoch sahen die rund 270 Teilnehmer/innen der von der Zeitschrift Arbeitsrecht und Kirche gemeinsam mit ver.di, der Bundeskonferenz der Arbeitsgemeinschaften und Gesamtausschüsse der Mitarbeitervertretungen in der Diakonie (buko agmav + ga) sowie der Diakonischen ArbeitnehmerInnen Initiative (dia e.V.) organisierten Tagung weiteren Verbesserungsbedarf.

Der Zeitpunkt der alljährlich in Kassel stattfindenden Tagung hätte nicht besser gewählt sein können. In den Tagen zuvor hatte die EKD-Synode in Würzburg getagt, um über Veränderungen im Arbeitsrecht zu beraten. 400 Beschäftigte aus diakonischen und kirchlichen Einrichtungen hatten dort am Sonntag (11. November 2018) für eine Abkehr vom kirchlichen Sonderrecht in Sachen Mitbestimmung und Tarifrecht demonstriert. Das setzte die Synode zwar nicht um, beschloss aber einige Schritte zur Stärkung der betrieblichen Mitbestimmung. Unter anderem strich sie die sogenannte ACK-Klausel, die Kandidatinnen und Kandidaten zur Mitarbeitervertretung (MAV) eine Kirchenmitgliedschaft vorschreibt. »Jetzt darf jeder Beschäftigte unabhängig von seiner Konfessionszugehörigkeit für die MAV kandidieren«, stellte Baumann-Czichon, Mitorganisator der Kasseler Tagung, klar. »Allerdings haben die Gliedkirchen die Möglichkeit, die ACK-Klausel wieder einzuführen.« Es ist also möglich, dass dieser Eingriff in die Religionsfreiheit der Beschäftigten in einigen Landesteilen fortgesetzt wird.

Ebenfalls wichtig ist die von der EKD-Synode beschlossene Möglichkeit, dass Mitarbeitervertretungen und Arbeitgeber eine betriebliche Einigungsstelle einberufen können, wenn sie sich in mitbestimmungspflichtigen Fragen nicht einigen. Diese, im weltlichen Betriebsverfassungsgesetz schon lange bestehende Option gab es bei Kirche und Diakonie so bislang nicht. Allerdings können beide Seiten höchstens zwei Vertreter/innen in die Einigungsstelle entsenden. Im weltlichen Arbeitsrecht gibt es eine solche Deckelung nicht, die die Bearbeitung komplexer Themen erschweren dürfte. »Fünf Mitglieder inklusive des Vorsitzenden sind bei manchen Fragen einfach zu wenig, hier müssen wir auf eine Öffnung hinwirken«, sagte Baumann-Czichon. Unsinnig sei auch, dass die Gliedkirchen betriebsübergreifende Einigungsstellen ermöglichen könnten. »Es geht ja gerade darum, Einigungsstellen zu haben, die einen Interessenausgleich im einzelnen Betrieb anstreben.«

 
Teilnehmer_innen der Fachtagung von Mitarbeitervertretungen

»Ein Paradigmenwechsel«

Positiv ist für Baumann-Czichon hingegen, dass die zunächst geplante Beschränkung von Einigungsstellen auf Betriebe mit mehr als 600 Beschäftigten aufgegeben wurde. Auch die Überlegung, das Mitbestimmungsrecht bei den Arbeitszeiten faktisch auszuhebeln, habe die Synode nicht aufgegriffen. Zudem seien die Rechte der Schwerbehindertenvertretung so ausgebaut worden, dass sie dem Niveau der Privatwirtschaft entsprechen. All das bedeute »einen Paradigmenwechsel, der konsequent durch dekliniert bedeutet, dass das kirchliche Arbeitsrecht an das Betriebsverfassungsgesetz angeglichen wird«. Bei der Schwerbehindertenvertretung sei das bereits umgesetzt, bei der Einigungsstelle habe man damit »zaghaft begonnen«.

Kritik übte der Jurist daran, dass »das Fristenregime« erhalten bleibe: Wenn sich eine Mitarbeitervertretung zu einem Antrag des Arbeitgebers 14 Tage lang nicht äußert, gilt die beantragte Maßnahme als bewilligt. »Zwingt der evangelische Glaube etwa dazu, das so zu regeln?«, fragte er in Bezug auf Äußerungen von Irmgard Schwätzer, Präses der EKD-Synode. Diese hatte erklärt, Abweichungen vom staatlichen Recht seien nur begründbar, wenn der evangelische Glaube dies erzwinge. »Hier geht es wohl eher um Arbeitgeberinteressen als um den Glauben«, stellte Baumann-Czichon fest.

Dass es überhaupt Bewegung in Sachen kirchliches Arbeitsrecht gibt, führte der Anwalt unter anderem auf die jüngsten Urteile des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesarbeitsgerichts zurück. Diese hatten entschieden, dass die Kirchen nur unter bestimmten Umständen von ihren Beschäftigten verlangen können, der »richtigen« Konfession anzugehören. Der Sprecher der buko agmav + ga, Siegfried Löhlau, betonte, mehrere Bausteine hätten zu den EKD-Beschlüssen beigetragen. »Wir hatten, auch dank ver.di, eine sehr gute Demonstration vor der Synode«, berichtete der Vorsitzende des Gesamtausschusses der Mitarbeitervertretungen von Einrichtungen im Bereich Diakonisches Werk der Pfalz (GMDW-Pfalz). Dabei wurden auch insgesamt mehr als 17.000 Unterschriften für eine verbindliche Mitbestimmung und die Streichung der ACK-Klausel übergeben. »Wir sind besser geworden, auch das hat eine wichtige Rolle gespielt«, erklärte Löhlau.

Andere Teilnehmer/innen betonten in der Debatte ebenfalls den mit den EKD-Beschlüssen verbundenen Erfolg. Allerdings bleibt das Kirchenrecht in vielen Bereichen weiter hinter dem Betriebsverfassungsgesetz zurück – so zum Beispiel beim Initiativrecht. Lothar Germer von der buko agmav + ga verwies darauf, dass das neue Kirchengesetz zwar ab 2019 in Kraft tritt, aber die Regelung zur Einigungsstelle erst 2020. »Wir haben also noch ein Jahr Zeit, die Synode Anfang November in Dresden davon zu überzeugen, dass weitere Nachbesserungen nötig sind.«

 

Blick über den Tellerrand: Private Equitiy im Gesundheits- und Sozialwesen

Doch es ging bei der Kasseler Fachtagung nicht nur um das neue Arbeitsrecht. Gleich zu Beginn wagten die Mitarbeitervertreter/innen einen weiten Blick über den Tellerrand: Der Autor Rainer Bobsin berichtete über die Methoden von Private-Equity-Fonds, die auch im Gesundheits- und Sozialwesen eine zunehmende Rolle spielten. Sie kauften in der Regel ganze Unternehmen, expandierten mit ihnen und verkauften sie schon nach wenigen Jahren deutlich teurer weiter. Das wirke sich nicht nur auf die dort Beschäftigten aus, sondern letztlich auf die gesamte Branche.

Das Agieren von Private-Equitiy-Gesellschaften setze auch öffentliche, freigemeinnützige und kirchliche Einrichtungen unter Druck, betonte Bobsin. Es etabliere sich eine »Herrschaft betriebswirtschaftlicher Kennzahlen« in der Branche, die auf Kosten der Beschäftigten und der Versorgungsqualität geht. Davon könnten Beschäftigte von Kirchen, Diakonie und Caritas auch direkt betroffen sein, wenn zum Beispiel Betriebsteile oder insolvente Einrichtungen ausgegliedert und verkauft werden sollen.

Bobsin machte darauf aufmerksam, dass Kirchenbeschäftigte ebenso wie ihre Kolleg/innen des öffentlichen Dienstes noch auf andere Weise mit dieser, aus Gewerkschaftssicht höchst problematischen Entwicklung verknüpft sind: Ihre Beiträge zur betrieblichen Altersvorsorge werden teilweise in Private-Equity-Fonds investiert. So ist beispielsweise im Jahresbericht der Evangelischen Zusatzversorgungskasse von »nennenswerten Zuführungen in den Bereichen Immobilien und Private Equity« die Rede. Selbst die Kirchen tragen also dazu bei, dass sich die kurzfristige Profitmaximierung im Gesundheits- und Sozialwesen ausbreitet.

Die Beschäftigten und ihre Gewerkschaft sollten versuchen, die negativen Auswirkungen dieser Entwicklung zu begrenzen, schlug Bobsin vor. So könnten flächendeckende Tarifverträge, gesetzliche Personalvorgaben und durchsetzungsfähige Mitbestimmungsorgane der Gewinnorientierung Grenzen setzen. »Wenn es eine starke Belegschaft gibt, die ihre Interessen vertreten kann, wird der "Happen" für den Investor unattraktiver«, umriss der Buchautor eine Gegenstrategie.

 
Teilnehmer_innen der Fachtagung von Mitarbeitervertretungen

Risiken und Chancen der Digitalisierung

Nicht nur die Eigentumsverhältnisse sind in der Sozialen Arbeit in Bewegung geraten. Auch die Arbeit selbst ändert sich, vor allem durch den zunehmenden Einsatz digitaler Technik. Die Direktorin des Forschungsschwerpunkts Arbeit und Wandel am Institut Arbeit und Technik in Gelsenkirchen, Michaela Evans, betonte in ihrem Vortrag, dieser Prozess beinhaltete für die Beschäftigten und ihre Interessenvertretungen nicht nur Risiken, sondern »auch Riesen-Chancen«. Die Technik an sich sei weder gut noch schlecht, erklärte die Wissenschaftlerin. Entscheidend sei, wie und wofür sie eingesetzt werde. »Und das ist prinzipiell gestaltbar.« Evans forderte die in Kassel versammelten Mitarbeitervertreter/innen auf, neue Technologien weder grundsätzlich abzulehnen noch technikgläubig zu sein. »Wir brauchen eine sachliche Auseinandersetzung über die Chancen und Risiken jeder Technologie.« Diese seien in jedem einzelnen Fall unterschiedlich und müssten jeweils konkret bewertet werden.

So könne digitale Technik sowohl zur Rationalisierung als auch zur Entlastung von Beschäftigten genutzt werden. »Das ist auch immer das Ergebnis der Aushandlung von Interessen, also auch abhängig von der jeweiligen Durchsetzungsfähigkeit«, sagte Evans. Die Arbeitgeber forderte sie auf, die Beschäftigten bei der Einführung neuer Technologie »mitzunehmen«. Geschehe dies nicht, so die Erkenntnisse ihrer Forschung, gehe das zu Lasten der Qualität und erhöhe sowohl die Kosten als auch die Arbeitsbelastung. »Auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist es also nicht sinnvoll, neue Technologien von oben, ohne die Beteiligung der Beschäftigten einzuführen«, erklärte die Forscherin. Dennoch gebe bei Befragungen nur ein Bruchteil der Beschäftigten an, bei technischen Neuerungen beteiligt zu werden.

Es sei daher wichtig, dass die Interessenvertretungen ihre Mitbestimmungsrechte nutzten, betonte Evans. »Die Mitarbeitervertretung sollte nicht nur reagieren, sondern eigene Vorstellungen darüber entwickeln, welche Folgen mit neuen Technologien verbunden sind, wo sinnvolle Einsatzfelder liegen und wie ihre Wirkung gemessen werden kann.« Es seien betriebliche Strategien nötig, um den mit technischer Entwicklung verbundenen Unsicherheiten und Risiken zu begegnen. Daran hätten auch die Arbeitgeber ein Interesse.

Dass die aktuellen Formen von Technisierung und Digitalisierung in den Betrieben oft eher problematische Konsequenzen haben, zeigten die Diskussionsbeiträge einiger Teilnehmer/innen. Statt Entlastung hätten neue Technologien zumeist eine weitere Arbeitsverdichtung zur Folge, berichtete ein Mitarbeitervertreter aus Berlin. So werde der Aufwand für Dokumentation und Verwaltung oft nicht reduziert, sondern noch gesteigert. Ein anderer Kollege erklärte: »Meine Erfahrung ist: Wenn digitale Technik eingesetzt wird, geht es um Optimierung, nicht um mehr Freiheit für die Fachkräfte.« Zudem könnten die Tätigkeiten in der Sozialen Arbeit nicht so standardisiert und in Algorithmen gepresst werden wie in anderen Bereichen.

 

Erklärung beschlossen

»Wir müssen uns einmischen «, betonte Mario Gembus von der ver.di-Bundesverwaltung – nicht nur in Bezug auf Digitalisierung, sondern auf alle Themen. 100 Jahre nach Einführung der Demokratie in Deutschland müsse auch die demokratische Beteiligung in den Betrieben ausgebaut werden – auch und gerade in kirchlichen Einrichtungen. Die pauschalierten Finanzierungssysteme und die Expansion privater Konzerne setzten alle Bereiche der Sozialen Arbeit unter Druck, so der Gewerkschafter. Dagegen müssten sich die Beschäftigten organisieren, »damit ihre Interessen Berücksichtigung finden«.

In diesem Sinne wollen die in Kassel versammelten Interessenvertreter/innen weiter wirken. Zum Abschluss der zweitägigen Konferenz verabschiedeten sie eine Resolution, die einerseits die von der EKD-Synode beschlossenen Verbesserungen beim Arbeitsrecht begrüßt, andererseits Nachbesserungen einfordert. Auch beim Thema Digitalisierung wollen sich die Mitarbeitervertretungen in Zusammenarbeit mit ver.di einbringen und ihre Mitbestimmungsrechte nutzen, um den Gesundheits- und Datenschutz zu stärken.

 

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