„Wir sind heute hier, damit 1,8 Millionen kirchliche Beschäftigte Demokratie und Mitbestimmung bekommen.“ Sylvia Bühler, ver.di-Bundesvorstandsmitglied und Leiterin des Fachbereichs Gesundheit, Soziale Dienste, Bildung und Wissenschaft wählt deutliche Worte: „Es ist befremdlich, dass das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz für kirchliche Beschäftigte nicht gilt. Im Jahr 2024. In Deutschland. Das ist ein Skandal!“
Gemeinsam mit rund 250 ver.di-Mitgliedern steht Bühler vor dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Im Bauch ziemlich viel Wut, im Gepäck mehr als 37.000 Unterschriften. Sie alle gelten der ver.di Petition „Gleiches Recht für kirchliche Beschäftigte“. Denn noch immer profitieren kirchliche Arbeitgeber von Sonderregeln im Arbeitsrecht, die es ihnen erlauben, die betriebliche Mitbestimmung einzuschränken und persönliche Entscheidungen von Beschäftigten zum Kündigungsgrund zu machen. SPD, Grüne und FDP hatten in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, das kirchliche Sonderrecht zu prüfen.
Für ver.di ist schon lange klar, dass das allein nicht ausreicht, sondern dessen Abschaffung auf die Tagesordnung gehört. Doch bislang hat sich die Koalition nicht an die eigenen Ziele gehalten. Das ist ein Unding.
Ilka Steck, Altenpflegerin in Baden-Württemberg bringt es – an die Regierung gerichtet –auf den Punkt: „Es liegt in eurer Hand. Ihr könnt die Arbeitsbedingungen für 1,8 Millionen Menschen verbessern. Ihr könnt das jetzt machen.“ Mathias Papendieck, Bundestagsabgeordneter der SPD, und Manuel Emmler für die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen nehmen die große Kiste mit Unterschriften entgegen. Beide unterstützen die Forderungen von ver.di und den Beschäftigten uneingeschränkt. Sie versprechen, in ihrem Wirkungskreis weiterhin Druck zu machen. Papendieck wird die Unterschriften im Ausschuss für Arbeit und Soziales vorlegen.
Auf der Kundgebung spricht auch Sandra Eltzner aus Nordrhein-Westfalen. Viele Jahre arbeitete sie als Hebamme in einem Caritas-Krankenhaus, war später selbstständig. Aus persönlichen Gründen trat sie aus der Kirche aus. Einen Monat nach ihrer erneuten Festanstellung bei dem Caritas-Träger erhielt sie vom Personalchef die Aufforderung, wieder Mitglied der katholischen Kirche zu werden. Andernfalls erfolge die Kündigung. Eltzner wehrte sich juristisch, kämpfte sich durch bis zum Europäischen Gerichtshof: „Anfangs habe ich das vor allem einfach für mich gemacht. Da wusste ich noch gar nicht, wie wichtig mein Kampf für so viele andere ist.“ Zu einem Urteil kam es schlussendlich nicht, denn Eltzners Arbeitgeber ruderte zurück und bot ihr die Wiedereinstellung an. Er wollte ein Grundsatzurteil vermeiden, das höchstwahrscheinlich nicht zu seinen Gunsten ausgefallen wäre.
Der Mut von Sandra Eltzner hat den Fokus der Öffentlichkeit auf eines der großen Probleme im Hinblick auf Arbeitnehmerrechte bei kirchlichen Arbeitgebern gelenkt: Die Diskriminierung wegen privater Entscheidungen. Damit muss Schluss sein. Es darf kein Sonderrecht für Kirchen geben, das es ihnen erlaubt, das Privatleben ihrer Arbeitnehmer*innen zu beeinflussen. Das ist Diskriminierung, keine Qualitätssicherung. „Man muss kein Kirchenmitglied sein, um in der sozialen Arbeit einen guten Job zu machen“, so Sylvia Bühler. Und es ist nach EU-Recht nicht zulässig.
Das zweite große Thema ist die betriebliche Mitbestimmung. Auch hier bekommt die Kirche eine Extra-Wurst und muss sich nicht an das Betriebsverfassungs- oder das Personalvertretungsgesetz halten. Doch Arbeitnehmerrechte sind nicht teilbar. Der Gesetzgeber steht in der Pflicht, hier endlich einzugreifen und Ausnahmen vom Gleichbehandlungsgrundsatz abzuschaffen.
Nicole Hartmann ist Pflegewirtin und Vorsitzende der Mitarbeitervertretung im Agaplesion Elisabethenstift in Darmstadt. Auf die Frage, warum sie trotz des mühseligen und langwierigen Kampfes nicht damit aufhöre, sich für mehr Mitbestimmung und bessere Arbeitsbedingungen stark zu machen, kennt sie nur eine Antwort: „Weil ich fest daran glaube, dass es besser ist, das System zu verändern, anstatt davor wegzulaufen.“
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