Krankenhaus

Experten für gesetzliche Personalbemessung

27.11.2014
Stephan Greß

Je weniger Pflegepersonal, desto schlechter die Pflege. Für Deutschland gibt es zwar keine Studien, aber Analysen in den USA haben bewiesen, was zu vermuten auch nahe liegt. Mehr noch: Je schlechter die Pflege, desto eher sterben die Patientinnen und Patienten. Oder anders ausgedrückt: Je weniger Personal, desto mehr Patienten sterben. Deshalb muss auch Schluss mit dem Personalabbau in der Pflege sein. Stattdessen braucht es ein gesetzliches Personalbemessungssystem, fordern der Gesundheitsökonom Professor Stefan Greß und der Gesundheitswissenschaftler Professor Klaus Stegmüller von der Hochschule Fulda.

Dass die Personalausstattung auf den Stationen der Kliniken die Qualität der Pflege bestimmt, ist eigentlich logisch, oder?

Greß: Der Zusammenhang zwischen Personalausstattung und Pflegequalität sollte eigentlich logisch sein. Es braucht tatsächlich nicht viel Phantasie, um zu vermuten, dass die Pflegequalität steigt, wenn mehr Pflegekräfte eingesetzt werden. Doch Studien dazu gibt es für Deutschland nicht. In den USA allerdings wurden verschiedene solcher Studien erstellt und der Zusammenhang zwischen Pflegequalität und Personalstärke in den Kliniken detailliert untersucht. Dabei wurden verschiedene Indikatoren herausgegriffen wie Infektionen, Stürze, Medikationsfehler, Verweildauer, Wiedereinweisungen oder das Wundliegen. Diese Studien haben wir, mein Kollege Professor Klaus Stegmüller und ich, ausgewertet.

Und die Ergebnisse?

Greß: Die Ergebnisse sind ziemlich eindeutig. Je mehr Pflegekräfte auf den Stationen arbeiten, desto weniger oft kommen Infektionen vor, desto weniger Stürze, desto seltener werden falsche Medikamente ausgegeben. Und insgesamt lautet das Ergebnis: Je mehr Personal, desto weniger Leute sterben nach und während einer Behandlung. Umgekehrt muss man leider sagen: Je weniger Personal, desto gefährdeter sind die Patientinnen und Patienten. Wobei die Ergebnisse noch eindeutiger werden, wenn mehr Fachkräfte auf den Stationen arbeiten.

Die Kliniken in Deutschland scheinen von diesen Studien noch nichts gehört zu haben?

Greß: Jedenfalls widersprechen die Ergebnisse dieser Studien der Personalpolitik der Kliniken. Das ist richtig.

Die Kliniken haben Pflegestellen in großen Stil abgebaut.

Greß: Seit Jahren bauen die Kliniken Pflegestellen ab. Oft werden die Fallpauschalen mit dem Stellenabbau in Verbindung gebracht. Das ist nicht ganz richtig. Schon Jahre bevor die DRG’s, also die Fallpauschalen, Wirklichkeit wurden, haben die Kliniken Pflegestellen gestrichen. Die Fallpauschalen haben dieser Entwicklung noch einmal einen Schub versetzt. Eigentlich muss man sagen, seit 20 Jahren bauen die Kliniken Pflegestellen ab. Inzwischen ist die Situation so dramatisch, dass eine Gefährdung der Patientinnen und Patienten infolge dieses Personalmangels auf den Stationen nicht mehr ausgeschlossen werden kann.

Man muss zudem Folgendes sehen: Im gleichen Zeitraum, in dem die Pflegestellen abgebaut wurden, sind die Fallzahlen deutlich gestiegen. Zudem nahm die Verweildauer pro Patientin und pro Patient ab. Wobei die Verkürzung der Verweildauer politisch gewollt war.

Mehr Fälle bei einer kürzeren Verweildauer müsste eigentlich mehr Pflegepersonal zur Folge haben. Aber die Kliniken haben Stellen gestrichen. Kein Wunder, dass das Arbeitsvolumen für das verbliebene Personal stieg und stieg. Kein Wunder, dass die Beschäftigten über die Arbeitsverdichtung klagen und davon sprechen, dass sie von Patient zu Patient hetzen. Ganz klar: Bei einer solchen Arbeitsverdichtung sinkt die Pflegequalität. Es braucht auch nicht viel Phantasie, um sich auszumalen, dass mehr Patienten und weniger Pflegepersonal sich nicht positiv auf die Arbeitszufriedenheit des verbliebenen Personals auswirken. Hinzu kommt: Es gibt keine Reserven für Spitzenbelastungen. Der Dienstplan ist so eng getaktet, dass kein Spielraum für Eventualitäten existiert: Wird eine Pflegerin oder der Pfleger krank, gerät alles durcheinander.

Sie haben auch mit Pflegerinnen und Pflegern gesprochen?

Greß: Nein, bei dieser Studie haben wir keine Interviews geführt. Solche Befragungen hat aber Klaus Stegmüller, meine Kollege und Mitverfasser dieser Studie, unter Pflegekräften im Rahmen einer Studie zur Situation in hessischen Krankenhäusern im vergangen Jahr durchgeführt. Die Pflegekräfte berichteten detailliert über die als nicht mehr erträglichen Arbeitsbelastungen und ihre negativen Folgen für die Qualität der Pflege.

 

 
Klaus Stegmüller

Ist die Situation in allen Kliniken gleich?

Greß: Das kann man so nicht sagen. Nach meinen Beobachtungen sehen einige Klinikleitungen die Dramatik und handeln entsprechend. Das heißt: Sie schaffen wieder vermehrt Pflegestellen. Und man muss sagen: Je näher die Verantwortlichen an den Stationen dran sind – Pflegedienstleistungen oder auch Chefärzte –, desto eher sehen sie das Pflegedilemma.  Das Management der Klinik aber ist in der Regel weiter weg vom Pflegealltag. Hier wird noch nicht überall gesehen, welche Auswirkungen der Stellenabbau in der Pflege mit sich bringt.

Was muss passieren, damit sich die Situation ändert?

Greß: Freiwillig werden die meisten Kliniken nichts unternehmen. Dann sinkt die Qualität der Pflege weiter ab. Aber auch die Politik und die Kassen sind hellhörig geworden. So gesehen stehen die Chancen gut, dass gegengesteuert wird. Denn so langsam ist ein Zustand erreicht, der nicht einfach so hingenommen werden kann.

Welche Maßnahmen werden gebraucht?

Greß: Wir brauchen klare gesetzliche Regelungen zur Personalbemessung auf den Stationen. Es muss en detail festgelegt werden, wie viele Pflegerinnen und Pfleger mindestens in einer Schicht eingesetzt werden und welche Qualifikation sie vorweisen müssen. Es kann ja auch nicht sein, dass auf einer Station nur Angelernte arbeiten. Oder nur eine Schwester oder ein Pfleger und ansonsten nur Hilfskräfte. Das kommt die Klinik zwar günstig, überfordert aber jede Fachkraft. Was die Finanzierung betrifft, schlagen wir eine Dreiteilung vor: ein Drittel zahlen die Krankenkassen, ein Drittel die Länder und ein Drittel der zusätzlichen Kosten muss die Klinik übernehmen.

Diese Drittelung hat folgenden Hintergrund: Wenn die Kliniken keine zusätzlichen Mittel bekommen, werden sie sich nicht davon überzeugen lassen, mehr Personal einzustellen. Die Beteiligung der Länder steht im Zusammenhang mit dem Umstand, dass sie in den vergangenen Jahren ihrer Verpflichtung zur Krankenhausfinanzierung oft nicht nachkamen. Die Folge: Die Kliniken haben bei den Personalkosten Geld für Renovierungen oder für die Anschaffung neuer Technik abgezwackt. Aber auch die Kliniken müssen einen Teil der zusätzlichen Kosten übernehmen. Wenn auf diesen Klinikanteil verzichtet wird, werden all die Krankenhäuser bestraft, die aus Einsicht jetzt schon mehr Stellen in der Pflege geschaffen haben.

Was garantiert, dass das zusätzliche Geld wirklich in die Pflege fließt?

Greß: … und nicht wieder in Technik fließt oder zusätzliche Ärzte eingestellt werden? Das Geld muss zweckgebunden sein. Da gibt es gar keine Frage. Da sind die Bundesländer in der Pflicht, um eine Zweckentfremdung der Mittel zu verhindern. Und die Kliniken brauchen die Sicherheit, dass diese Regelung mittelfristig bis langfristig gilt. Ist eine solche Regelung auf wenige Jahre befristet, werden nicht ausreichend Stellen geschaffen.

Es heißt immer wieder, selbst wenn die Kliniken mehr Pflegestellen schaffen, es gebe gar nicht genug Personal auf dem Arbeitsmarkt.

Greß: Diese Argumentation höre ich auch oft. Da greift ein Rädchen ins andere. Einerseits kann eine am Pflegebedarf orientierte Personalausstattung dazu führen, dass die bereits berufstätigen Pflegekräfte entlastet werden. Damit wird es den Pflegenden ermöglicht, länger im Pflegeberuf zu verbleiben als dies in der Vergangenheit der Fall war. Andererseits drückt eine verbesserte Personalausstattung eine erhöhte gesellschaftliche Wertschätzung für die Pflegenden aus. Es ist zu erwarten, dass der Pflegeberuf damit auch für Jugendliche wieder attraktiver wird und Ausbildungs- und Studienplätze im Pflegebereich stärker nachgefragt werden.

Fragen von Jana Bender/November 2014

 

Personalbemessung und Vergütungsstrukturen

Professor Dr. Stefan Greß und Professor Dr. Klaus Stegmüller haben im Auftrag von ver.di internationale Studien unter die Lupe genommen, die sich mit der Wechselwirkung von Personalstärke und Pflegequalität befassen. Die Ergebnisse dieser Studien, die vor allem in den USA erstellt wurden, sind eindeutig: Je mehr Pflegekräfte auf den Stationen arbeiten, desto besser ist die Pflege. Greß und Stegmüller fordern: Der Staat muss per Gesetz vorschreiben, wie viele Pflegekräfte auf Station gebraucht werden – Fachkräfte wie Hilfskräfte. Ohne eine gesetzliche Regelung wird sich am Pflegedilemma auf den Stationen nichts ändern, sind beide überzeugt.

Die Präsentation „Personalbemessung und Vergütungsstrukturen in der stationären Versorgung“. Gutachterliche Stellungnahme für die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) von Professor Stefan Greß und Professor Klaus Stegmüller kann hier heruntergeladen werden.

 

Kontakt

  • Grit Genster

    Be­reichs­lei­te­rin Ge­sund­heits­we­sen/­Ge­sund­heits­po­li­tik

    030/6956-1810