Beschäftigte des AWO-Seniorenzentrums Schwafheim im nordrhein-westfälischen Moers ließen am 12. Mai 2018 schwarze Luftballons in den Himmel steigen. »Schwarze Wolken über der Altenpflege«, so das Motto ihrer Protestaktion zum Tag der Pflegenden. »Wir wollten damit zeigen, was der Altenpflege droht, wenn die Regierung nicht endlich handelt«, erklärt der Betriebsratsvorsitzende Hajo Schneider. Inzwischen rede die Politik zwar öfter über die Pflege, »aber das reale Handeln ist gleich null«. Die im Koalitionsvertrag von Union und SPD versprochenen 8.000 zusätzlichen Stellen für die Altenpflege nennt Schneider »einen Witz«. Im Moerser Seniorenzentrum würde das für jede/n Bewohner/in lediglich eine Minute pro Woche mehr Pflegezeit bedeuten, rechnet er vor. »Solange es keine verbindliche bundesweite Personalbemessung gibt, muss ein Personalschlüssel von einer Pflegekraft auf zwei Bewohner als Sofortmaßnahme gelten – und zwar nicht erst übermorgen, sondern jetzt.« Klotzen, nicht kleckern sei angesagt.
Das war am Tag der Pflegenden auch der Tenor bei Demonstrationen und Aktionen in anderen Städten. So in Kiel, wo rund 300 Beschäftigte in einem Demonstrationszug durch die Stadt zogen. »Der Pflegeberuf muss wieder attraktiver werden, das geht nur durch mehr Personal und eine bessere Bezahlung«, so die Krankenpflegerin Manuela Rasmussen aus dem Städtischen Krankenhaus Kiel. Die Pläne von Deutscher Krankenhausgesellschaft (DKG) und Krankenkassen für Personaluntergrenzen in sechs »pflegesensitiven« Bereichen hält sie für völlig unzureichend. »Wir brauchen Personalvorgaben in allen Bereichen, die sich am Pflegebedarf der Patienten orientieren – damit Pflege endlich wieder Pflege wird.«
Das betont auch ihr Kollege Börge Stange, der auf einer internistischen Station im städtischen Klinikum arbeitet. »Ich muss tagsüber 15 Patienten betreuen, nachts 31 und manchmal mehr, darunter viele demente Menschen – wie soll das gehen?« Der Krankenpfleger fordert deshalb, dass die geplanten Personalvorgaben nicht nur im Monatsdurchschnitt eingehalten werden müssen, wie von DKG und Krankenkassen geplant, sondern in jeder Schicht. Auch sonst müsse sich Grundlegendes ändern: »Reförmchen reichen nicht, das System der Fallpauschalen muss weg, das Gesundheitswesen neu ausgerichtet werden.«
Davon ist auch die Sozialarbeiterin Dorit Hollasky überzeugt, die den ersten »Walk of Care« durch Dresden mit rund 100 Teilnehmer/innen mit organisiert hat. »Im Gesundheitswesen muss es um die bestmögliche Versorgung kranker Menschen gehen – und nicht um schwarze Zahlen und Profite«, so die Sprecherin der ver.di-Betriebsgruppe im Städtischen Klinikum Dresden. Statt in Rüstung solle die Regierung in Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen investieren, was die Demonstranten in der sächsischen Landeshauptstadt mit Sprüchen wie »Geld für Pflegepersonal statt fürs Waffenarsenal« deutlich machten.
Während in Dresden vor allem Beschäftigte aus Krankenhäusern demonstrierten, waren es in Stuttgart in erster Linie Altenpfleger/innen. Sie verteilten in der Innenstadt »Rezepte« mit Medikamenten, die tatsächlich wirken: mehr Personal, bessere Arbeitsbedingungen, Tarifverträge für alle. »Wir haben Rezepte für gute Arbeit und gute Pflege«, heißt es in dem von der ver.di-Gruppe »Altenpflege in Bewegung« und der Arbeitsgemeinschaft der Mitarbeitervertretungen im Diakonischen Werk Württemberg (AGMAV) initiierten Aktionsaufruf. »Diese Rezepte lösen wir ein: bei Arbeitgebern, bei Wohlfahrtsverbänden und bei der Politik.«
In Bayern machten Beschäftigte mit einer Aktionswoche rund um den 12. Mai auf die Überlastung aufmerksam. In Günzburg und Augsburg bastelten sie Pflegekräfte als lebensgroße »Sophie«-Pappfiguren (Druckvorlage und Bastelanleitung im ver.di-Mitgliedernetz). In Ansbach und Aschaffenburg organisierte die Gewerkschaft Pressekonferenzen und Infostände zum Thema. Und an den Helios Amper Kliniken in Dachau ist für Montag (14. Mai 2018, 14 Uhr) eine »aktive Mittagspause« geplant, bei der die Überlastung mit Hilfe der Soll-ist-voll-Aktion sichtbar gemacht wird.
Doch es waren nicht nur Pflegekräfte, die am Tag der Pflegenden auf die Straße gingen. In Kiel beteiligten sich auch Servicebeschäftigte an der Demonstration. Unter ihnen Martina Petersen, die als Reinigungskraft im Kieler Stadtkloster arbeitet. Siebeneinhalb Minuten hat sie für die Reinigung eines Zimmers inklusive Nasszelle. »Ich schaffe meine Arbeit nur im Dauerlauf«, hat die 53-Jährige deshalb auf ein Plakat geschrieben. »Nicht nur Pflegekräfte leiden unter dem Personalmangel, sondern auch Reinigungskräfte, Verwaltungsangestellte, Betreuungsassistenten und andere.«
Gerade in den Servicebereichen ist die Bezahlung oftmals schlecht. Als Betreuungsassistentin bekommt Andrea Rumpfkeil gerade mal den Pflegemindestlohn. Dabei muss sie wegen der Personalnot viele Tätigkeiten ausführen, die eigentlich examinierten Pflegekräften vorbehalten sind, wie Essen anreichen, Unterstützung bei Toilettengängen und beim Umkleiden. Gemessen daran fühlt sich die ehemalige Krankenpflegerin deutlich unterbezahlt. Doch auch die examinierten Pflegekräfte im Kieler Stadtkloster werden schlecht entlohnt. Um 10 bis 20 Prozent liegen ihre Entgelte unter dem Niveau des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TVöD), berichtet ver.di-Sekretär Christian Godau. Die tariflose Einrichtung muss im Juni einen Wohnbereich schließen, weil sie kein Personal findet.
»Die Arbeitgeber jammern über Fachkräftemangel, doch sie selbst haben es in der Hand, den Beruf mit guten Arbeitsbedingungen und angemessenen Löhnen attraktiv zu machen«, betont Godau. ver.di will den Druck auf die Arbeitgeber und die politisch Verantwortlichen deshalb auch in den kommenden Monaten aufrecht erhalten. Nächster Protesttermin: Die Konferenz der Gesundheitsminister am 20. Juni 2018 in Düsseldorf.
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