Am 12. April 2021 ruft ver.di zu einem Aktionstag vor den Krankenhäusern auf. Warum?
Anlass ist die an diesem Tag stattfindende Bundestagsanhörung zum »Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung«. Erneut ist darin nicht vorgesehen, endlich bedarfsgerechte Personalvorgaben für die Kliniken einzuführen. Schon vor über einem Jahr hat ver.di gemeinsam mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft und dem Deutschen Pflegerat im Auftrag der Konzertierten Aktion Pflege die PPR 2.0 vorgelegt – ein Instrument für eine bedarfsorientierte Personalbemessung in der Krankenhauspflege, dessen Machbarkeit erwiesen ist. Jens Spahn (CDU) hatte damals gesagt, die Beschlüsse der Konzertierten Aktion seien »ein Versprechen an alle Pflegekräfte«. Dennoch hat der Bundesgesundheitsminister den Entwurf zur PPR 2.0 über ein Jahr lang liegengelassen und jetzt erklärt, dass er vor 2025 keine Interimslösung für eine Personalbemessung will. Wir machen dafür Druck, dass deren Einführung noch vor der Bundestagswahl beschlossen wird. Spahn darf die Beschäftigten und die Patient*innen nicht länger im Stich lassen. Seinen Versprechungen müssen endlich die nötigen Taten folgen.
Immerhin hat die Bundesregierung die Pflegepersonalkosten aus den Fallpauschalen (Diagnosis Related Groups, DRG) herausgenommen.
Das stimmt, und das ist eine wichtige finanzielle Voraussetzung dafür, dass mehr Pflegepersonal in die Krankenhäuser kommen kann. Damit aber zum Beispiel Pflegekräfte, die wegen der Arbeitssituation den Beruf verlassen haben, wieder zurückkommen, braucht es vor allem verbindliche Personalvorgaben, die sich nach dem tatsächlichen Versorgungsbedarf richten. Die bislang in einigen Bereichen bestehenden Pflegepersonaluntergrenzen werden dem überhaupt nicht gerecht. Die Herausnahme der Pflegepersonalkosten aus den Fallpauschalen ist ein erster richtiger Schritt. Ihm müssen weitere folgen, denn das DRG-System erzeugt etliche Fehlanreize, die einer guten Krankenversorgung entgegenstehen.
Einige Akteure, wie der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen, argumentieren in die Richtung, sogenannte Pflege-DRGs einzuführen. Wäre das eine Möglichkeit, Pflegeleistungen im Krankenhaus stärker sichtbar zu machen? Bei den bisherigen Fallpauschalen geht es ja in der Regel nur um ärztliche Diagnosen und Leistungen.
Ganz im Gegenteil. Fallpauschalen sind nicht dafür da, den tatsächlichen Aufwand von Leistungen zu berechnen. Vielmehr sind sie ein Instrument, den Kostensenkungswettbewerb beim Personal über finanzielle »Benchmarks« zu organisieren.
Wie funktioniert das genau?
Bei Fallpauschalen wird nicht festgestellt, welcher Aufwand zur Erbringung der jeweiligen Leistung nötig ist und wie dieser vergütet werden muss. Stattdessen werden die durchschnittlichen Ist-Kosten der Krankenhäuser abgebildet – unabhängig davon, ob sie mit einer bedarfsgerechten Personalbesetzung arbeiten oder nicht. So wird die jeweilige Leistung mit einem »Preisschild« versehen. Für die Kliniken entsteht dadurch der Anreiz, mit ihren Kosten unterhalb des Preises zu bleiben, damit sie mit dem betreffenden Fall Gewinn erwirtschaften und keinen Verlust einfahren. Es geht also um Rentabilität, nicht um Pflegequalität. Und unter hohem Kostendruck wird ein finanzieller Anreiz zum Zwang. Das Ziel dabei wird von Befürworter*innen dieses Systems ganz offen formuliert: Die Kosten sollen sinken. Pflege-DRGs würden also nicht die Pflegeleistungen besser sichtbar machen, sondern den Kostendruck speziell auf die Pflege lenken.
Im Vergleich dazu: Wie funktionieren Systeme zur Personalbemessung?
Bei diesen wird zunächst der pflegerische Behandlungsbedarf der Patient*innen festgestellt, die im zweiten Schritt einer bestimmten Pflegebedarfsgruppe zugeordnet werden. Diese wiederum werden mit Zeiteinheiten hinterlegt, aus denen hervorgeht, wie viel pflegerische Zuwendung die Patient*innen brauchen, also wie viel Zeit die Pflegekräfte für ihre Arbeit bekommen. Das kann dann in die Zahl notwendiger Pflegestellen umgerechnet werden. Ausgangspunkt sind also die Bedarfe, nicht die Kosten.
Im bisherigen DRG-System haben die Krankenhäuser neben der Kostensenkung noch eine andere Möglichkeit: Sie können die Zahl der Fälle steigern, um ihre Einnahmen zu erhöhen.
So dürften Fallpauschalen auch in der Pflege wirken. Die Kliniken würden versuchen, möglichst viele und möglichst teure Pflegeleistungen abzurechnen. Das könnte dazu führen, dass pflegerische Tätigkeiten in zahlreiche »Pflege-Produkt-Pakete« aufgeteilt werden. Doch professionelle Pflege ist mehr als die Aneinanderreihung einzelner Tätigkeiten. Sie ist auch Beziehungsarbeit. Um eine hohe Versorgungsqualität zu erreichen, ist eine auf das Individuum abgestimmte, ganzheitliche Pflege nötig, über die die Pflegefachkräfte entscheiden müssen und die nicht von Erlösrelevanz einzelner Leistungen abhängen darf. Schon jetzt besteht die Tendenz, den Pflegeprozess immer weiter aufzuspalten. Und zwar aus finanziellen Gründen, da auf diese Weise vermehrt geringer qualifizierte Beschäftigte zum Einsatz kommen. Angesichts der immer komplexer und anspruchsvoller werdenden Aufgaben in der Krankenhauspflege bräuchte es aber mehr, nicht weniger qualifizierte Pflegepersonen. Mit Pflege-DRGs könnte sich diese problematische Tendenz noch verstärken. Das Wesen der Pflegeberufe – die individuelle Unterstützung und Stärkung der Ressourcen von Patientinnen und Patienten – ginge dadurch verloren, was sie neben der Arbeitsbelastung zusätzlich unattraktiver machen würde. Nötig ist angesichts des hohen Arbeitskräftebedarfs das genaue Gegenteil.
Wie sollten Pflegeleistungen stattdessen finanziert werden?
Im Moment gilt in der Krankenhauspflege faktisch wieder das Kostendeckungsprinzip: Die tatsächlichen Ausgaben werden vollständig refinanziert. Das ist auch absolut richtig. Es läuft aber ins Leere, wenn neue Pflegekräfte zwar finanziert werden, wegen unattraktiver Arbeitsbedingungen aber nicht kommen. Problematisch ist zudem, dass sich – solange nur das Pflegepersonal aus den Fallpauschalen ausgenommen ist – der Kostendruck in den Kliniken auf andere Bereiche und Berufsgruppen verlagert und Aufgaben aus dem Servicebereich auf Pflegekräfte übertragen werden. Konsequenz muss sein, das DRG-System insgesamt abzuschaffen und durch eine bedarfsgerechte Finanzierung der Krankenhäuser zu ersetzen.
Bereichsleiterin Gesundheitswesen/Gesundheitspolitik
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