Nicht nur Brot, sondern auch die Rosen

Zum Frauentag demonstrieren 55 Gesundheitsbeschäftigte stellvertretend für 43.000 Kolleginnen und Kollegen in Mainz für eine angemessene Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen.
09.03.2021
55 Beschäftigte protestieren zum Frauentag am Mainzer Rheinufer, stellvertretend für 43.000 Kolleg*innen.

»Hier demonstriert der Pflegeaufstand Rheinland-Pfalz«, verkündete die Fachkinderkrankenschwester Julia Stange am Montag (8. März 2021) am Rheinufer. In einer langen Schlange waren zuvor genau 55 Beschäftigte durch Mainz gezogen. Stellvertretend für 43.000 Kolleginnen und Kollegen aus 55 rheinland-pfälzischen Gesundheitseinrichtungen trugen sie den Protest für bessere Arbeitsbedingungen in die Landeshauptstadt. Dort konfrontierten sie Vertreter*innen der Landtagsparteien SPD, CDU, Grüne und FDP mit ihren Forderungen für grundlegende Verbesserungen im Gesundheitswesen. »Wir taugen nicht als Beiwerk zum Landtagswahlkampf«, stellte Stange klar, die auf der perinatologischen Intensivstation der Universitätsmedizin Mainz arbeitet. »Auf die wohlklingenden Wahlkampfslogans müssen echte Taten folgen.«

Konkret fordert das Bündnis unter anderem, dass sich die künftige Landesregierung für die Abschaffung der Fallpauschalen (Diagnosis Related Groups, DRG) in der Krankenhausfinanzierung einsetzt. Stange verwies auf die Entwicklungen in der Geburtshilfe, die durch das DRG-System »zugrundegerichtet« werde. Der Abbau von Kapazitäten und die »unerträglichen Arbeitsbedingungen« in den Kreißsälen beschnitten das Selbstbestimmungsrecht von Frauen bei der Geburt ihrer Kinder. Frauen seien es auch, die über 75 Prozent der Beschäftigten in der Pflege ausmachten. »Wir fordern nicht nur Brot, sondern auch die Rosen«, so die Fachpflegerin bei der Protestaktion am Internationalen Frauentag. »Wir streiten nicht nur für einen guten Lohn, sondern auch für menschenwürdige Arbeits- und Lebensbedingungen.«

 
Die Delegierten der Gesundheitsbeschäftigten aus ganz Rheinland-Pfalz demonstrieren am 8. März 2021 durch Mainz.

Unwürdige Zustände in der Altenpflege

Die Corona-Pandemie habe ans Licht geholt, »was seit Jahrzehnten falsch läuft«, erklärte die Gesundheits- und Krankenpflegerin Ina Schehl, die in der Gerontopsychiatrie des Pfalzklinikums Klingenmünster arbeitet. Aufgrund der schlechten Bedingungen fänden sich immer weniger qualifizierte Menschen, die in den Pflegeberufen arbeiten wollten. Wegen der Personalnot müsse man allzu oft bei der Patientenversorgung Abstriche machen. »Das ist extrem unbefriedigend.« Angesichts der Situation dürften die politischen Entscheidungsträger keine Zeit mehr verlieren. So müsse vor allem in der Altenpflege die Bezahlung sofort flächendeckend angehoben werden. »Die alten Menschen, die dieses Land aufgebaut haben, haben etwas Besseres verdient als nachts mit 60 Bewohnern von nur einer Pflegekraft versorgt zu werden – das ist unwürdig«, kritisierte Schehl. Höhere Gehälter seien eine Voraussetzung dafür, dass sich das ändert.

Das meinten auch viele andere Teilnehmer*innen der Aktion – und zeigten sich entsprechend empört über die Entscheidung der Arbeitsrechtlichen Kommissionen von Caritas und Diakonie, die Allgemeinverbindlichkeit des von ver.di ausgehandelten Tarifvertrags für die Altenpflege nicht zu unterstützen. »Das ist ein herber Rückschlag und eine große Enttäuschung«, sagte Marc Zimmermann, der in einer Pflegeeinrichtung des diakonischen Trägers Mission Leben in Alzey arbeitet. Insbesondere bei kommerziellen Betreibern werde es den Beschäftigten extrem schwer gemacht, ihre Interessen zu vertreten. »Da kommen wir nur raus mit einem einheitlichen Tarifvertrag für die Altenpflege«, ist der Fachpfleger überzeugt. Dass die kirchlichen Wohlfahrtsverbände diesen Weg blockiert haben, sei »eine Katastrophe«.

Das meint auch der Altenpfleger Ewald Heimann, der bei der Caritas in Ludwigshafen arbeitet und im dortigen »Pflegestammtisch« aktiv ist. »Der allgemeinverbindliche Tarifvertrag wäre der erste Schritt. Diesen abzulehnen ist ein ganz falsches Signal.« Der »Dritte Weg« kircheninterner Lohnfindung – den die Arbeitsrechtliche Kommission der Caritas durch den flächendeckenden Tarifvertrag infrage gestellt sah – habe sich nicht bewährt. »Man muss sich selbst organisieren, sonst ist man nur Bittsteller«, so Heimanns Schlussfolgerung. Ein besonderes Anliegen ist es ihm, dass nachts keine Fachkraft mehr allein im Wohnbereich arbeiten muss. »Das ist unverantwortlich und gefährlich«, betonte er.

 

Politik ist am Zug

»Wir hoffen sehr, dass es bei den politisch Verantwortlichen ein Umdenken gibt, deshalb haben wir unsere Forderungen kurz vor der Landtagswahl nach Mainz getragen«, sagte Frank Hutmacher, der bei ver.di in Rheinland-Pfalz und im Saarland für das Gesundheitswesen zuständig ist. Das Land habe viele Möglichkeiten, in den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen für bessere Bedingungen zu sorgen. »Zum Beispiel könnte es im Krankenhausplan Qualitätskriterien wie personelle Mindestbesetzungen festschreiben. Oder mit einem Tariftreuegesetz in der Altenpflege für tarifliche Bezahlung sorgen«, erläuterte der Gewerkschafter.

»Zudem fordern wir, dass das Land die Investitionen der Krankenhäuser endlich vollständig refinanziert. Insgesamt brauchen wir eine Abkehr von der betriebswirtschaftlichen Logik, das Gesundheitswesen muss stattdessen am Bedarf ausgerichtet werden.« Hutmacher verwies darauf, dass zum Jahresende mit dem Klinikum Ingelheim ein weiteres Krankenhaus der Grundversorgung aus finanziellen Gründen schließen musste. »Gerade in einem Flächenland wie Rheinland-Pfalz brauchen wir eine wohnortnahe und bedarfsgerechte Versorgung«, forderte der Gewerkschafter. »Dafür muss sich die künftige Landesregierung entschieden einsetzen.«

 

»Wir haben immer wieder deutlich gemacht, wo es klemmt, es muss jetzt was passieren.«

Dagmar Merz, Gesundheits- und Krankenpflegerin

Auch aus Sicht von Dagmar Merz ist die Politik am Zug. »Wir haben immer wieder deutlich gemacht, wo es klemmt, es muss jetzt was passieren«, forderte die Gesundheits- und Krankenpflegerin. »Sonst wird die Abstimmung mit den Füßen weitergehen und noch mehr Menschen gehen aus dem Beruf.« Sie und ihre Kolleg*innen an der Universitätsmedizin Mainz haben gezeigt, dass sie etwas bewegen können: 2019 erreichten sie einen Tarifvertrag für mehr Personal und Entlastung, der feste Sollbesetzungen in den Stationen und Bereichen beinhaltet. «Das kann ein Vorbild für andere sein, um bedarfsgerechte Pflege zu ermöglichen«, meinte Merz. Zugleich betonte sie, dass sich auch auf gesetzlicher Ebene Grundlegendes ändern müsse. »Das Gesundheitswesen dient der Daseinsvorsorge – nicht der Erzielung von Gewinnen.«

Dafür wollen die im »Pflegeaufstand« aktiven Kolleg*innen auch nach der Wahl weiter Druck machen. Für den 11. September 2021 plant das Bündnis eine Großdemonstration in Mainz. Dann wird es den Belegschaften hoffentlich wieder möglich sein, nicht mehr nur Delegierte in die Landeshauptstadt zu schicken.

 

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