Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
„Aufstehn für die Pflege“ – unter diesem Motto bündeln wir von ver.di die Forderungen für eine starke, selbstbewusste Pflege, also mehr Personal per Gesetz, bessere Bezahlung, gute Arbeitsbedingungen und gute Ausbildung.
Wir wissen, wo der Schuh drückt und was wir verändern müssen. Im Interesse der Pflegekräfte und für eine gute und sichere Versorgung der Bevölkerung. Beide Aspekte sind uns wichtig. Vor diesem Hintergrund klopfen wir ab, welche Verbesserungen mit einer Pflegekammer erreicht werden könnten: für die Pflegekräfte, für die Aufwertung der Pflegeberufe und für eine bessere Versorgung.
Was also ist dran am Mythos Pflegekammer? Bringt sie die Lösung für die Pflege? Im Fokus der Pflegekammern steht die sichere Qualität der Versorgung der Menschen. Es geht also, wie es der DBfK in seinem Flyer so treffend auf den Punkt bringt, um die Interessen der Bürgerinnen und Bürger. Übrigens, was die Rolle und Aufgaben der Gewerkschaft angeht, gibt es im Flyer des DBfK noch erhebliche Wissenslücken. Zurück zur Sicht der Bürgerinnen und Bürger. Hier ist die entscheidende Frage, wie sie im „Pflegereport 2016“ gestellt wird: „Gibt es Defizite bei der beruflichen Regulierung und Aufsicht, die die Versorgungsqualität mindern und die Patienten unzureichend vor schlechter Pflege schützen? Und wenn ja, wie kann diesem Problem begegnet werden?“
Die Pflegekammern wollen durch Berufsordnungen und der Überwachung der Berufspflichten vor unsachgemäßer Pflege schützen. Verstöße sollen sanktioniert werden. Es gibt bereits Berufsordnungen in Hamburg, Bremen, Saarland und in Sachsen. Da steht zum Beispiel drin – ich zitiere aus der Berufsordnung des Saarlands: „Pflegefachkräfte sind verpflichtet, ihren Beruf entsprechend dem allgemein anerkannten Stand pflegewissenschaftlicher, medizinischer und weiterer bezugswissenschaftlicher Erkenntnisse auszuüben.“ Ein richtiges Ziel. Aber wie soll das gehen? Wenn ich als Krankenpflegerin in einem Krankenhaus arbeite, bei dem es hinten und vorne an Personal fehlt? Eine Berufsordnung verpflichtet abhängig Beschäftigte, ohne ihnen Mittel und Kompetenzen an die Hand zu geben, die Rahmenbedingungen zu beeinflussen oder gar zu ändern. Sie erhöht damit den Druck auf die Pflegekräfte, statt sie zu entlasten und die Verantwortung dahin zu geben, wo sie hingehört: Zu den Arbeitgebern und der Politik.
Das zeigt sich auch bei der Weiter- und Fortbildung. Lebenslanges Lernen und Qualifizierung sind wichtig, gerade in den Gesundheitsberufen. Fortbildung darf aber nicht alleine in der Verantwortung der Beschäftigten liegen. Arbeitgeber müssen Freiräume dafür schaffen und die Finanzierung sicherstellen. Das müssen sie schon deshalb, weil Pflegekräfte überwiegend abhängig Beschäftigte sind – und eben nicht selbstständig. Die Berufsordnung aber nimmt nur Pflegekräfte in die Pflicht. Und dann wollen Pflegekammern mehr Einfluss auf die Gesetzgeber nehmen.
Fakt ist, Pflegekammern können auch nicht mehr Einfluss nehmen als schon jetzt Gewerkschaften. Und wir haben die zentralen Probleme in der Pflege längst erkannt und angepackt. Durch betriebliche Aktionen und Mobilisierung haben wir viel erreicht. Keiner kommt mehr daran vorbei, dass wir mehr Personal brauchen und bessere Arbeitsbedingungen. Auch der Gesetzgeber weiß das längst. Er muss endlich handeln und darf sich nicht aus der Verantwortung stehlen. ver.di bleibt weiter dran.
Wenn die Pflegekammer dies alles nicht leisten kann, was kann sie überhaupt? Viele erhoffen sich durch sie eine bessere Bezahlung und gute Arbeitsbedingungen. Mehr Geld für die Pflegekräfte wird es durch die Pflegekammer aber nicht geben. Das können nur wir! Die Verhandlung von Tarifen bleibt Aufgabe der Tarifparteien: der Arbeitgeber und ver.di. Eine der Verantwortung angemessene Bezahlung kann es nur mit guten Tarifverträgen geben. Ich komme direkt aus Potsdam von den Tarifverhandlungen, wir verhandeln über die Bezahlung im öffentlichen Dienst, auch über eine neue Entgeltordnung für die Gesundheitsberufe.
Das Tarifprojekt „Entlastung“ ist in Vorbereitung. Ich sag es ganz offen: Tariffragen sind Machtfragen. Die werden notfalls auf der Straße entschieden, mit Sicherheit nicht in den Pflegekammern.
Was wir auch in dieser Tarifrunde immer wieder merken: Wir brauchen die Solidarität und das gute Miteinander zwischen den Berufsgruppen.
Auch die Arbeitsbedingungen können nur durch Politik oder Tarifverträge verbessert werden. Pflege ist ein wunderbarer Beruf, wenn die Arbeitsbedingungen stimmen. Hier liegt vieles im Argen. Wer wählt schon einen Beruf, der die Beschäftigten selbst krank macht, weil es zu wenig Personal und zu wenig Zeit gibt, um das zu tun, was gute Pflege ausmacht?
Der Schlüssel für eine Aufwertung der Pflegeberufe liegt in wirkungsvollen Maßnahmen, wie gesetzlichen Vorgaben für mehr Personal, um die Pflegekräfte zu entlasten. Pflege verdient Anerkennung und Respekt – und zwar im Alltag und nicht nur in Sonntagsreden. Und genau deshalb werden wir auch den Gesetzgeber nicht aus der Verantwortung lassen.
Wir nehmen wahr, dass in der Berufsgruppe die Haltung zur Pflegekammer durchaus ambivalent ist. Viele wollen eine Pflegekammer, weil sie sich eine Aufwertung erhoffen und die Lösung ihrer Probleme. Aber wollen sie eine Pflichtmitgliedschaft? Wollen sie verpflichtet werden, Beiträge zu einer Pflegekammer zahlen? Wie hoch wird der Beitrag sein? Die bisherigen Befragungen zeigen die Widersprüche.
Ich verstehe die Enttäuschung des DBfK, der mehr als 100 Jahre lang versucht hat, ich zitiere, „auf Basis einer freiwilligen Mitgliedschaft den beruflich Pflegenden in Deutschland politisch und gesellschaftlich Gehör und Einfluss zu verschaffen“, was ihm offensichtlich nicht gelungen ist. Aber müssen wir deshalb die Pflegekräfte zwangsbeglücken? Gewerkschaften in der ehemaligen DDR kennen die Zwangsmitgliedschaft. Für uns ist das indiskutabel. Es muss eine freie Entscheidung bleiben, wo ich mich organisiere.Wir setzen auf Überzeugung, auf die Emanzipation erwachsener Menschen. Für ver.di entscheiden sich die Mitglieder freiwillig. Und es werden im Gesundheitswesen immer mehr.
Worüber wir eigentlich diskutieren müssten, ist doch: Wie wird die Pflege selbstbewusst und stark? Wie verschaffen sich die Pflegeberufe Respekt und erhalten die Anerkennung, die ihnen zusteht? Es wird doch niemand ernsthaft glauben, dass Pflegekräfte allein durch eine Pflegekammer auf Augenhöhe mit den Ärztinnen und Ärzten kommen werden.
Denn Respekt verschafft man sich nicht durch mehr Bürokratie, Respekt verschaffen wir uns durch eine starke, selbstbewusste Bewegung.
Bereichsleiterin Berufspolitik/Jugend
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