Die Landespflegekammer Rheinland-Pfalz hat eine Berufsordnung, die allein Vorgaben für Pflegekräfte enthält. Die Mehrheit in der Vertreterversammlung jubelte, aber viele der angestellten Pflegekräfte im Land stellen kritische Fragen und bezweifeln, dass diese Berufsordnung ein Fortschritt sei.
ver.di hat sowohl in der Vertreterversammlung als auch außerhalb bei der Erarbeitung mitdiskutiert und Vorschläge unterbreitet. Schließlich gab es eine neunseitige Stellungnahme zur Position der Gewerkschaft.
ver.di verlangt eine Neufassung unter Einbeziehung möglichst vieler Pflegekräfte im Land. Wir fragten unsere Kollegin Silke Präfke. Die Personalrätin ist Präsidentin des ver.di-Pflegebeirates in Rheinland-Pfalz-Saarland und für ver.di in der Vertreterversammlung der Landespflegekammer. Ein Interview mit Silke Präfke.
Muss ver.di an allem rumnörgeln? Hast du Deine Meinung nicht in der Vertreterversammlung eingebracht?
Natürlich habe ich als gewähltes Mitglied der Vertreterversammlung an der Erarbeitung der Berufsordnung mitgearbeitet. Leider wurden die meisten Vorschläge nicht berücksichtigt. Wir haben unsere Bedenken immer wieder vorgebracht. Für uns stehen die Interessen der angestellten Pflegekräfte im Vordergrund – und die allermeisten Pflegekräfte sind abhängig Beschäftigte. Ihre Interessen werden in der vorliegenden Berufsordnung nicht richtig abgebildet. Leider stellen die ver.di-Mitglieder in der Vertreterversammlung eine Minderheit, weshalb wir in der Regel überstimmt werden. Unser Ziel sollte es sein, bei der nächsten Wahl mehr Mitglieder in das Gremium zu bekommen – dann können wir mehr Einfluss nehmen.
Also, war deine Arbeit umsonst?
Das möchte ich nicht sagen. Es gibt durchaus auch leichte Veränderungen, die aufgrund unserer Kritik dann auch vorgenommen wurden. So sollten ursprünglich die Pflegekräfte ein „Gelöbnis“ ablegen, jetzt wurde daraus ein freiwilliges „feierliches Versprechen“. Als dann die Vertreterversammlung dies Anfang des Jahres laut aufsagte, haben wir uns daran nicht beteiligt. Die Pflegekräfte sollen zum Beispiel versprechen: „In allen Situationen werde ich die Ehre und das Ansehen des Berufsstandes wahren.“ Was soll das heißen? Wenn ich öffentlich auf die schlechten Bedingungen in der Pflege hinweise, schade ich dann der Ehre und dem Ansehen des Berufes? Theoretisch könnte die Pflegekammer Whistleblowing bestrafen. Oder wenn jemand ein Tattoo hat – schadet das womöglich dem Berufsstand? Das ist nirgendwo definiert und auch die Konsequenzen sind nicht festgelegt.
Welche Aspekte hältst du außerdem für problematisch?
Uns werden etliche Pflichten auferlegt, zum Beispiel die vollständige und fälschungssichere Dokumentation des Pflegeprozesses oder die sichere Verwahrung erhobener Daten. Als angestellte Pflegekraft habe ich darauf aber nur sehr begrenzten Einfluss. Gleiches gilt für die Qualitätssicherung. Das Grundproblem ist: Die Berufsordnung kann keinerlei Einfluss auf das Handeln der Arbeitgeber nehmen. Hier müsste zunächst die gesetzliche Grundlage geändert werden. Wenn die Pflegekammer die Arbeitgeber zur Schaffung entsprechender Rahmenbedingungen verpflichten könnte, würden all diese Vorgaben Sinn machen. So üben sie lediglich zusätzlichen Druck auf die beruflich Pflegenden aus, ohne deren Situation zu verbessern.
Betrifft das auch die Frage der Fortbildungen?
Ja. Es ist gut und richtig, dass sich Pflegekräfte kontinuierlich fortbilden sollten. Aber die Berufsordnung bürdet das allein den Pflegekräften auf. Sie kann aber die Arbeitgeber nicht in die Pflicht nehmen, ihre Beschäftigten für Fortbildungen freizustellen und diese zu bezahlen. Ein weiteres Problem ist die sogenannte Anzeigepflicht. Wenn ich an der Fachkompetenz oder am Gesundheitszustand eines Kollegen zweifle, müsste ich ihn anzeigen. Was mache ich, wenn sich Leute aus meinem Team die Hände nicht entsprechend der WHO-Vorgaben desinfizieren, weil ihnen die Zeit fehlt? Muss ich die dann anzeigen? Womöglich handelt es sich gar nicht um individuelles Fehlverhalten, sondern um Organisationsversagen. Aber auch hier: Den Arbeitgeber, der für die Organisation verantwortlich ist, kann ich bei der Pflegekammer nicht anzeigen.
Wie müsste eine Berufsordnung stattdessen aussehen?
Zunächst müsste wie gesagt die gesetzliche Grundlage, unter anderem das Heilberufegesetz, dahingehend geändert werden, dass der Arbeitgeber zur Schaffung guter Rahmenbedingungen verpflichtet werden kann. Die im Entwurf formulierten Anforderungen sind ja alle richtig. Ich bin auch für Qualitätssicherung, gute Dokumentation und kontinuierliche Fortbildung. Aber die Arbeitgeber müssten mit in die Pflicht genommen werden. Zum Beispiel könnten sie dazu verpflichtet werden, jedem Kammermitglied fünf Tage Fortbildung im Jahr zu gewähren. Das würde tatsächlich helfen.
Der Kammerpräsident Dr. Markus Mai meinte das Besondere an der Berufsordnung sei, dass Pflegefachpersonen ihr Berufsbild selbst definieren. Ist dem so?
Wir waren ja nicht frei in unserer Erarbeitung. Wir mussten uns im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben bewegen. So hatten wir uns erhofft mit der Berufsordnung mit den „vorbehaltenen Tätigkeiten“ mehr Kompetenzen zu erhalten. Im Ergebnis wurde jetzt einfach das Pflegeberufegesetz abgeschrieben. Das machen auch die Bundesländer, die keine Kammer haben. Wir haben im März auf unserer Pflegekonferenz in Kaiserslautern sehr deutlich unsere Forderung formuliert, dass vorbehaltene Tätigkeiten der Pflegefachkräfte nicht nur für die Planung und Evaluation pflegerischer Maßnahmen gelten dürfen, sondern auch für die Durchführung der Pflege selbst. Unsere Berufsordnung sollte sich für einen ganzheitlichen Pflegeprozess, in welchem sich die Qualität auch am individuell erfüllten Bedarf der Patientinnen und Patienten bzw. pflegebedürftigen Menschen orientiert, aussprechen. Um dies zu erreichen, muss auf eine Nachbesserung des Pflegeberufegesetzes gedrängt werden.
Und nun bitte kurz und klar, warum habt ihr der Berufsordnung letztlich dann nicht zugestimmt?
Wir von ver.di haben dieser Berufsordnung nicht zugestimmt, weil wir eine Überwachung und Sanktionierung der Pflegekräfte befürchten, die sich tagtäglich unter widrigen Bedingungen um gute Pflege bemühen. Diese Berufsordnung verpflichtet abhängig Beschäftigte, ohne ihnen jedoch Mittel und Kompetenzen an die Hand zu geben, die Rahmenbedingungen zu verbessern. Damit wird der Druck auf die Pflegekräfte sogar noch erhöht, statt sie zu entlasten und die Verantwortung dahin zu geben, wo sie hingehört: Zu den Arbeitgebern und der Politik. Wir wollen zum Beispiel, dass die Kammer einen Vorschlag für ein Gesetz erarbeitet, das jedes Jahr eine Woche Freistellung für selbstbestimmte, unabhängige und kompetenzerhaltene Maßnahmen gewährt. Diese Woche ist von den Arbeitgebern zu finanzieren. Und wir wollen eine neue Berufsordnung erarbeiten, sicherlich demokratischer und transparenter.
Ihr habt euch also viel vorgenommen?
Pflege braucht Veränderung und keine Bevormundung. Dabei kann auch die Kammer eine nicht unwichtige Rolle spielen. Deswegen muss mehr die Sicht der abhängig Beschäftigten ins Zentrum gerückt werden. Um das zu können, müssen wir stärker werden. Deswegen werbe ich für die Stimmabgabe für die ver.di Liste. Machen wir die Kammer zu einem Instrument des Pflegeaufstandes.
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