Das Thema Pflegekammer bestimmt in regelmäßigen Abständen die öffentliche Debatte. Innerhalb der Gewerkschaft ver.di ist eine umfassende Auseinandersetzung und Willensbildung zum Thema Pflegekammern erfolgt.
Befürworter/innen der Pflegekammern sehen eins der grundsätzlichen Ziele darin, eine sachgerechte professionelle Pflege sicherzustellen. Es ist eine wichtige Aufgabe, pflegebedürftige Menschen vor schlechter oder unsachgemäßer Pflege zu schützen. Doch Pflegekammern könnten das nicht besser regeln als die staatlichen Stellen, die derzeit dafür eingesetzt sind.
Es mangelt nicht an wissenschaftlichen Erkenntnissen in der Pflegewissenschaft, sondern an der Möglichkeit, diese aufgrund der Rahmenbedingungen in der Praxis adäquat umzusetzen. Auf diese Rahmenbedingungen, die Finanzierung, Qualifikation und Qualitätssicherung garantieren, könnte eine Pflegekammer lediglich in derselben Form Einfluss nehmen wie es derzeit bereits durch die Berufsverbände und Gewerkschaften erfolgt.
Die korrekte Berufsausübung bedarf der gesellschaftlichen Kontrolle und unabhängiger Gerichte, die die Einhaltung von Gesetzen und Vorschriften zu überwachen haben. Das Disziplinarrecht dem Berufsstand zu überlassen, würde als Instrument der Qualitätssicherung nur eine geringe Wirkung entfalten. Das Beispiel der Ärzteschaft zeigt, dass es in der Regel den ordentlichen Gerichten überlassen bleibt, Betroffenen zu ihrem Recht zu verhelfen und auch die Gesellschaft vor unzuverlässigen Berufsangehörigen zu schützen.
Eine gute Ausbildung, Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten sind für eine qualitativ hochwertige Pflege unerlässlich. Da unzureichende Qualifikationen Gefahren in der gesundheitlichen Versorgung zur Folgen haben könnten, ist dem Bund das Recht zugewiesen, die Zulassung zu ärztlichen und anderen Heilberufen zu regeln.
Dies gilt auch für die Rahmbedingungen der Ausbildungsgänge. Bei den Weiterbildungsabschlüssen der Pflegeberufe gibt es in den meisten Bundesländern staatliche Regelungen. Aufgrund des gesamtgesellschaftlichen Interesses an einer guten Versorgungsqualität sollte die Regelung von Aus- und Weiterbildung staatliche Aufgabe bleiben und nicht in den Regelungsbereich einer Kammer übergehen.
Der Großteil der in der Pflege Beschäftigten ist im Angestelltenverhältnis beschäftigt. Die Einführung von Punkteregelungen durch eine Kammer, analog der Ärztekammer, ist daher nicht notwendig. Entscheidend ist vielmehr, die Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass die Teilnahme an Fortbildungen möglich ist und durch den Arbeitgeber finanziert wird. Eine weitere finanzielle Belastung von Pflegenden durch Zwangsfortbildungen lehnt ver.di hingegen ab.
Gute Pflege bestimmt sich vor allem durch die Qualität der Arbeit. Gut qualifizierte Pflegekräfte und humane Arbeitsbedingungen sind die Voraussetzungen für eine gute Qualität der Versorgung und damit auch der Lebensqualität der pflegebedürftigen Menschen.
Um bessere Arbeitsbedingungen zu erreichen, sind ein verbindliches Personalbemessungsverfahren und eine entsprechende Finanzierung des erforderlichen Personals notwendig. Diese Rahmenbedingungen zu schaffen, liegt in der Verantwortung des Gesetzgebers. Eine Pflegekammer hätte hierauf kaum Einfluss.
Eine bessere Bezahlung kann eine Pflegekammer nicht durchsetzen. Die Tarifautonomie liegt in Händen der Sozialpartner – also Gewerkschaften und Arbeitgeber – und würde durch die Einführung einer Pflegekammer nicht berührt. Tarifverträge ermöglichen gute Verdienstmöglichkeiten, wie eine aktuelle Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung aufzeigt. In Betrieben, für die ein Tarifvertrag gilt, liegt das Monatseinkommen der Beschäftigten in Pflegeberufen durchschnittlich 19 Prozent über dem Gehalt ihrer Kolleginnen und Kollegen in nicht tarifgebundenen Betrieben. Das sind fast 480 Euro. Die letzte Tarifrunde zum öffentlichen Dienst brachte eine Steigerung der Löhne und Gehälter um insgesamt 6,3 Prozent und liegt damit deutlich über den Ergebnissen der letzten Abschlüsse.
Dies ist der guten Streikbereitschaft der Kolleginnen und Kollegen zu verdanken, die nicht nur Mitglied sind, sondern bereit sind, sich für ihre Rechte einzusetzen. Durch eine Pflichtmitgliedschaft, wie sie durch die Pflegekammer entstehenwürde, entwickelt sich noch keine persönliche Bereitschaft zum Engagement.
Kammern tragen nicht zum Ansehen eines Berufs bei. Ärztinnen und Ärzte verdanken ihr hohes Ansehen nicht ihren Kammern. Weil Ärztinnen und Ärzten aus verschiedenen Gründen ein hohes Ansehen genießen, werden die Äußerungen der Ärztekammern in der Öffentlichkeit entsprechend wahrgenommen. So zeigt das Beispiel der Psychotherapeutenkammer, die 1999 etabliert wurde, dass auch über zehn Jahre nach Einführung der Kammer diese in der politischen Debatte ihre Position vertreten kann, jedoch in der Interessenvertretung nur wenig an Einfluss gewonnen hat. Eine Kammer vermag die großen Probleme ihres Berufsstandes nicht unbedingt zu lösen.
Die Pflegeberufe erhalten nicht zwangsläufig mehr Schlagkraft und Gewicht durch eine Pflegekammer. Das ist einerseits in der Struktur des Kammerrechts begründet, das durch Landesrecht geregelt ist. Es würde also mindestens 16 verschiedene Regelungen geben. Andererseits ist kaum davon auszugehen, dass alle Berufsangehörigen sich in der politischen Positionierung der Kammer(-mehrheit) wieder finden. In den jeweiligen Kammern dürften sich die Interessenslagen der jetzt existierenden Verbände widerspiegeln. Obwohl ver.di seit vielen Jahren die mit Abstand größte Gruppe der organisierten Pflegekräfte stellt und gute Chancen hat, bei Kammerwahlen Mehrheiten zu erreichen, sprechen wir uns nicht für eine Zwangsverkammerung aus.
Wir gehen davon aus, dass die entstehenden Kosten in keinem Verhältnis zum möglich erreichbaren Nutzen stehen. Die Kammer als Dachverband der Berufsverbände mit Zwangsmitgliedschaft hätte für diese den Vorteil, dass die Finanzierung der beruflichen Interessenvertretung finanziell abgesichert wäre. Zurzeit finanzieren sich Berufsverbände und Gewerkschaften über freiwillige Mitgliedschaft und haben nur einen finanziellen Spielraum in dem Maße wie Mitglieder gewonnen werden können.
Die Aufgaben, die Pflegekammern zugedacht sind, können bereits heute durch die entsprechenden Organisationen wie Gewerkschaften, staatliche Behörden und Berufsverbände erfüllt werden. Eine Aufwertung der Pflegeberufe ist möglich, dazu bedarf es jedoch keiner Kammern. Das Ansehen eines Berufsstandes ist eng an die Vergütungsmöglichkeiten und an die Arbeitsbedingungen geknüpft. Eine Pflegekammer könnte nichts an den bestehenden Arbeits- und Einkommensbedingungen verändern, aber sie würde die Beschäftigten Geld kosten. Für die Ausgestaltung der Vergütungsmöglichkeiten sind die Sozialpartner zuständig. Um höhere Vergütungen und Verbesserungen im Gesundheitsschutz zu bewegen, sind ein breites Engagement, gesellschaftliches Umdenken und die Unterstützung der Pflegekräfte notwendig.
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