Der Unmut über den von der schwarz-grünen Landesregierung in Baden-Württemberg angestoßenen Prozess zur Gründung einer Pflegekammer wächst. Der für die Registrierung der künftigen Mitglieder zuständige Gründungsausschuss hat bereits tausende Fehlermeldungen zugegeben. ver.di fordert als Konsequenz, den Registrierungsprozess auszusetzen.
»ver.di informiert die Pflegefachkräfte unrichtig und spricht in unzutreffender Weise von einer Vielzahl von Fehlern.« Dies hatte das Landesozialministerium erst kürzlich gegenüber der Presse behauptet. Doch nun gibt der Gründungsausschuss selbst zu, dass es bei der Registrierung in tausenden Fällen zu Fehlern gekommen ist. Mitte Januar hatte ver.di darauf hingewiesen, dass etliche Personen, die die Voraussetzungen für eine Mitgliedschaft erfüllen, weder über ihre Pflichtmitgliedschaft und die beabsichtige Registrierung noch über die Möglichkeit informiert wurden, Einwand zu erheben. Andere konnten wegen technischer Probleme ihren Einwand nicht digital übermitteln, weil im Online-Portal des Gründungsausschusses ein falsches Geburtsdatum hinterlegt war. Wiederum andere wurden gleich mehrfach über ihre Registrierung informiert. Zugleich erhielten Beschäftigte anderer Berufsgruppen und Auszubildende die Information, sie würden registriert, obwohl dies nur für Pflegefachkräfte vorgesehen ist.
Angesichts der massiven Häufung von Fehlern im Registrierungsverfahren stehe die Kammer-Gründung vor einem Scherbenhaufen, stellte ver.di-Landesbezirksleiter Martin Gross fest und forderte vom Landesgesundheitsminister: »Minister Lucha muss den Gründungsausschuss stoppen und das Registrierungsverfahren unverzüglich aussetzen.«
Das Verfahren ist ohnehin höchst fragwürdig. Denn Pflegekräfte, die bis zum 23. Februar 2024 keinen schriftlichen Einwand gegen ihre Registrierung erheben, gelten automatisch als Befürworter*innen der Kammer. Um die Gründung zu stoppen, müssten mindestens 40 Prozent der Betroffenen widersprechen. Als »scheinheiligen Versuch, der Kammer ein Mäntelchen demokratischer Legitimation anzuziehen«, kritisierte die Altenpflegerin Ilka Steck von der Evangelischen Heimstiftung Baden-Württemberg dieses Prozedere bereits im vergangenen Jahr.
Hinzu kommen nun auch noch massenhafte Fehlermeldungen. »Vielen bleibt die Beteiligung vorenthalten – unvorstellbar bei einer demokratischen Wahl«, kritisierte Gross. Dadurch werde der Prozess vollends delegitimiert. Auch inhaltlich haben in ver.di organisierte Pflegepersonen nach intensiven Diskussionen entschieden, die Einrichtung einer Pflegekammer abzulehnen. Denn eine Pflegekammer würde ihre Arbeitsbedingungen nicht verbessern. Einerseits soll sie über die Pflegequalität wachen und Verstöße gegen Berufspflichten sanktionieren. Andererseits hat die Kammer keinerlei Einfluss auf die unzureichende Personalausstattung, die die zentrale Ursache für Qualitätsprobleme in der Pflege darstellt.
Zudem zeigen Erfahrungen aus anderen Bundesländern, dass Kammern den beruflich Pflegenden keine grundlegenden Verbesserungen bringen. In Schleswig-Holstein und Niedersachsen haben die Kammermitglieder deshalb mit jeweils überwältigenden Mehrheiten dafür gestimmt, die dortigen Pflegekammern wieder abzuschaffen. In Baden-Württemberg wollen viele Pflegekräfte, dass es gar nicht erst zur Gründung kommt. Der Petitionsausschuss des Landtags vermeldete kürzlich, er habe mehr als 1.000 Zuschriften von Pflegekräften erhalten, die sich gegen die Kammer und die damit verbundene Pflichtmitgliedschaft wenden. Ein Sprecher betonte, die Ablehnung müsse gegenüber dem Gründungsausschuss kundgetan werden. Die Möglichkeit dafür besteht noch bis zum 23. Februar. Weitere Informationen dazu gibt es hier.
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