Jetzt geht es richtig los: Die Vereinigung der Pflegenden in Bayern hat sich konstituiert. Die Mitglieder haben ein Präsidium gewählt, in dem ver.di gut vertreten ist. »Das ist ein wichtiger Schritt, um der Pflege in Bayern ein gemeinsames Sprachrohr zu geben«, erklärt ver.di-Landesfachbereichsleiter Robert Hinke. Neben einzelnen Pflegekräften können sich der Vereinigung – anders als in Pflegekammern – auch Verbände anschließen. »Natürlich ist ver.di als größte Interessenvertretung der beruflich Pflegenden mit dabei«, stellt Hinke klar. Die Vereinigung könne alle in der Pflege aktiven Berufsverbände und Gewerkschaften sowie Bayerns Pflegekräfte zu einer starken Kraft bündeln, um gegenüber der Politik wirksamer aufzutreten. Dementsprechend sind im Präsidium Kolleg*innen aus verschiedenen Bereichen und unterschiedlichen Berufsgruppen vertreten.
»Ich finde besonders wichtig, dass auch Pflegekräfte mit einer einjährigen Ausbildung Mitglied werden können«, sagt Agnes Kolbeck, die zur Vizepräsidentin der Vereinigung gewählt wurde. Die examinierte Krankenschwester betont: »Nur so wird die Realität und die Bandbreite der beruflich Pflegenden in Bayern tatsächlich abgebildet.« Insbesondere in der ambulanten Pflege hätten viele Kolleg*innen eine einjährige Ausbildung. Bei Pflegekammern, die in anderen Bundesländern gebildet wurden, bleiben diese außen vor.
Dazu braucht die Vereinigung der Pflegenden in Bayern – wie auch wir – starke und engagierte Mitglieder, die sich für die Pflege engagieren. Als Gewerkschaft stärken und unterstützen auch wir die VdPB als Mitglied mit unserem Know-how. Wir hatten uns massiv dafür eingesetzt, dass Gewerkschaften und Berufsverbände ebenfalls Mitglied werden können. So können die Interessen der Pflege verzahnt und gemeinsam vertreten werden. Neben den hoffentlich vielen Einzelmitgliedern stärken wir somit auch als Gewerkschaft die Vereinigung der Pflegenden.
Diese und weitere Hintergrundinformationen finden Sie in unserem Flugblatt, dass zum Download bereitsteht.
Anfang 2016 hat Rheinland-Pfalz als erstes Bundesland eine Pflegekammer eingerichtet. Diese ist seither vor allem dadurch aufgefallen, dass sie großzügige Entschädigungszahlungen an ihre Vorstandsmitglieder verteilt und die Pflichtbeiträge von Pflegekräften per Bußgeldbescheid eintreibt. Trotz dieser Erfahrungen wollen manche auch anderswo Pflegekammern etablieren. Doch es gibt Alternativen und Möglichkeiten zum Kompromiss. So hat Bayerns Landesregierung einen Gesetzentwurf zur Einrichtung einer »Vereinigung der bayerischen Pflege« vorgelegt, die ohne Zwangsmitgliedschaft, Pflichtbeitrag und Berufsgerichtsbarkeit auskommt. Darüber sprechen wir mit Robert Hinke, Leiter des Fachbereichs Gesundheit, Soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen im ver.di-Landesbezirk Bayern. Zum Interview.
Die Aufgaben, welche einer Kammer übertragen werden können sind rechtlich klar abgegrenzt. Sie sind im Wesentlichen auf die Überwachung der Berufsordnung (einschließlich Weiterbildungsverpflichtung und einer neben das Arbeitsgericht tretenden zusätzlichen Berufsgerichtsbarkeit), die Formulierung von Weiterbildungsstandards (die Definition der Zugangs- und Ausbildungsstandards zu Heilberufen obliegen hingegen dem Bundesgesetzgeber) sowie die Mitwirkung an Verfahren der Normsetzung (die über Anhörungs- bzw. Beteiligungsverfahren des Gesetzgebers für die Verbände bereits heute weitgehend gegeben sind). All dies hat mit einer Interessenvertretung von Pflegekräften nur sehr begrenzt etwas zu tun - zum Teil gilt eher das Gegenteil.
Es mangelt auch nicht an wissenschaftlichen Erkenntnissen in der Pflegewissenschaft, sondern an der Möglichkeit, diese aufgrund der Rahmenbedingungen in der Praxis adäquat umzusetzen. Auf diese Rahmenbedingungen, welche eine akzeptable (Re)Finanzierung sichern, gute Arbeits- und Einkommensbedingungen ermöglichen, den Personalbedarf qua Personalbemessungsvorgaben oder einer Qualitätssicherung garantieren, könnte eine Pflegekammer nicht mehr Einfluss nehmen, als dies Berufsverbänden bereits heute möglich ist. Vielmehr verhält es sich umgekehrt: Pflegekammern sind dem Allgemeinwohl – etwa dem Versorgungsauftrag – verpflichtet und können daher nicht den nötigen Biss einer Interessenvertretung ‚privater‘ beruflicher Interessen entsprechen. Im Übrigen, die Bundesärztekammer ist lediglich dem Namen nach eine Kammer (kein rechtlich geschützter Begriff). Kammern können nur von den Ländern eingerichtet werden.
Mit der bayerischen Alternative zur Kammer könnte hingegen eine „Interessengemeinschaft Pflege – Bayern“ eingerichtet werden, welche vom Aufgabenprofil sehr viel besser geeignet wäre, den Interessen der Pflege zu entsprechen. Die Bündelung der zersplitterten Verbandslandschaft zu einer „starke Stimme“ der Pflegekräfte ist uns hierbei ein zentrales Anliegen. Anders als eine Kammer, der nur examinierte Berufsangehörige angehören, wollen wir in diesem Modell alle beruflich in der Pflege Tätigen vertreten wissen. Weiterhin legen wir Wert darauf, dass über einen Beirat auch Kostenträger, Verbände der Leistungserbringer, der Klienten/Angehörigen, der Pflegewissenschaften und Bildungsträger einbezogen werden. Diese Einbeziehung ist als Mitwirkung zu konzipieren, welche klar von einer Mitbestimmung zu unterscheiden ist. Als Einrichtung der Pflegekräfte und ihrer Verbände sollten die genannten ‚Positionen‘ nicht Mitglied der „Interessengemeinschaft Pflege – Bayern“ werden.
Solange das Profil der zu etablierenden Institution jenes einer wirksamen Interessengemeinschaft von Pflegekräften ist, werden wir uns für deren Etablierung engagieren.
Als einen wichtigen ‚Mehrwert‘ des eingeschlagenen Weges einer „Interessengemeinschaft Pflege – Bayern“ sehen wir darin, dass nicht ein neuer zusätzlicher Akteur neben Fach- und Berufsverbänden, Gewerkschaften, Kostenträgern, kirchlichen und freien Wohlfahrtsverbänden, Bildungsstätten und Arbeitgeberverbänden auf dem weltanschaulich und interessenpolitisch aufgesplitterten Feld der Pflege tätig wird, sondern die gesellschaftlich aktiven Akteure erstmals institutionell zusammengeführt werden. Eine große Chance für mehr gesellschaftliche Resonanz und mehr Durchsetzungskraft für die Pflege.
Leider gibt es in den uns so maßgeblichen Fragen Stimmen, welche das Mögliche ‚Mehr‘ gegenüber dem Kammermodell verwässern wollen. Wir werden die Entwicklung weiterhin kritisch begleiten und uns auch einmischen. Für Symbolpolitik oder die Einführung einer fragwürdigen Rechtskonstruktion stehen wir nicht zur Verfügung. Unsere Stellungnahme zum ersten Gesetzentwurf des Ministeriums könnt ihr dem nachstehenden Link entnehmen:
Wir begrüßen das „NEIN“ von Pflegeministerin Melanie Huml zur Einführung einer Pflegekammer. Das „NEIN“ zu einer Kammer mit Zwangsmitgliedschaft und Pflichtbeiträgen und das „JA“ zu einer landesweiten Interessenvertretung für Pflegekräfte in Form einer Körperschaft des öffentlichen Rechts steht für eine praxisnahe und attraktive „bayerische Alternative“ zum ideologiedominierten Selbstzweck einer Kammer.
Landesfachbereichsleiter Bayern
089 / 599 77-360
robert.hinke@verdi.de