Die Pflege braucht eine starke Stimme. Dafür setzt sich ver.di alltäglich ein. Inwiefern können Pflegekammern helfen, den Belangen von Pflegefachpersonen mehr Nachdruck zu verleihen? Dazu gab es unter den Mitgliedern von ver.di viele intensive Debatten. Im Rahmen unserer Gremien und Konferenzen, zu denen sich die ver.di-Mitglieder alle vier Jahre wählen bzw. delegieren lassen können, haben wir unsere Positionen immer wieder diskutiert und weiterentwickelt. Bereits 2011 sprach sich die Konferenz des damaligen Bundesfachbereichs Gesundheit, Soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen gegen die Errichtung von Pflegekammern aus. Der ver.di-Bundeskongress 2015 bestätigte diese Positionierung. Dort, wo Pflegekammern politisch gewollt und geschaffen werden, gehen wir selbstverständlich mit in Verantwortung und bringen unsere Fachkompetenz zum Nutzen der Beschäftigten ein. Im Folgenden beantworten wir einige zentrale Fragen zum Thema.
Was geht mich die Diskussionen um Pflegekammern an?
Wird vom jeweiligen Landesparlament eine Pflegekammer beschlossen, müssen alle Pflegefachpersonen Mitglied sein. Sie können nicht wählen, sondern sind zur Mitgliedschaft verpflichtet – und (sofort oder langfristig) auch zur Zahlung von Mitgliedsbeiträgen.
Wer sollte über Pflegekammern entscheiden?
Aus ver.di-Sicht ist ganz klar: Die beruflich Pflegenden selbst müssen demokratisch darüber bestimmen können, ob sie eine Kammer wollen oder nicht. Befragungen von kleinen Gruppen, selbst wenn sie repräsentativ ausgewählt sind, reichen nicht aus. Die Erfahrung der vergangenen Jahre zeigt: Dort, wo alle Pflegepersonen ihre Meinung äußern konnten, haben sie sich gegen eine Pflegekammer entschieden. So stimmten 2020 in Niedersachsen über 70 Prozent für die Auflösung der Landespflegekammer, in Schleswig-Holstein waren es im Jahr darauf sogar mehr als 90 Prozent. 2024 legten mehr als 53.000 Pflegefachpersonen in Baden-Württemberg Einspruch gegen ihre Registrierung und damit gegen die Errichtung der Pflegekammer ein, die daraufhin gestoppt wurde.
Was ist die Aufgabe einer Pflegekammer?
Pflegekammern sollen Bürger*innen vor unsachgemäßer Pflege schützen. Doch warum sollten Pflegefachpersonen mit ihrem Pflichtbeitrag dafür bezahlen, dass die Qualität ihrer Arbeit überwacht und reguliert wird? Sicherzustellen, dass Pflegende professionell arbeiten können, und dies als Teil der Sorge für das Gemeinwohl zu überwachen, ist Aufgabe des Staates. Sie an Pflegekammern auszulagern – und die Kosten dafür den Beschäftigten aufzubürden – macht die Pflege keinen Deut attraktiver und sorgt auch nicht für eine bessere Versorgung.
Pflegekammern sollen eine Berufsordnung beschließen. Ist das gut?
Die von der Pflegekammer erarbeitete Berufsordnung soll die Qualität der Pflege sicherstellen, indem Rechte und Pflichten der Berufsangehörigen festgelegt werden. Die daraus entstehenden Berufspflichten werden von der Pflegekammer überwacht und etwaige Verstöße sanktioniert. Doch fast alle Pflegepersonen arbeiten in einem weisungsgebundenen Arbeitsverhältnis und unter der arbeitsrechtlichen Kontrolle ihres Arbeitgebers. Anders als Selbstständige – wie etwa niedergelassene Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen – haben sie keinen direkten Einfluss auf die Rahmenbedingungen. Diese werden durch die Arbeitgeber und den Gesetzgeber bestimmt. Mit einer Pflegekammer werden die Pflegefachpersonen zu »Diener*innen zweier Herren«: Als abhängig Beschäftigte müssen sie die Weisungen ihres Arbeitgebers befolgen; als Pflichtmitglieder der Pflegekammer müssen sie deren Vorgaben einhalten.
Die Durchsetzung von Qualitätsstandards ist wichtig – keine Frage. Doch um professionell und qualitativ hochwertig zu arbeiten, braucht es gute Bedingungen, vor allem eine bedarfsgerechte Personalbesetzung und ausreichend Zeit. Ohne diese erhöht die Kammer lediglich den Druck auf die beruflich Pflegenden, statt sie zu entlasten. Aus der versprochenen Selbstbestimmung wird eine doppelte Fremdbestimmung.
Können Kammern zur Aufwertung der Pflegeberufe beitragen?
Aufwertung heißt: Mehr Anerkennung, auch finanziell; bessere Arbeitsbedingungen, zum Beispiel durch mehr Personal und Zeit für gute Pflege; gute Aus- und Weiterbildung sowie wertschätzender Umgang am Arbeitsplatz. Doch die Pflegekammer hat weder Einfluss auf die Bezahlung noch auf die Arbeitsbedingungen oder das Verhalten von Vorgesetzten. Der Staat hat die Verantwortung, dafür zu sorgen, dass gute Pflege möglich ist und die Gesundheit der Beschäftigten geschützt wird. Dieser werden sie schon lange nicht mehr gerecht. Die Regierungen müssen endlich für gute Rahmenbedingungen sorgen. Wenn sie sich mit Verweis auf Pflegekammern weiter ihrer Verantwortung entziehen, schadet das Pflegenden und Patient*innen bzw. Bewohner*innen gleichermaßen.
Gehälter, Urlaubsanspruch, Arbeitszeiten und vieles mehr werden in tarifgebundenen Betrieben zwischen Gewerkschaft und Arbeitgeber ausgehandelt. Eine Pflegekammer hat auf diese Themen keinen Einfluss. Was ver.di in Tarifverhandlungen erreichen kann, hängt maßgeblich vom Engagement der Beschäftigten ab, die an Aktionen teilnehmen, sich in ver.di organisieren und wenn nötig gemeinsam streiken
Sorgt die Pflegekammer für Fort- und Weiterbildung?
Professionell zu pflegen bedeutet, stets den aktuellen Stand der Pflegewissenschaft zu kennen und sich kritisch mit Fragen des Berufes auseinanderzusetzen. Lebenslanges Lernen und das Erwerben spezieller Qualifikationen sind wichtig, gerade in Gesundheitsfachberufen. Qualitativ hochwertige Fortbildungen sind jedoch meist mit Kosten und Aufwand verbunden, die nicht allein den Pflegefachpersonen aufgebürdet werden dürfen. Eine Pflegekammer kann zwar beschließen, welche Fortbildungen Pflegefachpersonen machen müssen, und dies kontrollieren. Sie kann jedoch Arbeitgeber nicht dazu verpflichten, Fortbildungen zu organisieren, vollständig zu finanzieren und ihre Beschäftigten dafür unter Fortzahlung ihrer Vergütung von der Arbeit freizustellen. ver.di setzt sich dafür ein, dass Arbeitgeber hierzu gesetzlich verpflichtet werden. Betriebliche Interessenvertretungen können dies auch in Betriebs- bzw. Dienstvereinbarungen regeln.
Führt eine Kammer dazu, dass die Pflegenden einheitlich mit einer Stimme sprechen?
ver.di ist die Organisation, in der sich mit Abstand die meisten Pflegepersonen und Beschäftigten im Gesundheitswesen freiwillig organisieren. Andere sind Mitglied in Berufsverbänden. Aber die große Mehrheit ist nirgendwo organisiert. Es klingt daher verlockend: In einer Pflegekammer ziehen alle Pflegepersonen an einem Strang, um Verbesserungen zu erreichen. Nur: Warum sollte eine Institution mit verpflichtender Mitgliedschaft das bewirken? Auch in der Pflegekammer würden sich die Verbände engagieren und die unterschiedlichen Meinungen widerspiegeln, die heute schon kennzeichnend für die Pflegeberufe sind. Statt mehr Einheitlichkeit werden sogar neue Spaltungslinien geschaffen. In Pflegekammern sind nur dreijährig examinierte oder studierte Pflegekräfte (Pflicht-)Mitglied, Pflegehilfs- und Assistenzkräfte bleiben außen vor bzw. können nur freiwillig Mitglied werden. Die Solidarität und Kooperation sowohl innerhalb der Pflegeberufe als auch mit anderen Berufsgruppen wird so aufs Spiel gesetzt.
Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen funktionieren nur mit Teamarbeit, durch ein gutes Zusammenspiel aller Berufsgruppen. Und auch Verbesserungen erreichen wir am besten gemeinsam, indem alle an einem Strang ziehen und zusammen mehr durchsetzen.
Kann die Pflegekammer politische Entscheidungen beeinflussen?
Da sich die Mitglieder der Kammer nicht freiwillig anschließen, ergibt sich aus hohen Mitgliederzahlen auch keine größere Legitimation gegenüber politischen Entscheidungsträger*innen. ver.di und andere Organisationen machen bereits politische Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit für die Pflege. Durch ihre Aktiven in den verschiedenen Gremien nimmt ver.di zu allen wichtigen Gesetzesvorhaben fundiert Stellung, bringt ihre Expertise in Anhörungen ein, informiert in Medien und Öffentlichkeit regelmäßig über die Situation und Verbesserungsbedarfe in der Pflege. Mit zählbarem Erfolg: So haben wir erreicht, dass im Pflegeberufegesetz ein Mindestanteil an Praxisanleitung verbindlich vorgeschrieben wird. Die von ver.di gemeinsam mit dem Deutschen Pflegerat und der Deutschen Krankenhausgesellschaft entwickelte Personalbemessung für die Krankenhauspflege, PPR 2.0, ist endlich beschlossen. Betriebs- und Personalräte sowie Mitarbeitervertretungen begleiten ihre Umsetzung und nutzen die Personalbemessung, um die Überlastung zum Thema zu machen. Als ver.di bleiben wir dran, bis bedarfsgerechte Personalvorgaben verbindlich wirken und die dringend nötige Entlastung endlich auf den Stationen und in den Bereichen ankommt.
ver.di lehnt Pflegekammern ab. Dennoch kandidieren ver.di-Aktive zur Kammerversammlung, wenn Bundesländer eine solche Wahl durchführen. Ist das kein Widerspruch?
Nein. Wenn wir uns mit unserer kritischen Position nicht durchsetzen, ziehen sich die in ver.di aktiven Pflegepersonen nicht in die Schmollecke zurück. Sie gestalten dann selbstverständlich mit und bringen ihre Fachkompetenz ein – im Interesse unserer Mitglieder und zum Nutzen der Pflegeberufe. In Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen bringen sich ver.di-Aktive mit viel Engagement in die Landespflegekammern ein. In Bayern streiten wir für den Erhalt der Prinzipien der Vereinigung der Pflegenden Bayern: keine verpflichtende Mitgliedschaft, keine Beiträge, Beteiligung von Pflegehilfskräften und Verbänden.
Wenn die Pflegekammer nicht hilft, was dann?
Statt Placebos und unerfüllte Versprechungen braucht es wirkliche Veränderungen. Die erreichen beruflich Pflegende, indem sie sich gemeinsam mit anderen Beschäftigten organisieren und aktiv für Verbesserungen eintreten. Was möglich ist, haben die Kolleg*innen dutzender Krankenhäuser gezeigt, die Tarifverträge für Entlastung durchgesetzt haben, teilweise nach wochenlangen Streiks. Die Vereinbarungen legen zumeist personelle Mindestbesetzungen fest. Werden diese mehrfach unterschritten oder entstehen anderweitig belastende Situationen (zum Beispiel wegen kurzfristiger Stationswechsel, vielen Leihbeschäftigten oder Übergriffen), erhalten die betroffenen Beschäftigten zusätzliche freie Tage als Belastungsausgleich. Auch mit Blick auf die finanzielle Aufwertung der Pflegeberufe hat ver.di schon einiges erreicht. So stieg zum Beispiel die Bezahlung von Pflegefach- und Pflegehilfskräften durch die Tarifabschlüsse im öffentlichen Dienst (inklusive Pflegezulage) seit 2018 um insgesamt 29,6 bzw. 32 Prozent. Das strahlt aus und sorgt auch in anderen Betrieben für höhere Löhne. All das zeigt: Indem sie sich organisieren, können die beruflich Pflegenden viel bewegen – freiwillig, ohne Zwang.
Weitere Informationen und Positionen: pflegekammer.verdi.de
Bereichsleiterin Berufspolitik/Jugend
030/6956-1830
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Berufspolitik/Jugend
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