Der Bundesverband Pflegemanagement fordert in einem Strategiepapier, Planung und Durchführung der Pflege personell zu trennen. Der Stuttgarter Krankenpfleger und Gewerkschafter Volker Mörbe ist davon überzeugt, dass das weder im Interesse der Patient/innen noch der großen Mehrheit der Pflegekräfte wäre. Denn ganzheitliche Pflege sei dann nicht mehr möglich. Das Pflegestudium dürfe nicht dazu missbraucht werden, diesen Systemwechsel herbeizuführen. Als sehr problematisch betrachtet Mörbe die deutliche Zunahme von Helfertätigkeiten auf den Stationen. Für die Pflegekräfte sei das letztlich keine Entlastung, vielmehr würden Examinierte langfristig durch geringer qualifizierte Kolleg/innen ersetzt. Der Vorsitzende des ver.di-Fachbereichs Gesundheit, Soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen in Baden-Württemberg kritisiert in diesem Zusammenhang, dass das neue Pflegeberufegesetz den Ländern die Möglichkeit eröffnet, bereits nach zwei Ausbildungsjahren einen Abschluss als Pflegehelfer/in bzw. -assistent/in vorzusehen. Wer eine Entlastung der Pflegekräfte wolle, müsse stattdessen mehr qualifiziertes Personal ans Bett bringen. Mit besseren Arbeitsbedingungen könne das Potenzial an Fachkräften voll genutzt werden, so Mörbe. Ein entscheidender Schritt dahin sind seiner Ansicht nach verbindliche Personalvorgaben durch den Gesetzgeber.
Ein Interview mit Volker Mörbe, Krankenpfleger und Vorsitzender des Landesfachbereichsvorstands Gesundheit, Soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen von ver.di in Baden-Württemberg.
Der Pflegeberuf verändert sich. Neben der dreijährigen Berufsausbildung gibt es eine zunehmende Zahl an Pflege-Studiengängen. Zugleich nimmt die Zahl der Helfer/innen und Assistent/innen auf den Stationen zu. Wie bewertest du diese Entwicklungen?
Ich halte diese Entwicklungen für problematisch. Abgesehen von dem grundlegenden Problem der Personalnot bedeutet dieser »Quali-Mix«, also die Schaffung unterschiedlicher Qualifikationsniveaus auf den Stationen, dass die ganzheitliche Pflege verloren geht. Wir sind immer dafür eingetreten, dass Fachkräfte für die Pflege am Bett zuständig sind – und zwar sowohl für die Planung als auch für die Durchführung. Das wird jetzt in Frage gestellt. Wegen der personellen Unterbesetzung werden immer mehr Hilfskräfte eingesetzt. Besonders problematisch sind in diesem Zusammenhang die Visionen des Bundesverbands Pflegemanagement, in dem vor allem Pflegedienstleitungen organisiert sind. Dieser hat in einem Strategiepapier dargelegt, wie er sich die Pflege im Jahr 2025 vorstellt: Eine Pflegekraft mit Bachelor-Studium soll auf der Station die Planung übernehmen und die übrigen Pflegekräfte mit unterschiedlichen Qualifikationen haben ihren Anweisungen zu folgen.
Welche Folgen hätte das?
Das Besondere an der Pflege ist ja, dass sie – im Vergleich zu Ärzt/innen und anderen Berufsgruppen – viel Zeit mit den Patient/innen verbringt und sie dadurch sehr gut kennenlernt. Die direkte Interaktion kann Ressourcen mobilisieren, Krisen können schneller erkannt, die Pflegeplanung darauf ausgerichtet werden. Das funktioniert nicht, wenn diejenigen, die die Planung machen, nicht am Bett arbeiten und diejenigen, die qualifiziert mit den Patienten arbeiten, nicht mehr deren Pflege planen. Eine solche Arbeitsorganisation wäre weder im Interesse der Patientinnen und Patienten noch der großen Mehrheit der Pflegenden.
In anderen Ländern ist es üblich, dass Pflegekräfte ein Hochschulstudium absolviert haben. Sind sie damit besser qualifiziert als die Examinierten hierzulande?
Zum Beispiel in Großbritannien ist das Bachelor-Studium für Pflegekräfte ähnlich strukturiert wie die dreijährige Krankenpflegeausbildung bei uns. Die Absolvent/innen werden sowohl zur Planung als auch zur Durchführung der Pflege qualifiziert. In Deutschland ist das Studium hingegen eine Ergänzung zur beruflichen Ausbildung von Pflegefachkräften. Es macht Sinn, Erkenntnisse über die Pflege wissenschaftlich basiert weiterzuentwickeln und die fachliche Qualifikation und Spezialisierung weiter zu verbessern. Doch der Bundesverband Pflegemanagement plant etwas anderes: Das Studium soll nicht die Fachlichkeit bei der Planung und der Arbeit am Patienten erhöhen, sondern zur personellen Trennung von Planung und Durchführung der Pflege missbraucht werden. Das halte ich für den völlig falschen Weg. Das zerstört das wichtigste Pfund der Pflege sowohl für die Versorgung der Patient/innen, als auch für die Attraktivität des Pflegeberufs: die ganzheitliche Pflege.
Könnte ein Hochschulstudium den Pflegeberuf nicht aufwerten?
Der Bundesverband Pflegemanagement will »Augenhöhe« mit den akademisch ausgebildeten Ärzt/innen erreichen, indem Pflegekräfte mit Hochschulstudium die gleiche Distanz zu den Patientinnen und Patienten aufbauen. Die Akademisierung der Pflegekräfte soll gefördert werden durch die Aussicht, sich nach dem Studium nicht den physischen und psychischen Anstrengungen der Arbeit mit Patient/innen auszusetzen zu müssen – keine Arbeit zu allen Tages- und Nachtzeiten, am Wochenende und an Feiertagen, stattdessen anderen Arbeitsanweisungen geben können. Dabei ist die Behauptung, erst durch das Studium und die Trennung von Planung und Durchführung werde die Pflege zu einer Profession, eine Unverschämtheit gegenüber allen examinierten Pflegekräften. Leider weist auch das Pflegeberufegesetz in diese Richtung, da sogenannte Vorbehaltstätigkeiten, die allein der Pflege vorbehalten sein sollen, nur die Planung, nicht aber die Durchführung der Pflege umfassen sollen.
Wie siehst du die Debatte über eine generalistische Pflegeausbildung?
Ursprünglich sollten die Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflege zu einer »generalistischen« Ausbildung zusammengelegt werden. ver.di und andere Verbände haben das kritisiert, weil spezifische Qualifikationen der einzelnen Fachrichtungen damit verloren gegangen wären. Das vom Bundestag im Juni beschlossene Pflegeberufegesetz sieht vor, dass mit Start der neuen Ausbildungen ab 2020 die Abschlüsse in der Alten- und Kinderkrankenpflege zunächst beibehalten werden. Nach einer zweijährigen gemeinsamen Ausbildung können die Auszubildenden, die einen entsprechenden Vertiefungseinsatz gewählt haben, sich entscheiden, ob sie die generalistische Ausbildung fortsetzen oder im dritten Jahr spezielle Qualifikationen erwerben. Das ist gut. Schlecht ist, dass die bisherige Ausbildung in der Gesundheits- und Krankenpflege durch die neue generalistische Ausbildung abgelöst werden soll. Auch wenn es viele Schnittmengen gibt, werden sie für ihren Beruf dadurch weniger gut qualifiziert sein als jetzt. Zudem sollen die eigenständigen Berufsabschlüsse in der Alten- und Kinderkrankenpflege nach sechs Jahren überprüft werden. Ihr Fortbestand ist also nicht gesichert.
In der Kinderkrankenpflege kommt hinzu, dass die Zahl der Praktikumsplätze schon für die ersten beiden Jahre der generalistischen Ausbildung wohl nicht reichen wird. Bisher gibt es noch keine überzeugenden Antworten darauf, wie diese viel größere Zahl von Auszubildenden den Pflichteinsatz durchlaufen können soll. Der Erhalt einer eigenständigen Kinderkrankenpflegeausbildung könnte daran scheitern. Ebenfalls kritisch sehe ich, dass die Länder einen eigenständigen Abschluss als Pflegehelfer/in oder -assistent/in schon nach zwei Ausbildungsjahren schaffen können. Im schlimmsten Fall würde eine solche Kurzausbildung auf die Fachkräftequote angerechnet.
Warum wäre das so schlimm?
Die Krankenpflegeschulen müssten die zweijährige Assistenzausbildung dann flächendeckend anbieten. Das würde mit Sicherheit dazu führen, dass Fachkräfte in großem Ausmaß durch schlechter qualifizierte Beschäftigte ersetzt werden. Leider ist zu beobachten, dass die Bedeutung von Spezialisierung und Erfahrung der Pflegenden für die Qualität der Arbeit an den Patient/innen zunehmend geleugnet wird. Das drückt sich darin aus, dass Krankenhausleitungen gleichgültig reagieren, wenn erfahrene Pflegekräfte wegen der Arbeitsbedingungen gehen und durch Berufsanfänger/innen ersetzt werden. Ein weiterer Ausdruck dessen ist, dass Stationen zur besseren Auslastung interdisziplinär belegt werden. Qualität soll sich nur noch über eine pflegewissenschaftlich basierte Planung ausdrücken, nicht mehr in der Praxis.
Viele examinierte Pflegekräfte freuen sich, wenn Helfer/innen ihnen Arbeit abnehmen.
Die Personalnot führt dazu, dass man nach jedem Strohhalm greift, der Entlastung bringen könnte. Aber das funktioniert nicht. Denn letztlich kommen die Helfer/innen nicht zusätzlich, sondern ersetzen langfristig die Stellen von Examinierten. Für die verbliebenen Fachkräfte bedeutet das zudem mehr Koordinations- und Überwachungsaufgaben sowie mehr administrative Tätigkeiten. Und: Noch häufigeres Einspringen, noch mehr Nacht- und Wochenenddienste, die sich weniger examinierte Pflegekräfte teilen müssen.
Haben die Einrichtungen angesichts des Fachkräftemangels überhaupt eine andere Möglichkeit, als zunehmend Helfer/innen einzustellen?
Zumindest im Krankenhaus ist die Zahl der Auszubildenden und der bereits ausgebildeten Pflegekräfte eigentlich groß genug, um den Bedarf zu decken. Das Problem sind die schlechten Arbeitsbedingungen. Sie führen dazu, dass viele den Beruf wieder verlassen oder ihre Arbeitszeit reduzieren, weil sie die Belastung nicht mehr aushalten oder Beruf und Privatleben nicht anders unter einen Hut bekommen. Mit guten Arbeitsbedingungen und verlässlichen Arbeitszeiten könnte das bestehende Fachkräftepotenzial richtig genutzt werden. Könnte beispielsweise der Ausstieg aus dem Beruf um durchschnittlich zwei Jahre hinausgezögert werden, stünden mittelfristig ein Viertel mehr Pflegefachkräfte zur Verfügung. Mit akzeptablen Arbeitsbedingungen und verlässlichen Dienstplänen könnten auch viele Teilzeitkräfte ihren Beschäftigungsumfang erhöhen. Dann müssten Fachkräfte nicht notdürftig durch schlechter qualifizierte Beschäftigte ersetzt werden.
Welche Alternativen gibt es? Wie kann der Pflegeberuf wieder attraktiver werden?
Es braucht genug qualifizierte Fachkräfte, die die Pflege selbständig planen und durchführen können. Der permanente Rechtsbruch im Arbeitsalltag muss aufhören. Pflegekräfte müssen ihre gesetzlichen Rechte, die ihrem Gesundheitsschutz dienen, in Anspruch nehmen können, ohne Sorge haben zu müssen, dass das zu Lasten der Versorgung der Patient/innen geht. Dazu gehören die Pausen, das pünktliche Arbeitsende, die gesicherte Freizeit und der Schutz davor, wegen Erkrankung einer Kollegin plötzlich bis zu doppelt so viele Patient/innen versorgen zu müssen.
Die Unterversorgung infolge des Personalmangels muss beendet werden. Dafür trägt der Staat die Verantwortung. Er muss per Gesetz verbindliche Personalvorgaben machen und diese finanziell und mit einer Zweckbindung absichern. Sie müssen beides ermöglichen: den Gesundheitsschutz der Beschäftigten ebenso wie die angemessene Versorgung der Patientinnen und Patienten, inklusive der Einhaltung aller Hygienerichtlinien. Der Gesundheitsschutz der Beschäftigten und die Versorgung der Patient/innen dürfen im Arbeitsalltag nicht mehr im Widerspruch zueinander stehen. Das heißt letztlich: Der Staat muss die Krankenhausträger dazu zwingen, ihren bereits jetzt bestehenden Verpflichtungen gegenüber Patient/innen und Beschäftigten nachzukommen.
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