Der mit dem Pflegeberufegesetz eingeschlagene Weg der Verschulung der Ausbildung und einer verstärkten Selektion wird mit der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung fortgesetzt. Eine Analyse von Gerd Dielmann
Mit der Veröffentlichung der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung (PflAPrV) und der Ausbildungsfinanzierungsverordnung (PflAFinV) im Bundesgesetzblatt am 10. Oktober 2018 (BGBl I S. 1572 und S. 1622) ist der bundesrechtliche Rahmen der Ausbildungsreform der Pflegeberufe gesetzt.
Die Ausbildungs- und Prüfungsverordnung enthält gegenüber dem Pflegeberufegesetz (PflBG), auf dessen Grundlage sie erlassen wird, nur wenige Neuerungen. Die wesentlichen Elemente sind:
An den Ausbildungszielen (§ 5 Abs. 3 PflBG) orientierte, vergleichsweise ausführliche Kompetenzbeschreibungen finden sich neben diversen Vordrucken für Bescheinigungen und Urkunden in den Anlagen. Unterschieden werden in der Ausbildung zu entwickelnde Kompetenzen für die Zwischenprüfung, die »generalistische« Ausbildung, für die Abschlüsse als Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger/-in und als Altenpfleger/-in sowie Kompetenzen für die Hochschulausbildung (Anl. 1-5 PflAPrV).
Die PflAPrV enthält eine grobe Gliederung des theoretischen Unterrichts im Umfang von mindestens 2.100 Unterrichtsstunden (Anl. 6) und eine nicht minder grobe Gliederung der praktischen Ausbildung mit einem Mindestumfang von 2.500 Stunden (siehe Tabelle).
Für die so genannten Generalisten fällt die Qualifizierung in pädiatrischer Pflege mit einem Pflichteinsatz von 120 Ausbildungsstunden doch recht bescheiden aus. Zumal diese Ausbildungsanteile in einer Übergangszeit bis 31.12.2024 sogar noch auf
60 Ausbildungsstunden, also etwa eineinhalb Wochen, reduziert werden können und hinsichtlich der Ausbildungsorte auch in Kindertagesstätten und Kinderarztpraxen vermittelt werden können sollen.
Gegenüber den bisher geltenden Ausbildungsvorgaben im Krankenpflegegesetz stellen sie kaum eine Kompetenzerweiterung dar. Lediglich die Pflichteinsätze in der Langzeitpflege und in der ambulanten Pflege fallen mit je 400 Ausbildungsstunden, also 10 bis 11 Wochen, spürbar höher aus.
Ob da noch von einer generalistischen Ausbildung im ursprünglichen Sinne gesprochen werden kann, darf getrost bezweifelt werden. Die versprochene und in den Ausbildungszielen geforderte Qualifizierung zur Pflege von Menschen jeden Lebensalters wird damit sicher nicht erreicht. Da bedarf es dann schon eher der – je nach Angebot auch möglichen – Vertiefung in pädiatrischer Pflege, die dann zu Lasten der allgemeinen Pflege gehen muss oder sie bedarf der Spezialisierung im dritten Ausbildungsjahr mit dem gesonderten Abschluss.
Für bisherige Altenpflegeschulen und Ausbildungsbetriebe in der Altenhilfe fallen die Änderungen da schon gravierender aus. Sie müssen Pflichteinsätze in der krankenpflegerischen Akutversorgung, der Pädiatrie und in der psychiatrischen Versorgung organisieren, was über das bisherige Ausbildungsangebot gemäß Altenpflegegesetz (AltPflG) deutlich hinausgeht.
Die Beschreibungen der Kompetenzen, die im Rahmen der Ausbildung erworben in der Zwischenprüfung und den staatlichen Prüfungen nachgewiesen werden sollen, orientieren sich offensichtlich an den Niveaustufen des Deutschen Qualifikationsrahmens (DQR).
Dabei fällt auf, dass die in Anlage 4 formulierten Kompetenzen für die staatliche Prüfung zum/zur Altenpfleger/-in auf einem niedrigeren Kompetenzniveau angesiedelt sind als etwa die Kompetenzen für den Abschluss Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger/-in. Während diese bspw. pflegebezogene Daten von Kindern »erheben, erklären und interpretieren« können sollen, müssen jene sich damit bescheiden, alte Menschen auf der »Grundlage von Untersuchungen« zu unterstützen, pflegen, begleiten und beraten zu können (Anl. 4 I 2a PflAPrV).
Für die Ausbildung zu Pflegefachmännern und Pflegefachfrauen heißt es an dieser Stelle: »Die Absolventinnen und Absolventen erheben, erklären und interpretieren pflegebezogene Daten von Menschen aller Altersstufen …« (Anl. 2 I 2a PflAPrV). Oder »… pflegen, begleiten, und unterstützen Menschen aller Altersstufen …«. Offensichtlich soll hier das gleiche pflegerische Qualifikationsniveau erreicht werden wie in der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege.
Wie das in eineinhalb Wochen praktischer Ausbildung in pädiatrischer Pflege gelingen kann, bleibt allerdings das Geheimnis des Verordnungsgebers und der ihn beratenden Pflegeprofessorenschaft.
Nun mag es sein, dass theoriegeleitete Menschen der Auffassung sind, beruflicher Kompetenzerwerb finde hauptsächlich im theoretischen Unterricht statt. Dessen Unterteilung in lediglich fünf Kompetenzbereiche mit einer sehr groben Stundenaufteilung bietet zweifellos mehr Spielraum als er in der Gliederung der praktischen Ausbildung eingeräumt wird. Im theoretischen Unterricht sind immerhin mindestens 500 bis 700 Stunden für Themen der pädiatrischen Pflege im Angebot (vgl. Anl. 6).1
Die Unterschiede in den Kompetenzbeschreibungen werden nicht begründet. Insgesamt ist es kaum vorstellbar, wie sich diese fein ausdifferenzierten Kompetenzbeschreibungen im Unterricht auf dem jeweils angezielten Niveau umsetzen lassen. Wie gestaltet man Unterricht und praktische Ausbildung so, dass einmal die Kompetenz erreicht wird, den Pflegeprozess zu steuern und zu gestalten (Anl. 4, I 3b) und das andere Mal der Pflegeprozess gesteuert, gestaltet und verantwortet werden kann (Anl. 3, I. 3c)?
Der Stundenmindestumfang für den theoretischen und praktischen Unterricht bleibt – wie bereits im Altenpflege- und Krankenpflegegesetz – bei 2.100 Stunden. Neu und positiv zu bewerten ist die erstmalige Vorgabe schulinterner Curricula, die als Grundlage für den Unterricht zu entwickeln sind. Sie sollen auf dem noch von der Fachkommission (§ 53 PflBG) zu entwickelnden Rahmenlehrplan basieren. Diese Selbstverständlichkeit war bisher durch Bundesrecht nicht vorgegeben und wohl auch nicht in allen Schulen realisiert.
Die Vorschriften zur praktischen Ausbildung folgen im Wesentlichen den Vorgaben des Gesetzes. So sollen mindestens 1.300 der 2.500 vorgeschriebenen Mindestausbildungsstunden in der Praxis beim Träger der praktischen Ausbildung erfolgen. Die Praxisanleitung soll »geplant und strukturiert« einen Umfang von 10 Prozent eines jeden Einsatzes haben.
Mit der Forderung nach Definition der Praxisanleitung als einer geplanten und strukturierten Veranstaltung konnte die ver.di eine ihrer wichtigen Forderungen durchsetzen. Das schließt Anleitung im Arbeitsablauf keineswegs aus, sichert aber zumindest in dem festgelegten Umfang, dass sie planmäßig erfolgen muss und als Ausbildungsveranstaltung strukturiert wird.
Die praktische Anleitung soll durch qualifizierte »Praxisanleiter/-innen« (PA) erfolgen. Die im Berufsbildungssystem übliche Funktionsbezeichnung des Ausbilders/der Ausbilderin scheut der Gesetzgeber auch weiterhin. Als qualifikatorische Voraussetzungen werden eine Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung in einem der Pflegefachberufe, eine einjährige Berufserfahrung und eine berufspädagogische Zusatzqualifikation von 300 Stunden festgelegt. Die Berufserfahrung »soll« in den letzten fünf Jahren im Einsatzgebiet gesammelt worden sein. Man befürchtete wohl, dass Erfahrung verjähren könnte. Darüber hinaus werden Praxisanleiter/-innen zu mindestens 24 Fortbildungsstunden pro Jahr verpflichtet. Diese Befähigung der PA ist gegenüber der zuständigen Behörde nach Landesrecht nachzuweisen. Die Vorschriften zur Anleitung durch berufspädagogisch qualifizierte Praxisanleiter/-innen sind auf die Orientierungs-, Vertiefungs- und Pflichteinsätze beschränkt. Die weiteren Einsätze sind davon ausgenommen. Hier kann die Anleitung auch durch anderes Fachpersonal erfolgen.
Der praktischen Ausbildung liegt ein betrieblicher Ausbildungsplan zu Grunde. Zwar muss bereits heute die Ausbildung sachlich und zeitlich gegliedert werden, die ausdrückliche Vorgabe eines betrieblichen Ausbildungsplans gab es bislang nicht. Vielfach fehlt auch die vorgeschriebene Gliederung für den gesamten Ausbildungszeitraum.
Die Auszubildenden haben einen Ausbildungsnachweis zu führen, aus dem die Übereinstimmung mit dem Ausbildungsplan und die Kompetenzentwicklung (?) der Auszubildenden ersichtlich sein soll. Der Nachweis ist von der Schule zu erstellen und zu kontrollieren. Ein Muster soll das Bundesinstitut für Berufsbildung (BiBB) in Zusammenarbeit mit der zu bildenden Fachkommission entwickeln.
Die Vorgaben zu der von der Schule zu organisierenden Praxisbegleitung durch Lehrkräfte wurden dahingehend verschärft, dass ein Besuch in der Praxis für jede(n) Auszubildende(n) je Orientierungs-, Pflicht- und Vertiefungseinsatz erfolgen soll. Darüber hinaus sollen die Lehrkräfte die Auszubildenden nicht nur betreuen, sondern auch beurteilen, was etwas seltsam anmutet.
Während die Praxiseinrichtungen lediglich gehalten sind, eine Leistungseinschätzung abzuliefern, sollen die Lehrkräfte, zu deren Aufgaben die praktische Anleitung ausdrücklich nicht gehört, die praktischen Leistungen der Auszubildenden beurteilen. Es versteht sich, dass Gespräche zum Ausbildungsstand hierfür nicht ausreichen, sondern Noten gebildet werden müssen, die wiederum in die Jahreszeugnisse eingehen und damit auch als Vornoten in die Abschlussprüfung.
Wesentlicher Bestandteil des Kompromisses der Koalitionsparteien vom Frühjahr 2017 war die Einführung einer Zwischenprüfung. Die ursprüngliche Absicht, damit eine zweijährige Pflegehelferausbildung durch die Hintertür zu etablieren, konnte nicht gelingen, weil die Verfassung dem Bund keine Berufszulassungsregelung für Pflegeassistenzberufe zugesteht.
So soll es bei einer Ausbildungsstandkontrolle bleiben, die eine Fortsetzung der Ausbildung unabhängig vom Ergebnis erlauben soll. Den Ländern bleibt es unbenommen, bei Ausbildungsabbruch nach der Zwischenprüfung erworbene Kompetenzen auf eine Pflegeassistenzausbildung anzurechnen oder die Prüfung als Abschluss anzuerkennen.
Der Druck auf Auszubildende, die Ausbildung bei schwachen Leistungen abzubrechen, wird jedenfalls steigen.
Völlig unnötig wird die ohnehin fragwürdige Fehlzeitenregelung2 durch die PflAPrV noch verschärft. Es sollen nur noch Fehlzeiten als Ausbildungszeit angerechnet werden können, wenn sie »25 Prozent der Stunden eines Pflichteinsatzes nicht überschreiten« (§ 1 Abs. 4 PflAPrV). Für den Pflichteinsatz in der pädiatrischen Pflege mit einem Mindestumfang von lediglich 60 Stunden bedeutet dies, dass bereits drei Fehltage genügen, um die Zulassung zur Abschlussprüfung zu gefährden.
Da es weder im PflBG noch in der PflAPrV eine Regelung gibt, wie mit einer Überschreitung von zulässigen Fehlzeiten insgesamt oder in einzelnen Pflichteinsätzen umzugehen ist, darf munter weiter improvisiert werden. Willkürliche Rückstufungen und unangemessene Ausbildungsverlängerungen sind schon heute im rechtlichen Graubereich geübte Praxis.
Die Kompetenzbeschreibungen im PflBG und ihre Ausdifferenzierungen in den Anlagen zur PflAPrV sind nur bedingt geeignet, eine Anleitung für die Gestaltung des Unterrichts und der praktischen Ausbildung zu liefern. Bleibt zu hoffen, dass die zu bildende Fachkommission brauchbare Rahmenlehr- und -ausbildungspläne vorlegen wird, die praxistauglich sind und in Schule und Betrieb umgesetzt werden können.
Der mit dem Pflegeberufegesetz eingeschlagene Weg der Verschulung der Ausbildung3 und verstärkten Selektion wird mit der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung fortgesetzt. Die Pflegeschule übernimmt Aufgaben, die in die betriebliche Verantwortung gehören, wie die Gestaltung des Ausbildungsnachweises, die Überprüfung des betrieblichen Ausbildungsplans und die Benotung der praktischen Ausbildung. Schon im Gesetz ist festgelegt, dass die Schule bei Einstellung und Kündigung des Ausbildungsverhältnisses zu beteiligen ist.
Die verschärfte Fehlzeitenregelung, die Einführung von benoteten Jahreszeugnissen, die prüfungsrelevante Bewertung von Ausbildungsleistungen während der gesamten Ausbildung und Vornoten für die Prüfungszulassung werden zu einer verschärften Selektion und unnötigen Ausbildungsabbrüchen führen.
Bereits heute bleiben etwa 25 bis knapp 30 Prozent der Auszubildenden auf der Strecke4. Die Debatte um Fachkräftemangel in den Pflegeberufen wird so ad absurdum geführt.
Gerd Dielmann
Erschienen im Infodienst Krankenhäuser Nr. 83
1 »Insgesamt sind die verwendeten Termini häufig nicht definiert. So erschließt sich bspw. nicht der Unterschied von steuern und gestalten des Pflegeprozesses. Während die Auszubildenden gem. Anlage 2 die Kompetenz erwerben sollen, die Wirksamkeit der Pflege zu evaluieren, sollen sie bei der Wahl des Abschlusses zur Altenpfleger/-in im dritten Ausbildungsjahr die Pflegemaßnahmen lediglich bewerten können. Mal sollen zur Beschreibung des Pflegebedarfs pflegediagnostische Begriffe verwendet werden (Anlage 2, I. 1c; Anlage 3, I. 1c), mal werden Pflegediagnosen hinzugezogen (Anlage 4, I. 1c). Während Studierende u.a. auch lernen sollen, die Verantwortung für die Planung von Pflegeprozessen zu übernehmen (Anlage 5, I. 2), soll sich der Kompetenzerwerb bei den anderen Auszubildenden auf Organisation, Steuerung und Gestaltung des Pflegeprozesses beschränken (Anlage 2, I. 1.b), obgleich das entsprechende Ziel in der Überschrift (Anlage 2, Themenbereich I) Erwähnung findet.
Wie an diesen Beispielen deutlich wird, erscheinen die Kompetenzbeschreibungen in der vorliegenden Form nicht konsistent und nur bedingt geeignet, auf dieser Grundlage Rahmenlehrpläne und Ausbildungsrahmenpläne zu entwickeln.« (Auszug ver.di-Stellungnahme zur PflAPrV).
2 Vgl. Gerd Dielmann: Die Fehlzeitenregelung für Pflegeberufe abschaffen! Infodienst Krankenhäuser 70 (Sept. 2015), S. 36f.
3 Vgl. Gerd Dielmann: Aufwertung durch Verschulung? Infodienst Krankenhäuser Nr. 72 (März 2016), S. 36ff.
4 Vgl. Gerd Dielmann: Fachkräftemangel? Hausgemacht! drei 66 (Okt. 2018), S. 3
Bereichsleiterin Berufspolitik/Jugend
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