Ein Kompromiss – aber nicht mehr. So beurteilt ver.di das vom Bundestag am 22. Juni und vom Bundesrat am 7. Juli 2017 beschlossene Pflegeberufegesetz. Es enthält einige positive Aspekte, wie die längst überfällige Abschaffung des Schulgelds in der Altenpflege und Vorgaben zum Umfang der Praxisanleitung. Wichtig ist, dass die betriebliche Mitbestimmung gesichert ist. Auf Drängen von ver.di und anderen bleibt auch die Spezialisierung in der Alten- und Kinderkrankenpflege erhalten – allerdings ist das zunächst nur bis 2025 garantiert. Die Inhalte der geplanten Ausbildungsgänge, die 2020 starten sollen, sind immer noch offen.
Wie beurteilen Praktikerinnen und Praktiker das Gesetz? Das ver.di-Online-Team hat die Expert/innen befragt: Beschäftigte der Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflege, Auszubildende, Praxisanleiter/innen, Lehrkräfte, Gewerkschafter/innen sowie Betriebs- und Personalräte.
»Der großkoalitionäre Kompromiss bringt mehr Verwässerung als Verbesserung. Die spezialisierten Abschlüsse sollen nur befristet erhalten bleiben. Es wird eine Zwischenprüfung eingeführt, mit der die Ausbildung bereits nach zwei Jahren als Pflegeassistent/in nach Landesrecht beendet werden kann. Klarstellungen zum Vertragsverhältnis sollen die Mitbestimmung sichern. Vertragspartner kann aber weiterhin die Pflegeschule sein, der auch Aufgaben des Trägers der praktischen Ausbildung übertragen werden können. Die Pflegeschule rückt so ins Zentrum der Ausbildung. Sie soll Ausbildungsverträgen zustimmen, bei der Beendigung mitreden und die praktische Ausbildung kontrollieren. Eine Stärkung der dualen betrieblichen Ausbildung geht anders.«
Gerd Dielmann, Sachverständiger für Berufsbildung
»Ich finde es problematisch, dass das Pflegeberufegesetz so holterdiepolter vor der Wahl beschlossen wurde. Die Beschäftigten und Auszubildenden der Altenpflege sind zu den vielen Änderungen am Ende von der Politik gar nicht richtig gehört worden. Ganz viel ist völlig unklar. Wie sehen die Ausbildungs- und Prüfungsinhalte aus? Was passiert nach sechs Jahren, wenn die eigenständigen Berufsabschlüsse in der Alten- und Kinderkrankenpflege überprüft werden? Das schafft Unsicherheit. Das Ziel einer Aufwertung der Pflege ist absolut richtig. Aber mit dem Gesetz wird das nicht erreicht. Dafür braucht es vor allem eine bessere Bezahlung und mehr Personal, weniger Bürokratie und mehr Zeit für Pflege.«
Tanja Döhring, Betriebsrätin bei »Pflegen und Wohnen« in Hamburg und Sprecherin der ver.di-Bundesfachkommission Altenpflege
»Die unterschiedlichen Ausbildungsmöglichkeiten zur "Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger/in" und zur "Pflegefachkraft mit Vertiefung in der Kinderkrankenpflege" verwirren. Und sie verwässern die spezialisierte Kinderkrankenpflege. Die Ausbildungs- und Prüfungsverordnung muss festschreiben, dass sich die Hälfte der Theoriestunden mit kindspezifischen Themen befasst und dass Zweidrittel der Praxisstunden in kinder- und jugendmedizinischen bzw. Pflege-Einrichtungen stattfinden. Nur so kann eine qualitativ hochwertige Pflege für Frühgeborene bis Jugendliche in Deutschland gesichert werden.«
Monika Otte, Kinderkrankenschwester und Lehrerin für Pflegeberufe an der Kinderkrankenpflegeschule des Universitätsklinikums Gießen und Marburg (UKGM) in Gießen
»Die Länder können einen eigenständigen Abschluss als Pflegehelfer/in oder -assistent/in schon nach zwei Ausbildungsjahren schaffen. Die generalistische Ausbildung senkt die Ausbildungsqualität gegenüber den bisherigen spezialisierten Abschlüssen. Hinzu kommt die Heraushebung der Pflegestudiengänge. Was passiert dann mit der ganzheitlichen Pflege? Planung und Durchführung der Pflege dürfen nicht voneinander getrennt werden. Die ganzheitliche Pflege ist unser wichtigstes Pfund, das wir verteidigen sollten.«
Volker Mörbe, Krankenpfleger und ver.di-Vertrauensleutesprecher am Klinikum Stuttgart
»Das Pflegeberufegesetz bleibt in vielem extrem schwammig. So auch bei der Qualifikation von Praxisanleiterinnen und Praxisanleitern. Diese müssen aber gut qualifiziert sein, um die Auszubildenden bestmöglich anleiten zu können. Deshalb muss in der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung festgeschrieben werden, dass alle Praxisanleiter/innen eine berufspädagogische Zusatzqualifikation von 720 Stunden erhalten – einheitlich im ganzen Bundesgebiet. Wenn Praxisanleiter/innen zu Fort- und Weiterbildungen verpflichtet werden, sollte klar sein: Das muss vom Arbeitgeber bezahlt werden.«
Christine Lachner, Betriebsrätin beim Berliner Krankenhauskonzern Vivantes und Sprecherin des ver.di-Arbeitskreises Praxisanleiter/innen
»Leider gibt es noch keine Ausbildungs- und Prüfungsverordnung. Erst wenn diese vorliegt, kann man die Wirkungen des neuen Gesetzes tatsächlich abschätzen. Fest steht aber schon: Der Gesetzgeber ist unter seinen Möglichkeiten geblieben. Statt bei 1 zu 15, wie in Berlin, liegt der Schlüssel von Lehrkräften zu Auszubildenden bei 1 zu 20. Das ist schlecht für die Lehrkräfte und die Ausbildungsqualität. Zudem sollen Lehrkräfte je nach Qualifikation unterschiedliche Aufgaben bekommen. Kleinere Schulen können das nicht umsetzen. Das Gesetz könnte die Zentralisierung von Pflegeschulen forcieren. Schulschließungen, Arbeitsplatzverluste und ein Abbau regionaler Ausbildungskapazitäten drohen.«
Eberhard Bruch, Lehrer für Pflegeberufe und Betriebsratsvorsitzender am DRK-Krankenhaus Kirchen
»Ich fürchte, mit dem Gesetz kommt die generalistische Pflegeausbildung durch die Hintertür. Auszubildende bekommen weniger Raum, sich zu spezialisieren. Das wird sich letztlich auch auf die Qualität der Pflege auswirken. Ein weiteres Problem ist, dass Examinierten nur die Planung, nicht aber die Durchführung der Pflege vorbehalten sein soll. Das könnte dazu führen, dass qualifizierte Pflegekräfte koordinieren, die Pflege am Bett aber nur noch von Pflegeassistent/innen durchgeführt wird. Mein Selbstverständnis ist ein ganz anderes: Ich will ganzheitlich pflegen.«
Lisa Klindworth, Auszubildende zur Gesundheits- und Krankenpflegerin in der Asklepios Klinik Altona
»Wenn es neben der beruflichen Pflegeausbildung auch eine hochschulische Erstausbildung geben soll, müssen überzeugende Antworten her: Welche Ausrichtung soll die hochschulische Erstausbildung haben? In welchen Tätigkeitsfeldern sollen Absolvent/innen eingesetzt werden? Wie soll ihre betriebliche Ausbildung gestaltet sein? All das ist bislang offen. Bei Praxiseinsätzen müssen dieselben Standards gelten wie in der beruflichen Ausbildung. Das heißt auch: Praxisphasen müssen angemessen bezahlt werden und es muss eine klare vertragliche Bindung zwischen Studierenden und Ausbildungsbetrieb bestehen. Unbezahlte Praktika sind nicht akzeptabel! Dafür setzen wir uns weiter ein.«
Peter Sztatelman, Mitglied des Personalrats im Uniklinikum Köln
»Der Gesetzgeber ist auf die ver.di-Forderung eingegangen und hat die Arbeitnehmerrechte von Auszubildenden im Betrieb gesichert. Das ist uns sehr wichtig. Denn so können Jugend- und Auszubildendenvertretungen und Betriebsräte bei Ausbildungsplan, Praxisanleitung und anderen Fragen Einfluss nehmen. Sie sind Ansprechpartner/innen bei akuten Problemen wie Stationshopping oder Überforderung. Ohne vertragliche Bindung an die Betriebe ginge das nicht. Doch warum sollen sich Auszubildende bei Streitigkeiten mit dem Träger an eine mögliche Ombudsstelle auf Landesebene wenden und nicht direkt ans Arbeitsgericht? Diese Ombudsstelle ist wahrscheinlich nicht einmal paritätisch besetzt. Es bleibt nur: Sich weiter einbringen und Druck machen für eine gute Interessenvertretung.«
Diana Sgolik, Mitglied im Vorstand des ver.di-Bundesfachbereichs Gesundheit, Soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen
»Eine gute Praxisanleitung ist für die Ausbildungsqualität entscheidend. Denn es geht darum, wie die Theorie praktisch umgesetzt wird. Das zu vermitteln, braucht Zeit und qualifiziertes Personal. Das Pflegeberufegesetz schreibt fest, dass Auszubildende mindestens zehn Prozent ihrer praktischen Einsatzzeit angeleitet werden. Das ist gut. Allerdings ist die Durchführung noch nicht klar geregelt. Ich meine: Praxisanleiter/innen müssen für diese Tätigkeit von anderen Aufgaben im Stationsalltag freigestellt werden. Sonst funktioniert es nicht.«
Dorothee Höltz-Nagel, freigestellte Praxisanleiterin in der Universitätsmedizin Mainz
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