Der Beginn der neuen Pflegeausbildungen hat viele praktische und grundsätzliche Probleme aufgeworfen. Interessenvertretungen sollten Möglichkeiten zur Mitgestaltung nutzen.
Seit einem halben Jahr gilt das neue Pflegeberufegesetz. Beschlossen wurde es 2017 als Kompromiss zwischen Generalistik und Spezialisierung: In den ersten zwei Jahren findet eine generalistische Ausbildung statt, die im dritten Jahr fortgeführt werden kann. Alternativ können sich die Auszubildenden im letzten Ausbildungsjahr spezialisieren und den Abschluss Altenpfleger*in oder Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger*in erwerben. Ende 2025 sollen die spezialisierten Abschlüsse evaluiert werden. Wir haben Kolleg*innen, die vor Ort in unterschiedlichen Rollen mit der Umsetzung des neuen Gesetzes befasst sind, danach gefragt, welche Schwierigkeiten und Chancen sich bislang zeigen.
Als Teamerin von ver.di-Seminaren zum Pflegeberufegesetz bekomme ich mit, dass manche Kliniken immer noch keine Kooperationsverträge mit Altenpflegeeinrichtungen geschlossen haben. Das ist aber notwendig, um die Pflichteinsätze zu regeln. Ohne solche Vereinbarungen kann die Ausbildung nicht gesetzeskonform stattfinden. Denn die Einsatzorte sind vor Ausbildungsbeginn konkret festzulegen. Es reicht nicht aus, zu sagen, dann und dann findet der Einsatz im Bereich der akuten Langzeitpflege statt. Man muss schon den konkreten Einsatzbetrieb nennen. Natürlich ist das für die Ausbildungsträger eine Herausforderung. Aber sie hatten zwei Jahre Zeit, sich auf diese Situation vorzubereiten. Die Arbeitgeber tragen die Verantwortung, für gesetzeskonforme Ausbildungsbedingungen zu sorgen, auch beim Abschluss von Kooperationen.
Für die Interessenvertretung ist die neue Gesetzeslage eine Chance, sich einzubringen und die Möglichkeiten der Mitbestimmung im Sinne der Auszubildenden zu nutzen. Denn zum Beispiel eine konkrete Einsatzplanung für die gesamte Ausbildungszeit heißt für mich auch, dass die jeweiligen Stationen und Abteilungen im eigenen Haus vorab festgelegt werden, in denen die Auszubildenden zu einer bestimmten Zeit eingesetzt werden sollen. Wenn die Interessenvertretung darauf besteht, kann sie der unsäglichen Praxis des Stationshopping – also dem Missbrauch von Auszubildenden als Lückenbüßer*innen – so einen Riegel vorschieben. Denn auch die Änderung des Ausbildungsplans ist mitbestimmungspflichtig.
An meiner Klinik haben JAV und Betriebsrat mit Unterstützung von Schul- und Pflegedienstleitung, Praxisanleiter*innen und Kolleg*innen aus den Bereichen einen Entwurf für eine Betriebsvereinbarung erarbeitet. Wir befinden uns mittlerweile schon seit über einem Jahr in Verhandlungen. Wir fordern zum Beispiel, dass nicht nur die neuen Auszubildenden, für die das Pflegeberufegesetz gilt, zehn Prozent Praxisanleitung erhalten, sondern alle – auch diejenigen, die ihre Ausbildung auf Grundlage des bisherigen Gesetzes machen. Das wäre im Sinne einer guten Ausbildungsqualität absolut sinnvoll. Im Alltag muss es darüber hinaus praktische Anleitung und die Möglichkeit zur gemeinsamen Reflexion geben.
Ein Konfliktpunkt ist zudem die Probezeit, die laut Tarifvertrag bei sechs Monaten liegt. Die Krankenpflegeschule möchte am Ende dieser Zeit mündliche und praktische Prüfungen abhalten. Wir meinen: Statt Auszubildende auszusieben, müssen sie individuell gefördert werden, damit möglichst viele die Ausbildung erfolgreich zu Ende bringen. Dass im Bundesdurchschnitt jede*r vierte Auszubildende in der Pflege keinen Abschluss macht, ist für die Betroffenen und angesichts des Fachkräftemangels eine Katastrophe. Dem kann man nicht durch mehr Druck, sondern nur mit mehr Unterstützung begegnen. Außerdem wollen wir, dass Theorie und Praxis besser verzahnt werden.
Alles in allem beschäftigen uns also ähnliche Konflikte wie vor Inkrafttreten des Pflegeberufegesetzes. Die betrieblichen Interessenvertretungen sollten versuchen, Gesetz und Verordnung so konkret wie möglich mit Leben zu füllen. Das ist eine große Chance – nicht nur für die Auszubildenden, sondern auch zur Aufwertung der Pflegepädagogik und der Praxisanleitung.
Ein akutes und sehr praktisches Problem ist der Ausbildungsnachweis, mit dem die Auszubildenden ihre Einsätze und Leistungen dokumentieren müssen. Der vom Bundesinstitut für Berufsbildung unter Beteiligung der Fachkommission erarbeitete Musterentwurf hat lange auf sich warten lassen. Jetzt muss alles ganz schnell gehen. Dennoch wollen wir als Jugend- und Auszubildendenvertretungen und Betriebsräte darauf Einfluss nehmen. Auch sonst ist es wichtig, dass wir unsere Mitbestimmungsrechte wahrnehmen und gegebenenfalls einfordern. Zum Beispiel bei den Ausbildungsplänen, die schon vor Ausbildungsbeginn vollständig vorliegen müssen. Darin müssen die jeweiligen Einsätze konkret aufgeführt sein und wir rechnen beispielsweise nach, ob alle Vorgaben eingehalten sind. Denn wenn sich erst bei der Prüfungsanmeldung herausstellt, dass etwas nicht stimmt, hat der oder die Auszubildende ein Problem.
Die praktischen Einsätze in externen Einrichtungen werden über Kooperationsverträge geregelt. Betriebsräte können diese als Maßnahmen der betrieblichen Bildung ebenfalls mitbestimmen. Und es gibt auch jede Menge Fragen, die geklärt werden müssen, zum Beispiel: Haben JAV und Betriebsrat ein Zutrittsrecht zu dem Betrieb, damit wir unsere Auszubildenden vor Ort betreuen können? Auch im Außeneinsatz müssen sie die Möglichkeit haben, sich an ihre Interessenvertretung zu wenden. Der Betriebsrat muss auch hier die Dienstplankontrolle ausüben können und so weiter.
Eine weitere wichtige Forderung ist, dass Tarifverträge und Betriebs- sowie Dienstvereinbarungen auch in den externen Betrieben angewandt werden. Bei uns heißt das beispielsweise, dass nicht länger als zehn Tage am Stück gearbeitet wird und dass es nach zehn Arbeitstagen mindestens vier Tage frei gibt. Zudem darf nur jedes zweite Wochenende gearbeitet werden und die Auszubildenden sollen ihren Urlaub frei wählen können. All das sind sehr wichtige Themen, über die wir im Sinne der Kolleginnen und Kollegen Klarheit schaffen wollen.
Gut ist, dass Auszubildende nun erstmals einen Anspruch darauf haben, dass sie mindestens zehn Prozent ihrer praktischen Ausbildungszeit durch dafür qualifizierte Fachkräfte angeleitet werden. Zuvor gab es hierzu lediglich in einigen Bundesländern Empfehlungen. Klar muss sein: Der Ausbildungsträger hat die Pflicht, die Praxisanleitung zu gewährleisten. Die Auszubildenden müssen sich diese nicht selbst organisieren oder – wie es bisher manchmal war –, unter Zwang alles Mögliche als Praxisanleitung dokumentieren, um die Prüfungszulassung nicht zu gefährden. Praxisanleitung darf nur durch dafür berufspädagogisch qualifiziertes Personal durchgeführt werden. Bisher konnte bei Helios der Nachweis über die Praxisanleitung oft von jeder examinierten Fachkraft unterzeichnet werden. Der Arbeitgeber muss all das auch in den externen Kooperationspartnerbetrieben sicherstellen. Dort gab es bisher mitunter wenig bis gar keine Praxisanleitung.
Bei der Umsetzung der neuen Pflegeausbildungen gibt es Engpässe. Zum Beispiel bei den praktischen Einsätzen im Krankenhaus. Während die Pflegeheime zumeist gerne Auszubildende einsetzen, ist es in den Krankenhäusern eine Herausforderung, genug Plätze zu finden. Die praktischen Pflichteinsätze von je 400 Stunden müssen jedoch nicht nur in der stationären, sondern auch in der ambulanten Pflege und im Klinikbereich gesichert sein – und zwar vor Ausbildungsstart. Zudem soll die Zahl der Ausbildungsstellen laut der Konzertierten Aktion Pflege um zehn Prozent gesteigert werden.
Um das zu schaffen, ist auch in der ambulanten Pflege viel Überzeugungsarbeit nötig. Die Einrichtungen sind hier insgesamt noch sehr zurückhaltend. Im ambulanten Bereich bestehen andere Herausforderungen als in Pflegeheimen oder Krankenhäusern. Die Beschäftigten sind in den Wohnungen der pflegebedürftigen Menschen in der Gastrolle. Man muss mit den Patient*innen klären, dass Auszubildende mit dabei sind. Ein weiteres Problem ist, dass es insbesondere in der ambulanten Pflege an Praxisanleiter*innen fehlt. Fort- und Weiterbildungen müssen daher deutlich ausgeweitet und die Beschäftigten dafür freigestellt werden, sonst funktioniert es nicht. Das sollten die Unternehmen auch im eigenen Interesse tun, sonst wird es in Zukunft noch schwieriger, die nötigen Fachkräfte zu finden.
Generell sehe ich im Bereich der Altenpflege die größten Probleme. Ursprünglich war es das Ziel der Reform, die Altenpflege aufzuwerten und mit der Gesundheits- und Krankenpflege gleichzustellen. Stattdessen wurde sie mit der im Oktober 2018 in Kraft getretenen Ausbildungs- und Prüfungsverordnung abgewertet, das Kompetenzniveau wurde abgesenkt. Das führt zu großer Verunsicherung und dazu, dass den Leuten die Altenpflege-Vertiefung teilweise nicht empfohlen wird. Manche Pflegeschulen bieten nur die generalistische Ausbildung ohne Vertiefungsmöglichkeit an. Die Altenpflege muss dringend wieder aufgewertet werden, damit sich das ändert. In der weiteren Umsetzung des Pflegeberufegesetzes gilt es, negative Folgen für die Altenpflege abzuwenden.
Bei uns im Landkreis Freudenstadt soll eine gemeinsame Alten- und Krankenpflegeschule entstehen. Anderswo wird das anders gehandhabt. Zum Teil gibt es keine richtigen Koordinationsstellen, die die verschiedenen Akteure zusammenbringen. Hinzu kommt, dass die Vorbereitungen für die neuen Ausbildungen zu langsam angelaufen sind. So kamen zum Beispiel die Lehrpläne sehr spät, weshalb viele Schulen keinen Frühjahrskurs angeboten haben und erst im Oktober beginnen. Dadurch gehen dringend benötigte Ausbildungsplätze verloren.
Ich mache mir große Sorgen über die Zukunft der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege. In Rheinland-Pfalz gibt es nur sehr wenige Schulen, die diese Spezialisierung überhaupt anbieten. Theoretisch können die Auszubildenden zwischen den Spezialisierungen und der Generalistik frei wählen. Wenn man aber 250 Kilometer fahren muss, um sich zum/zur Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger*in ausbilden zu lassen, ist diese Wahlmöglichkeit de facto nicht vorhanden. Das Krankenhaus braucht eine Schule als Kooperationspartnerin, die die spezifische theoretische Unterweisung anbietet, sonst kann es als Träger die Ausbildung nicht sicherstellen.
Ende 2025 soll evaluiert werden, wie viele Auszubildende die Spezialisierungen gewählt haben. Wenn diese im Falle der Kinderkrankenpflege aber gar nicht angeboten werden, nimmt man das Ergebnis vorweg. Dann wäre es das Ende der Kinderkrankenpflege. Das kann ich berufspolitisch überhaupt nicht nachvollziehen. Denn es braucht für die Pädiatrie spezifische Inhalte in Unterricht und Praxis. Bis Ende 2024 sind in der generalistischen Ausbildung nur 60 Stunden Praxiseinsatz in der pädiatrischen Versorgung Pflicht. Diese kann sogar noch in Kinderarztpraxen absolviert werden. Das ist für diese Tätigkeit alles andere als eine adäquate Qualifikation. Bei einer Vertiefung in Pädiatrie kommt man bis 2024 auf insgesamt 960 Stunden Praxiseinsatz. Auch das ist ohne theoretische Vertiefung aus meiner Sicht nicht ausreichend. Am Ende wird eine »Ausbildung nach der Ausbildung« nötig sein. Entscheidend ist doch, ob man mit den Kompetenzen, die in der Ausbildung erworbenen werden, in der beruflichen Realität bestehen kann. Zumindest in der Kinderkrankenpflege dürfte das nicht der Fall sein. Und auch die anderen Pflegeausbildungen verlieren an Tiefgang.
Die Kliniken sollten versuchen, dennoch die Ausbildung in der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege anzubieten. Natürlich wäre es für die Schulen ein Problem, wenn zum Beispiel in einem Kurs nach den ersten zwei Ausbildungsjahren nur wenige den spezialisierten Abschluss wählen. Ich bin aber davon überzeugt, dass viele sich für die Kinderkrankenpflege entscheiden werden – wenn sie angeboten wird.
Auch sonst merken wird, dass die Umsetzung des Pflegeberufegesetzes etliche Probleme bereitet. Die Schulen sind vielfach kaum vorbereitet, zum Teil haben die Länder immer noch keine Rahmenlehrpläne vorgelegt. Das ist alles mit sehr heißer Nadel gestrickt und nicht ausgegoren. Umso wichtiger ist es, dass die betrieblichen Interessenvertretungen die weitere Umsetzung eng begleiten und ihre Mitbestimmungsrechte nutzten. Der Fachkräftebedarf wird weiter steigen, insbesondere in der Altenpflege. Um ihn in Zukunft decken zu können, brauchen wir attraktive Ausbildungsbedingungen. Dafür setzen wir uns weiter ein.
Daniel Behruzi
Bereichsleiterin Berufspolitik/Jugend
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melanie.wehrheim@verdi.de